Diskussion um Corona-Instrumentarium im Herbst

| Politik Politik

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat sich zuversichtlich gezeigt, den Koalitionspartner FDP von einer Verlängerung des Infektionsschutzgesetzes und der Maskenpflicht überzeugen zu können. Mit Blick auf eine möglicherweise wieder kritischere Corona-Situation im Herbst sagte der SPD-Politiker am Donnerstagabend im ZDF-«heute journal», Deutschland werde «auf jeden Fall über den 23.9. hinweg ein Infektschutzgesetz haben, was uns die Vorbereitungen gibt, die wir brauchen». Am 23. September läuft die bisherige Rechtsgrundlage für die Schutzmaßnahmen aus. Mit Blick auf die Maskenpflicht und die FDP fügte Lauterbach hinzu: «Ich glaube, dass wir da übereinkommen.»

Die FDP, die so wenig Corona-Schutzmaßnahmen wie möglich will, pocht darauf, zunächst mehrere Expertenberichte dazu abzuwarten. Die Ministerpräsidenten der Länder und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatten am Donnerstag verabredet, frühzeitige Vorkehrungen für eine kritischere Corona-Lage im Herbst zu treffen. Scholz sagte im Anschluss, alle Handlungsmöglichkeiten, die gebraucht würden, sollten zur Verfügung stehen - flächendeckende Schließungen von Schulen und Kitas solle es aber nicht mehr geben.

Die Länder-Gesundheitsminister hatten einstimmig einen möglichen Katalog etwa mit Maskenpflichten in Innenräumen und Zugangsregeln wie 2G und 3G (Zugang nur für Geimpfte, Genesene oder Getestete) zusammengestellt.

Der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen begrüßte die gemeinsame Absicht von Bund und Ländern. Neben einer zielgerichteten Impfkampagne und Teststrategie sei besonders eine bessere Datenlage wichtig, sagte der Bundestagsabgeordnete der Deutschen Presse-Agentur. Der Fokus müsse in den Ländern auf einer raschen Digitalisierung im öffentlichen Gesundheitsdienst und auf tagesaktuellen Daten liegen - etwa zur Verfügbarkeit betreibbarer Klinikbetten und zu Kapazitäten von Notaufnahmen und Rettungsdienst.

Der Deutsche Landkreistag nannte auch «Maskenpflichten in Innenräumen und im ÖPNV, gegebenenfalls auch Kontaktbeschränkungen». Ländern und Kommunen dürften die Hände nicht gebunden sein, sollte es örtlich erforderlich werden, verlangte Landkreistag-Präsident Reinhard Sager beim Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz verlangte eine Verlängerung der kostenlosen Bürgertests in Teststellen über den Juni hinaus. Derzeit würden immer noch täglich mehr als 100 an oder mit Corona Gestorbene gezählt, sagte Vorstand Eugen Brysch dem RND. Die Länder hatten den Bund bei der Ministerpräsidentenkonferenz bereits gebeten, die kostenlosen Bürgertests länger zu finanzieren.

Nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) könnte der stetige Fallzahlen-Rückgang vorerst gestoppt sein: In der aktuellen Woche stagniere er, teilte das Institut am Donnerstagabend mit. Der Anteil die Omikron-Sublinie BA.5 verdoppelt sich demnach von Woche zu Woche - allerdings auf noch niedrigem Niveau: Laut RKI sind es zuletzt 5,2 Prozent.

Dahmen sagte, als Arzt besorge ihn zudem besonders eine zur Zeit international starke Ausbreitung weiterer Atemwegserkrankungen unter anderem durch Grippeviren. «Auch ohne neue gefährlichere Corona-Virusvarianten könnte dies im Herbst in Deutschland zu einer neuerlichen schweren Belastungsprobe im Gesundheitswesen führen.» Es sei deshalb richtig, dass sich alle Länder zu einem wissenschaftsbasierten vorsorgenden Kurs bei der Vorbereitung auf den Herbst bekannt hätten.

Der Virologe Klaus Stöhr hingegen sieht keine Gefahr und wirft Lauterbach Panikmache vor. «Dazu gehört dieses ganze Drohszenarium, was man wieder vom Gesundheitsministerium aufbaut», sagte er dem Fernsehsender Welt. Es könne zwar sein, dass die Virusvariante BA.5 wie in Portugal zu einem Wiederanstieg an Fällen führe. «An asymptomatischen Fällen, aber nicht auf den Intensivstationen, nicht in den Krankenhäusern - da ist völlige Entspannung.» Stöhr soll als Nachfolger des Berliner Virologen Christian Drosten auf Vorschlag der Union in die Kommission zur wissenschaftlichen Beurteilung der staatlichen Corona-Beschränkungen einziehen.

