Interview: „Die Corona-Jahre waren nur eine Aufwärmübung für die Gastronomie“

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Kaum fallen die meisten Corona-Einschränkungen weg, entfalten andere Herausforderungen ihre volle Wirkung. Steigende Preise, die Anfälligkeit globaler Lieferketten sowie der anhaltende Fachkräftemangel fordern das Gastgewerbe heraus. Und dann ist da noch die Corona-Schlussabrechnung, durch die dem einen oder anderen Gastronomen empfindliche Rückzahlungen droht. Im Interview zum Status Quo der Branche warnt ETL ADHOGA-Leiter Erich Nagl: „Die Corona-Jahre waren nur eine Aufwärmübung.“

Um die vielfältigen Herausforderungen erfolgreich zu bestehen brauche es neue Strategien unter besonderer Berücksichtigung digitaler Lösungen. Im ersten Teil des Interviews spricht er über die Stimmung im Gastgewerbe, Probleme beim Personal und der Beschaffung sowie die Anfälligkeit globaler Lieferketten. Im zweiten Teil skizziert Nagl mögliche Digitalstrategien für den erfolgreichen Gastronomen der Zukunft.

Herr Nagl, im März fielen bundesweit die meisten Corona-Beschränkungen für die von der Pandemie hart getroffene Gastro-Branche. Ein schöner Anlass eigentlich, um hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken. Gleichzeitig aber türmen sich massive neue Probleme auf. Wie ist die aktuelle Stimmung im Gastgewerbe?

Der Sommer 2022 ist etwas völlig anderes als die Corona-Sommer in den beiden letzten Jahren – zumindest aus der Perspektive der Unternehmer. Zwar laufen die Umsätze ganz gut wieder an, soweit ich das beobachten kann. Aber sie befinden sich noch nicht auf Vor-Corona-Niveau. Das liegt auch an einer nachwirkenden Mentalitätsveränderung bei den Gästen. Nicht jeder geht jetzt schon befreit in einen vollen Laden. Der Gastronom ist also nach wie vor angehalten, für ein gutes und sicheres Gefühl beim Gast zu sorgen. Was aber festgestellt werden kann: Die Zuversicht in der Branche wächst, weil auch die Attraktivität der Gastronomie als Arbeitgeber wieder steigt.

Woran liegt das?

Die Gastronomie ist flexibel und offen für das Erproben alternativer Beschäftigungsmodelle. Ein aktuelles Beispiel ist die Brauereigruppe Brewdog. Die schenkt den weltweit 750 festangestellten Mitarbeitenden nun einen Anteil von 5 Prozent am Gesamtunternehmen. Außerdem soll jeder Betrieb 50 Prozent seines Gewinns mit seinen Teammitgliedern teilen und damit die Mitarbeiter für ihren Einsatz belohnt werden. Ein extrem spannendes Modell und ein ganz neuer Weg in der Branche, der nicht nur gute Mitarbeiter anziehen wird, sondern auch die Verbundenheit der bestehenden Belegschaft mit dem Unternehmen steigert.

Es treffen derzeit Corona-Spätfolgen auf neue, ernsthafte Krisenphänomene. Würden Sie da von einer neuen Qualität sprechen?

Wir haben auf der einen Seite trotz leichter Verbesserungen nach wie vor ein riesengroßes Problem beim Thema „Mitarbeiter“. Und auf der anderen Seite im Bereich der Beschaffung. Man mochte es ja gar nicht glauben, als im vergangenen Jahr durch ein im Suez-Kanal querliegendes Schiff die Lieferketten ins Stocken gerieten. Die haben sich seitdem auch nicht mehr wirklich erholt. Kaum lief es wieder einigermaßen, ist man mit dem unsäglichen russischen Angriffskrieg in der Ukraine konfrontiert. Die ukrainische Volkswirtschaft hat uns mit vielen Dingen versorgt, auch mit LKW-Fahrern, die jetzt nicht mehr fahren. Und schon kommt die eng getaktete Logistik wieder ins Straucheln und teilweise zum Erliegen. Und das ist eine Kombination, die uns in der Form in den letzten beiden Jahren erspart geblieben ist.

Man ist es als Unternehmer in Deutschland gewöhnt, das alles in rauen Mengen jederzeit und überall verfügbar ist. Und plötzlich kommen wir in eine Lage, in der wir uns plötzlich lange im Voraus Gedanken machen müssen, mit welchen Produkten wir im Sommer und Herbst überhaupt unseren Umsatz machen wollen, um über den nächsten Winter zu kommen – denn auch da haben wir noch keine Garantie, ohne erneute Corona-Einschränkungen durchzukommen, auch wenn das momentan keiner hören will.

Sind Versorgungsengpässe jetzt schon ein gravierendes Problem? Oder ist das eine Thematik, die sich erst ankündigt ihre volle Wirkung auf den laufenden Betrieb aber noch nicht entfaltet?

