Couch statt Party - Alkoholkonsum in der Pandemie

| Zahlen & Fakten Zahlen & Fakten

Zwei Jahre kein Oktoberfest, weniger Partys und kaum noch Weihnachtsfeiern: Das hat sich deutlich auf den Alkoholkonsum in Deutschland ausgewirkt. Es habe bislang während der Corona-Pandemie weniger Gelegenheiten zum gemeinsamen Trinken gegeben, sagt Suchtmediziner und Ärztlicher Direktor Falk Kiefer vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim.

Dennoch sei der durchschnittliche Alkoholkonsum in Deutschland im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie in etwa gleich geblieben, er habe sich nur in die Wohnungen und damit auf eine spezielle Untergruppe von Konsumenten verlagert, erläutert Kiefer, der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie ist.

«Menschen, die ohnehin schon regelmäßig Alkohol zuhause getrunken haben, zum Beispiel zum Schöntrinken des Abends - zum Vertreiben von Einsamkeit, Langeweile oder Sorgen, die trinken nun mehr», sagt Kiefer mit Verweis auf eigene und internationale Studien. Für Deutschland heißt das: «Die rund 25 Prozent der Erwachsenen, die vor der Pandemie überdurchschnittlich viel getrunken haben, haben ihren Konsum im Schnitt gesteigert.» Die meisten Menschen hätten ihren Alkoholkonsum jedoch nicht geändert, einige, die Geselligkeits- oder Partytrinker, ihn sogar reduziert.

Couch statt Party - Alkoholkonsum in der Pandemie

Im ersten Lockdown hatten laut einer Studie des Zentralinstituts und der Uniklinik Nürnberg sogar 37 Prozent der über 2000 befragten Erwachsenen einen höheren Alkoholkonsum angegeben als zuvor, 21 Prozent einen geringeren. Ein ähnliches Bild ergab sich dabei für den Tabakkonsum. Auch wenn solche Studien auf oft online erhobenen Selbstauskünften beruhen, sind die Ergebnisse durch die hohen Fallzahlen und die internationale Vergleichbarkeit laut Kiefer belastbar.

Der Bundesverband Wein und Spirituosen International kann das Bild für Alkohol im Groben belegen: Im Lebensmitteleinzelhandel und Online-Handel sei der Absatz von Wein und Sekt gestiegen, dies kompensiere die pandemiebedingten starken Rückgänge im Gastronomiebereich zumindest teilweise.

Ein internationales Team um Jakob Manthey von der TU Dresden hatte 40 000 Menschen in 21 Ländern Europas von April bis Juli 2020 nach dem Alkoholkonsum befragt. Demnach wurde in dieser Zeit insgesamt etwas weniger Alkohol getrunken als zuvor. «Der Rückgang des Konsums ist vor allem auf eine Reduktion der Gelegenheiten zum Rauschtrinken zurückzuführen», schreiben die Autoren.

Weniger Deutsche reduzieren das Trinken

In Deutschland (1659 Befragte; 24.4. bis 30.6.2020) habe der Konsum im Schnitt nicht so stark abgenommen wie in Europa insgesamt. So hätten weniger Menschen das Trinken reduziert. Zudem habe es eine Zunahme des Konsums bei Frauen gegeben, bei Menschen mit beruflichen und finanziellen Schwierigkeiten sowie bei denjenigen, die ohnehin schon einen riskanten Alkoholkonsum hatten. Ein möglicher Grund sei der vergleichsweise geringe Preis: «In Deutschland sind alkoholische Getränke traditionell unterdurchschnittlich besteuert», schreiben die Forscher. Hier könne der Staat ansetzen.

Auch Kiefer sieht als einen Grund für ein vermehrtes Trinken den pandemiebedingten psychosozialen Druck. «Menschen, die die Pandemie als belastend empfunden haben, haben im Schnitt mehr getrunken als andere.» Stressfaktoren sind laut Kiefer zum Beispiel Mehrfachbelastungen durch Kinder im Home-Schooling oder Ehepartner im Homeoffice. Aber auch Langeweile und das Gefühl des Nichtgebrauchtwerdens sei für einige ein Grund zum Trinken.

Nach Angaben von Christine Kreider von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) ist es schwer, wieder von einem erhöhten Konsum loszukommen. «Alkohol hat die Eigenschaft, dass man sich an ihn gewöhnt.»