Corona ab Herbst: Bund und Länder wollen «Winterreifen» vorbereiten

Bund und Länder wollen frühzeitige Vorkehrungen für eine wohl wieder kritischere Corona-Lage im Herbst treffen. Kanzler Olaf Scholz (SPD) sagte nach Beratungen mit den Ministerpräsidenten am Donnerstag in Berlin, alle Handlungsmöglichkeiten, die gebraucht würden, sollten zur Verfügung stehen. Flächendeckende Schließungen von Schulen und Kitas solle es nicht mehr geben. Vor Entscheidungen zu möglichen weitergehenden Schutzvorgaben wie Maskenpflichten sollen aber noch angekündigte Experteneinschätzungen abgewartet werden. Die Länder forderten, auch kostenlose Corona-Bürgertests zu verlängern.

Scholz sagte mit Blick auf gesunkene Infektionszahlen, der Sommer werde wohl als «gute Verbesserung» wahrgenommen. Im Herbst und Winter könnten aber möglicherweise wieder andere Voraussetzungen herrschen. «Deshalb ist die klare Verabredung, dass wir uns genau auf diesen Moment vorbereiten.» Nach dem geänderten Infektionsschutzgesetz sind seit Anfang April die meisten staatlichen Schutzvorgaben im Alltag weggefallen. «Wir haben jetzt Sommerreifen drauf», formulierte der Kanzler. Nun gehe es darum, «die richtigen Winterreifen» bereit zu haben, wenn es darauf ankomme - und vielleicht weitere Maßnahmen. Nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) stagnierte der zuletzt deutliche Rückgang bei den Neuinfektionen in der aktuellen Woche.

DER FAHRPLAN: Konkret geht es um eine Anschlussregelung für die am 23. September auslaufende Rechtsgrundlage im Infektionsschutzgesetz. In der nächsten Woche will der Corona-Expertenrat der Bundesregierung eine Stellungnahme zum Herbst und Winter vorlegen. Außerdem soll laut Gesetz bis 30. Juni eine Kommission zur Beurteilung der bisherigen Corona-Beschränkungen einen Bericht erstellen - auf Vorschlag der Union soll der Virologe Klaus Stöhr für den ausgeschiedenen Forscher Christian Drosten ins Gremium nachrücken, wie der Gesundheitsexperte Tino Sorge (CDU) mitteilte. Scholz erwähnte zudem eine Auswertung des einst eingerichteten Corona-Krisenstabs. Alle seien nun sehr dafür gewesen, den Expertisen nicht mit «Schnellschüssen» vorzugreifen.

DIE INSTRUMENTE: Gesundheitsminister Karl Lauterbach plant bereits umfassende Vorkehrungen. «Wir dürfen nicht erneut unvorbereitet wie im letzten Herbst in die Krise gehen», sagte der SPD-Politiker im Bundestag. Dazu gehörten neben Änderungen im Infektionsschutzgesetz Konzepte zu Impfungen und Tests, genauere Daten zur Belastung von Kliniken, ein besserer Schutz von Risikogruppen etwa in Pflegeheimen. Das Impfkonzept sehe vor, dass es für alle Virusvarianten, die kommen könnten, den richtigen Impfstoff gebe. Die Länder-Gesundheitsminister hatten einstimmig einen möglichen Katalog etwa mit Maskenpflichten in Innenräumen und Zugangsregeln wie 2G und 3G (Zugang nur für Geimpfte, Genesene oder Getestete) zusammengestellt.

DIE LÄNDER-FORDERUNGEN: Nach offenem Ärger der Länder über einen ziemlichen Bundes-Alleingang bei den Corona-Lockerungen soll nun mehr Gemeinsamkeit her. «Es ist gut, dass wir zurückkommen zu einer intensiven Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern», sagte der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Hendrik Wüst (CDU) aus Nordrhein-Westfalen. Die Länder baten den Bund, die kostenlose Bürgertests über Ende Juni hinaus zu finanzieren. Damit haben alle auch ohne Symptome Anspruch auf mindestens einen Schnelltest pro Woche an Teststellen durch geschultes Personal und mit Bescheinigung.

Weitere Themen der Ministerpräsidentenkonferenz:

ENERGIESICHERHEIT: Angesichts des russischen Kriegs auf die Ukraine forderte Wüst im Namen der Länder, Abhängigkeiten von autoritären Regimen umfassend zu vermeiden. «Bei allen systemrelevanten Gütern und Technologien» müsse Deutschland unabhängig werden. Das gelte nicht nur für Energie, sondern etwa auch im Gesundheitsbereich.

KRIEGSGEWINNLER: Die Länder halten ein stärkeres staatliches Vorgehen gegen Energiekonzerne wegen hoher Gewinne infolge des Ukraine-Kriegs für nötig. Die Länder wollen die Bundesregierung bitten, «regulatorische Maßnahmen zu ergreifen, um die weitere Spekulation mit Öl, mit Gas, mit Strom zu unterbinden», sagte Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD). Preiserhöhungen der vergangenen Wochen müssten kartellrechtlich überprüft werden.

