Experten: Personalnot ist Ergebnis fehlender Neueinstellungen

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Nach der Corona-Krise stehen viele Unternehmen jetzt vor einer Personal-Krise. Dafür verantwortlich ist nach Ansicht von Arbeitsmarktforschern aber keine massenhafte Abwanderung von Arbeitskräften in den von der Pandemie besonders betroffenen Branchen. Vielmehr seien über fast alle Branchen hinweg weniger sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse beendet worden als vor Corona, erläuterte Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg. Der Personalmangel sei dadurch entstanden, dass manche Unternehmen in der Krise weniger Arbeitskräfte neu eingestellt hätten.

«Das ist ein Ergebnis quer durch die Branchen», sagt Weber. Nach einer Auswertung, die er gemeinsam mit seinem IAB-Kollegen Christof Röttger erstellt hat, sank die Zahl der beendeten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse in der Krisenzeit (Mai 2020 bis April 2021) im Vergleich zum Vorkrisenniveau um rund zehn Prozent. Im Frühling und Sommer 2021 stieg die Zahl zwar wieder an, lag bis November 2021 aber weiterhin unter dem Niveau vor der Corona-Krise. Aktuellere Zahlen lagen den Angaben nach nicht vor.

In der Luftfahrtbranche, wo gerade wegen fehlenden Personals europaweit Flüge ausfallen oder sich verspäten, wurden nach Berechnungen der IAB-Experten von März 2020 bis Dezember 2021 sogar rund 28 Prozent weniger sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse beendet als im Vorkrisenzeitraum März 2018 bis Dezember 2019. Bei den sonstigen Dienstleistungen für die Luftfahrt waren es rund 11 Prozent weniger, beim Frachtumschlag sogar fast 60 Prozent.

Die Erklärung der Experten: Während der Krise haben viele Arbeitgeber Gebrauch von Kurzarbeit gemacht und konnten so Entlassungen vermeiden. Viele hätten auch deshalb versucht, ihre Leute zu halten, weil Personal knapp sei, sagte Weber. Und auch Arbeitnehmer hätten wegen der schlechten Aussichten auf dem Arbeitsmarkt auf Kündigungen verzichtet.

Das bestätigt die Bundesagentur für Arbeit auch für die Gastronomie, in der hohe Fluktuationen sonst typisch sind. Während der Pandemie sei vielen Arbeitnehmern dort das Risiko einer beruflichen Neuorientierung zu groß gewesen, teilte eine Sprecherin mit. Gleichzeitig habe es aber deutlich weniger Neuzugänge aus anderen Berufsfeldern oder von Neueinsteigern gegeben, zum Beispiel nach absolvierter Ausbildungszeit oder Zuwanderung.

Menschen, die in der Krise jedoch ihren Arbeitsplatz verloren haben, haben nach Einschätzung der Bundesagentur in anderen Branchen nach Beschäftigung gesucht. Vor allem Hotels und Gaststätten verloren nach einer neuen Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft viele Beschäftigte, die in den Einzelhandel sowie ins Verkehrs- und Logistikgewerbe wechselten.

Nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit kam es in der Gastronomie im ersten Corona-Jahr zu einem Netto-Beschäftigungsminus von rund 47 000 Personen. In der Luftfahrtbranche, zu der Airlines, der Betrieb von Flughäfen und die weiteren Dienstleitungen für den Luftverkehr zählten, registrierte die Bundesagentur 104 000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte zum Jahresende 2021 - und damit 13 Prozent weniger als zwei Jahre zuvor. Auch die Nachfrage nach Personal in den Luftverkehrsberufen brach demnach ein.

Doch diese Nachfrage zieht nun nach Angaben der Bundesagentur wieder kräftig an. Die Zahl der Arbeitslosen in den Luftverkehrsberufen sei im Juni 2022 jeweils ähnlich hoch oder sogar geringer gewesen als die der Stellenangebote, erläuterte die Sprecherin der Bundesagentur. Das bedeute, dass das zur Verfügung stehende Potenzial aus Arbeitslosen sehr knapp sei, denn nicht jede Stelle werde bei den Arbeitsagenturen gemeldet.

«Alle coronabetroffenen Branchen haben jetzt das gleiche Problem. Sie wollen alle ihren Nachholbedarf gleichzeitig und kurzfristig decken», sagte Weber. Aber so schnell könne das der Arbeitsmarkt nicht leisten. Deshalb gehe er davon aus, dass sich die Situation erst Schritt für Schritt bessere und eine Normalisierung erst im kommenden Jahr erreicht sei - vorausgesetzt, es komme im Herbst nicht wieder zu einer heftigen Corona-Welle. (dpa)


 

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