Natürlich haben wir die Nase immer im Wind und blicken voraus. Angesichts steigender Preise, unterbrochener Lieferketten und allgemeiner Verunsicherung in der Gesellschaft steigt in der Gastronomie die Nachfrage nach Waren. Das wiederum erhöht auch den Nachfragedruck der Zulieferindustrie. Dieser kann aber momentan nicht adäquat bedient werden. Resultat ist ein sich gegenseitig verstärkender und schädlicher Prozess, der jeden Unternehmer vor die große Herausforderung stellt, sein Angebot sensibel auszubalancieren und genau zu schauen, bei wem man wie viele Waren beziehen kann.

Das sind jetzt also Einblicke in eine Welt, die man gar nicht mehr kannte, weil die permanente Verfügbarkeit von allem und jedem für uns selbstverständlich war. Diese Entwöhnung tut jetzt weh! Weil man als Gastronom nun langfristiger planen muss und sich nicht darauf verlassen kann, dass die Waren sowieso verfügbar sind.

Die Anfälligkeit globaler Lieferketten ist ja eine Problematik, die uns die Corona-Pandemie von Beginn an vor Augen geführt hat. Eine der ersten Lehren im Frühjahr 2020 lautete doch, Lieferketten wieder zu lokalisieren, zu regionalisieren. Ist das in der Gastronomie nicht angekommen?

Da möchte ich widersprechen. Das passiert gerade. Die Regionalisierung der Produkte ist seit Jahren und lange vor Corona ein Trend. Damals lief das vor allem unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit und der Reduzierung des eigenen ökologischen Fußabdrucks. Das ist also seit längerer Zeit ein Thema für die Branche, das jetzt noch einmal verstärkt wird. Denn die Grenze der „Geiz-ist-Geil-Mentalität“ ist überschritten! Für den Gast wird das „Storytelling“ immer wichtiger. Es geht als Gastronom mehr denn je darum, transparent und glaubwürdig zu vermitteln, wie die eigene Philosophie aussieht.

Hier kommt viel stärker auch der Netzwerk-Gedanke ins Spiel. Das eigene Image, der „Purpose“ des Betriebes, beginnt schon lange vor der Speisekarte – etwa beim Aussuchen der eigenen Geschäftspartner und Zulieferer. Man muss sein Lieferanten-Netzwerk pflegen und gleichzeitig eine ausgewogene Mischung sicherstellen aus lokalen Anbietern mit ihren allerdings oftmals begrenzten Lieferkapazitäten und größeren überregionalen Bezugsquellen. Wir sehen, dass sich dieses Bewusstsein flächendeckend durchsetzt.

Reden wir über Preissteigerungen. Der Gastronomie wird mutmaßlich nichts anderes übrigbleiben, als die steigenden Preise an den Gast weiterzugeben, oder? 

Selbstverständlich müssen die Preissteigerungen vom Gastronomen weitergegeben werden – auch wenn man es nicht gerne hören wird. Aber ich glaube, dass das Verständnis dafür da ist in der Gesellschaft. An die exorbitant gestiegenen Benzinpreise haben sich die Leute letztlich auch gewöhnt, obwohl das weh tut. Wobei der Fall ein wenig anders gelagert ist als in der Gastronomie, denn der Autofahrer muss ja fahren. Er kann im Regelfall nicht einfach aufhören, nur weil die Preise für Benzin steigen.

Der Gastronom hingegen muss jetzt wirklich spitz kalkulieren. Wenn er nicht genau weiß, was er tut, sondern beim Preisanstieg überdreht – er teurer wird, ohne gleichzeitig die Leistung nach oben anzupassen – dann wird es gefährlich. Klar, wenn ich als Gast für das gleiche Produkt 20 Prozent mehr bezahle, aber das gleiche Erlebnis dafür bekomme, werde ich den Gastronomen mit Abstinenz strafen. Insofern waren die Corona-Jahre waren nur eine Aufwärmübung für den Gastronomen. Die Zeit konnte er mit Hilfen überbrücken – jetzt aber gilt es, sich angesichts dieser Vielzahl von Herausforderungen zu beweisen.

Sie sprechen die hohen Benzinpreise an – hier hat die Politik gegengesteuert und versucht, den Verbraucher finanziell zu entlasten. In Sachen Gastronomie scheint so etwas schwer vorstellbar. Droht die Branche hier ein wenig hinten runterzufallen?

An der Stelle hat die Gastronomie überhaupt keine Hilfen zu erwarten! Die Branche ist sehr dankbar für die geleisteten Hilfen während der Corona-Zeit. Aber jetzt muss damit auch irgendwann Schluss sein. Die Gastronomie ist ja an sich ein gesundes Geschäftsmodell. Gastwirtschaft gibt es seit über sechstausend Jahren. Man muss nur als Gastwirt mit den aktuellen Entwicklungen Schritt halten. Die Preise gehen derzeit nach oben, die Löhne ebenfalls, und auch die Verunsicherung ist gestiegen. Das sorgt natürlich für Verwerfungen, aber es ist nicht das Ende. Man muss nun mehr Bewusstsein dafür entwickeln, was die Lage erfordert, und diesen Weg mit Konsequenz und Disziplin verfolgen.

Sie setzen also auf die Selbstheilungskraft der Branche?

Absolut, ja.


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