INFLATION: Angesichts der hohen Inflationsrate fordern die Länder höhere steuerliche Entlastungen auch für Rentnerinnen und Rentner. Darüber herrsche «große Einigkeit», sagte Wüst. Er glaube, dass die Problematik nur zu lösen sei, wenn es die Bereitschaft gebe, über weitere steuerliche Maßnahmen zu reden, antwortete er auf die Frage nach den Erwartungen an die Bundesregierung. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Im Rahmen der mehr als 30 Milliarden Euro Entlastungen gibt der Bund im Jahr 2022 seine Mehreinnahmen an die Menschen zurück.» Weitere Entlastungen seien wünschenswert, erfordern aber einen noch größeren Beitrag der finanziell gut aufgestellten Länder wie NRW.

ELEMENTARSCHÄDEN: Die Länder sprachen sich für die Wiedereinführung einer Pflichtversicherung gegen Elementarschäden für alle Gebäudebesitzer aus. Der Bund soll nun bis Jahresende einen Vorschlag für eine Regelung erarbeiten. Zuvor hatten die Länder-Justizminister festgestellt, dass eine Pflichtversicherung verfassungsrechtlich möglich sei. Nach den Hochwasserkatastrophen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz im Sommer 2021 war eine neue Debatte darüber entbrannt, Schäden besser abzusichern.

ÖFFENTLICH-RECHTLICHER RUNDFUNK: Die Länder wollen den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks schärfen und einigten sich auf Änderungen im Staatsvertrag. Perspektivisch wollen sie in einem weiteren Schritt die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit ARD, ZDF und Deutschlandradio in den Blick nehmen. Im Oktober könnte der geänderte Staatsvertrag von den Ministerpräsidenten unterschrieben werden.


 

Zurück

Vielleicht auch interessant

Die Regierung sieht fehlende Fachkräfte als zentrales Risiko für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Nun treten Regelungen in Kraft, die mehr Nicht-EU-Bürger auf den Arbeitsmarkt locken sollen.

Das EU-Parlament hat grünes Licht für strengere Transparenzregeln für große Vermietungsplattformen wie Airbnb, Booking, Expedia oder TripAdvisor gegeben. Unter anderem sollen Städte so besser gegen illegale Angebote auf den Plattformen vorgehen können.

Reisewirtschaft und Tourismusbranche haben eine gemeinsame Position zum Entwurf der Europäischen Kommission zur Revision der Pauschalreiserichtlinie vorgelegt, die die Akteure im Deutschlandtourismus sowie im In- und Outboundtourismus in dieser Frage vereint.

Das neue Kompetenzzentrum „Grüne Transformation des Tourismus“ hat seine Arbeit aufgenommen. Das Kompetenzzentrum soll als Informationsknotenpunkt rund um die grüne Transformation Wissen teilen, Best Practices hervorheben und Innovationen fördern.

Eine stärkere Flexibilisierung der Arbeitszeit fordert die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag in einem Antrag. Auch der DEHOGA fordert, dass Unternehmen und Mitarbeiter, im Rahmen einer wöchentlichen Höchstgrenze, die Möglichkeit bekommen, die Arbeitszeit flexibler auf die Wochentage zu verteilen.

Im Rahmen des Entwurfs zum vierten Bürokratieentlastungsgesetz erneuert der BTW noch einmal seine Forderung nach zielführendem Bürokratieabbau für die Unternehmen der Tourismuswirtschaft.

EU-Pläne für einen besseren Schutz von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Online-Plattformen sind vorerst vom Tisch. Vor allem FDP-Vertreter hatten sich gegen das Gesetz ausgesprochen. Deutliche Kritik daran kam nun von der Gewerkschaft NGG.

In Belgien findet am Dienstag die informelle Ministertagung Tourismus statt. Darin soll es unter anderem um „Die doppelte Wende des Sektors - digital und nachhaltig“ und konkret um eine Zwischenbewertung des „EU Transition Pathway for Tourism“ gehen.

Wer über Online-Plattformen als Essenslieferant, Taxifahrer oder Hausangestellter arbeitet, sollte mit neuen EU-Regeln mehr Rechte bekommen. Nun kommen sie erst einmal nicht. Auch die Bundesregierung hatte sich bei der Abstimmung enthalten.

Vertreterinnen und Vertreter der EU-Staaten stimmen an diesem Freitag voraussichtlich über bessere Arbeitsbedingungen für Beschäftigte von Online-Plattformen wie Liefer- und Fahrdiensten ab. Die Betroffenen sollen unter anderem besser gegen Scheinselbstständigkeit geschützt werden.