Eine Stadt als Museum - Fünf Euro für Venedig

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Der Gedanke ist natürlich alles andere als originell. Wie oft mag im Laufe der letzten, sagen wir hundert, Jahre in Venedig an einem der vielen Kanäle wieder einmal ein Besucher zu der Erkenntnis gekommen sein, dass eigentlich doch diese gesamte Stadt ein Museum sei. 

Jetzt ist der Zustand tatsächlich so gut wie erreicht: Am nächsten Donnerstag (25. April), wenn Italien mit einem Feiertag an die Befreiung von deutscher Besatzung 1945 erinnert, verlangt die Lagunenstadt an der Adria zum ersten Mal in ihrer mehr als 1600-jährigen Geschichte von Tagesurlaubern Eintritt: Wer zwischen 8.30 Uhr und 16.00 Uhr kommt und nicht übernachten will, muss fünf Euro zahlen. 

Overtourism mit großen Schäden

Damit endet ein schier ewig dauernder Streit der Venezianer untereinander, und es beginnt ein weltweit einzigartiges Experiment, das in anderen ebenfalls überlaufenen Reisezielen genau beobachtet wird. 

Overtourism, wie das die Fachleute nennen, richtet auch in Städten wie Amsterdam, Barcelona oder Dubrovnik inzwischen beträchtlichen Schaden an. An Straßen und Gebäuden, aber auch in der Gesellschaft. Der ewige Trubel und die hohen Preise bringen viele Leute dazu, ihre Heimat für immer zu verlassen.

In Venedig lässt sich das schon längere Zeit beobachten: In der Altstadt leben heute keine 50 000 festen Einwohner mehr. Vor ein paar Jahrzehnten waren es noch 175 000. Dafür gibt es mehr als 50 000 Gästebetten. Schon jetzt, weit vor der Hochsaison, ist in den engen Gassen rund um Markusplatz und Rialtobrücke kaum noch ein Durchkommen.

Mehr als 100 000 Touristen pro Tag

An manchen Tagen sind mehr als 100 000 Touristen unterwegs. Alles in allem waren es vergangenes Jahr geschätzt wohl um die 15 Millionen. Der Strom der Besucher wird in einem Kontrollzentrum auf der Tronchetto-Insel am Bahnhof auf einer riesigen Wand mit Bildschirmen überwacht. 

Den schlimmsten Ruf haben die Kreuzfahrt-Touristen mit Namensschild, die nur stundenweise in der Stadt sind und herdenweise hinter einem Wimpel herlaufen, sowie Tagesurlauber, die kaum länger bleiben und peinlich genau aufs Geld schauen. Der Gondoliere Andrea Gianello (27) klagt: «Die kommen morgens mit dem Zug vom Festland, haben im Rucksack Wasserflasche und selbst geschmierte Butterbrote dabei. Damit halten sie dann bis zum Abend durch. Alles, was wir von ihnen haben, ist ihr Müll.»

29 Tage bis Mitte Juli

Nun müssen Kurzzeit-Besucher fünf Euro «Contributo di Accesso» (Zugangsbeitrag) zahlen, durchgehend vom 25. April bis zum 5. Mai und dann mit einer einzigen Ausnahme an allen Wochenenden bis Mitte Juli - insgesamt 29 Tage, an denen der Betrieb erfahrungsgemäß besonders groß ist. Das funktioniert, indem man sich übers Internet einen QR-Code besorgt und aufs Handy lädt. Andernfalls werden 50 bis 300 Euro Strafe fällig. Kontrolliert wird insbesondere am Bahnhof und an den wichtigsten Anlegestellen der Boote wie dem Markusplatz. Ausgenommen sind Einheimische, Pendler und Kinder unter 14. 

Übernachtungsgäste brauchen ebenfalls einen QR-Code, bekommen den aber vom Hotel oder vom Vermieter umsonst. Bei den Hoteliers von Venedig ist die Gebühr wenig beliebt, weil sie zusätzliche Arbeit macht. Viele reden von «Schikane». Auch Geschäftsleute und Bürgerinitiativen versuchten über Jahre hinweg aus den verschiedensten Gründen, das Vorhaben zu stoppen. Ohne Erfolg: Im Stadtrat gab es im Herbst eine klare Mehrheit - was auch damit zusammenhing, dass die Unesco damals kurz davor war, Venedig auf die Rote Liste des «bedrohten Weltkulturerbes» zu setzen.

Kein Geld für Sanierungen

Einen solchen Imageverlust konnte Bürgermeister Luigi Brugnaro mit der Gebühr gerade noch verhindern. Jetzt versichert der Mitte-Rechts-Politiker: «Es geht nicht darum, Kasse zu machen. Die Aktion kostet mehr als wir einnehmen. Erstes Ziel ist es, die Stadt zu schützen und wieder lebenswert zu machen.» Die Zeitung «Corriere della Sera» kam beim Nachrechnen ebenfalls zu dem Schluss, dass die erwarteten Einnahmen gerade ausreichen, um die nötige Infrastruktur und die Kontrollen zu finanzieren. Bislang bliebe also gar nichts übrig, um - wie versprochen - mit dem Geld Kanäle, Straßen und Gebäude zu sanieren.

Zudem sind viele Experten skeptisch, ob das «Venedig-Ticket» tatsächlich etwas bringt. Warum sollte sich in einer Stadt mit teils irrwitzigen Preisen jemand von fünf Euro abschrecken lassen? Im «Caffè Florian» am Markusplatz kostet der Cappuccino inzwischen zwölf Euro. Der Abend-Tarif für eine halbe Stunde Gondelfahrt liegt bei 110 Euro. Ronnie Breuer (44), der mit der Familie aus Erfurt angereist ist, sagt: «Diese Stadt macht mich jetzt schon arm. Auf fünf Euro kommt es da auch nicht mehr an.»

Allerdings wäre es damit nicht getan: Die Breuers - Frau, Sohn und Schwiegermutter noch - gehören zu den Leuten, die sich auf dem Festland eingemietet haben: eine Wohnung für eine Woche. Drei Erwachsene, fünf Euro, sieben Tage - mit der neuen Regelung würden 105 Euro fällig. Der Tischler findet das trotzdem in Ordnung. «Die Stadt hat eine Sanierung definitiv nötig», sagt Breuer. «Das ist eine einzige Baustelle - wie Deutschland Autobahn.»

Eine Unmenge an Daten

Offiziell ist alles bislang nur ein Versuch: Über den 14. Juli hinaus gibt es noch keine Termine. Doch kaum jemand erwartet, dass die einmal eingeführte Gebühr rückgängig gemacht wird. Wahrscheinlicher ist, dass künftig an mehr als 29 Tagen Geld verlangt wird, gestaffelt nach Belastung. Zudem kann, wenn jeder übers Handy angemeldet ist, auch bis ins Detail verfolgt werden, wie sich der Strom der Besucher durch die Stadt bewegt. Im Kontrollzentrum auf der Tronchetto-Insel lässt sich heute schon aufschlüsseln, welche Nationalitäten gerade an der Rialto-Brücke in der Mehrheit sind. Künftig gibt es noch ganz andere Möglichkeiten. 

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Redaktionelle Hinweise

 

  • Zu diesem Text finden Sie Bilder mit folgendem Titel im dpa Bildangebot:
  • Boote und Gondeln auf einem Kanal
  • Eintrittsgebühr für Tagestouristen in Venedig
  • Venedig verlangt Eintritt von Tagesbesuchern
  • Venedig verlangt Eintrittsgeld - Bürgermeister Brugnaro

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