Kultur des Alkoholkonsums

«Wir haben zudem eine Kultur, in der Alkoholkonsum normal ist. Wir müssen aber vor allem eine Kultur entwickeln, in der wir mit Freunden, Bekannten und Familie darüber sprechen können», sagt die Expertin für Suchtprävention. Um ein besseres Gefühl für den eigenen Konsum zu erhalten, könne es helfen, sich selbst genauer zu beobachten, sagt sie und rät etwa, ein Trinktagebuch zu führen, dass es bei der DHS auch als App gibt (http://www.trinktagebuch.org). Auch Menschen, die denken, dass sie zu viel trinken, aber noch kein richtiges Problem damit haben, könnten zur Suchtberatung gehen. Und jeder sollte sich notfalls wirklich Hilfe holen: «Alkoholsucht ist keine Charakterschwäche, sondern eine Krankheit», sagt Kreider.

Angehörige und Freunde sollten es ansprechen, wenn sie meinen, dass jemand zu viel trinkt, rät Mediziner Kiefer. «Wichtig ist, dies nicht als Vorwurf zu formulieren, sondern als Sorge um den anderen. Das regt mehr zum Nachdenken an.»

Alkoholkonsum ist laut Kreider immer riskant. «Es ist ein Zellgift, das schadet mit jedem Tropfen und spielt bei rund 200 Krankheiten eine Rolle. Das berühmte gesunde Glas Rotwein ist ein Ammenmärchen», sagt Kreider. «Kein Tropfen Alkohol ist daher der beste Weg.» Möchten Erwachsene dennoch etwas trinken, sollte die Menge bei gesunden Frauen 12 Gramm Alkohol (etwa 0,3 Liter Bier oder 0,15 Liter Wein) pro Tag nicht überschreiten, für Männer gelte die doppelte Menge. Als Voraussetzung dafür sieht die DHS dabei mindesten zwei bis drei alkoholfreie Tage pro Woche an. Jeder reagiere zudem anders auf Alkohol, so seien etwa auch Größe und Gesundheitszustand zu beachten.

Und für Feste wie etwa Silvester? Vorher überlegen, wie viel man trinken wolle, rät Kreider. «Sich bewusst machen, was man möchte, und das den anderen auch sagen.» Und eben auch mal deutlich machen: «Ich habe mich entschieden, heute keinen Alkohol zu trinken.» (dpa)


 

Zurück

Vielleicht auch interessant

Kinder und Jugendliche nehmen trotz eines Rückgangs ihres Zuckerkonsums im Vergleich zu früher immer noch zu viel Zucker zu sich. Das ist das Ergebnis einer Studie der Universität Bonn, die die Aufnahme von freiem Zucker im Alter von 3 bis 18 Jahren ausgewertet hat.

Das Smartphone nicht sofort griffbereit zu haben - für die meisten von uns fast unvorstellbar. Manche Arbeitgeber aber verbieten die private Handynutzung am Arbeitsplatz. Ist das erlaubt?

Ferienwohnungen bieten einigen Komfort. Doch wenn etwas zu Bruch geht, kann das die Freude schnell trüben. Welche Versicherungen wichtig sind – und worauf Urlauber besonders achten sollten.

Auch im Frühjahr ist die Zahl der Erwerbstätigen in Deutschland weiter gestiegen. Im zweiten Quartal dieses Jahres gingen 46,1 Millionen Menschen einem Job nach oder waren selbstständig. Neue Jobs entstanden allerdings fast ausschließlich in einem Bereich.

Bei vielen galt Alkohol in Maßen lange als gesundheitsfördernd. Doch das stimmt wohl nicht. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung hat ihre Position dazu jetzt verändert.

Was weiß der Arbeitgeber schon über den Bewerber, bevor er zum Vorstellungsgespräch eingeladen wird? Eine Suchmaschinenabfrage kann vieles preisgeben. Aber ist das auch erlaubt?

Die Distributionsstrategie eines Unternehmens bildet einen essenziellen Bestandteil seiner langfristigen Wettbewerbsfähigkeit und Rentabilität. In einer globalisierten und digitalisierten Wirtschaftsumgebung ist die strategische Planung und Implementierung von Distributionskanälen von entscheidender Bedeutung für den Erfolg. Ein Gastbeitrag der HSMA.

Bereitschaftsdienst, Rufbereitschaft, Arbeit auf Abruf: Alles das Gleiche? Nein, denn das eine gilt als Arbeitszeit und das andere nicht. Wann wird es bezahlt - und wann nicht?

Der Lachs hat den Alaska-Seelachs wieder als Lieblingsfisch der Deutschen abgelöst. Insgesamt kauften die Bundesbürger im vergangenen Jahr weniger Fisch, bezahlten dafür aber mehr.

Einmal abgemahnt, dann gekündigt? Kann es wirklich so schnell gehen? Was genau eine Abmahnung bedeutet und wie viele man als Arbeitnehmer kassieren kann.