Experten beurteilen Corona-Beschlüsse zurückhaltend

| Politik Politik

Wissenschaftliche Experten beurteilen die von Bund und Ländern beschlossenen Maßnahmen zur Bekämpfung der Coronakrise zurückhaltend. Die «Beschlüsse gehen in die richtige Richtung, kommen aber zu spät», sagte etwa Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Die Impfpflicht für medizinisches Personal werde sich ebenso wie das intensivierte Boostern erst langsam auswirken, etwa im Januar. «Insofern ist die sofortige Umsetzung des Testens in Pflege- und Senioreneinrichtungen extrem wichtig, um dort so viel Sicherheit wie derzeit möglich zu schaffen und Sterblichkeit nicht wieder explodieren zu lassen», sagte er.

«Unsere Modelle zeigen, dass die den Ländern nun zur Verfügung stehenden Maßnahmen in Ländern mit einer hohen Impfquote - mindestens 70 Prozent der Bevölkerung zweimal geimpft - ausreichen, um die Dynamik zu stoppen», sagte Kai Nagel von der Technischen Universität Berlin der dpa. Für die Eindämmung des Infektionsgeschehens leiste insbesondere die Kombination aus 2G plus im Freizeitbereich und 3G am Arbeitsplatz beziehungsweise Homeoffice einen sehr deutlichen Beitrag. Das gelte unter der Annahme, dass in Bildungseinrichtungen über regelmäßiges Lüften, Testen und Maskenpflicht Ansteckungen unterbunden würden. In Ländern mit niedriger Impfquote, in denen weniger als 60 Prozent zweimal geimpft sind, seien aber stärkere Maßnahmen nötig.

Laut den Bund-Länder-Beschlüssen vom Donnerstag tritt die 2G-Regelung, nach der nur noch Geimpfte und Genesene Zutritt zu Freizeitveranstaltungen, Gastronomie und Hotels haben, in Kraft, wenn die sogenannte Hospitalisierungsrate über 3 liegt. Der Wert gibt an, wie viele Corona-Infizierte pro 100 000 Menschen in den vergangenen sieben Tagen ins Krankenhaus kamen. Steigt die Krankenhaus-Rate auf mehr als sechs, sollen Geimpfte und Genesene in bestimmten Einrichtungen wie Diskotheken, Clubs und Bars zusätzlich einen Test vorlegen (2G plus).

Der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Gernot Marx, zweifelt daran, dass die neuen Beschlüsse zur Corona-Bekämpfung ausreichend sind. Er mache sich große Sorgen wegen des ungebremsten Infektionsgeschehens und einer exponentiell steigenden Belastung der Intensivstationen, sagte Marx am Freitag im Deutschlandfunk.

Es gebe keinen Grund zur Panik, die Lage sei aber sehr beunruhigend, schätzte Marx die Lage auf Intensivstationen generell ein. In einigen Regionen sei die Lage äußerst angespannt und am Limit. In vielen Bereichen sei das normale planbare OP-Programm noch durchführbar, aber in Regionen wie Berlin, Bayern, Sachsen und Thüringen an vielen Orten nicht mehr.

Der Immunologe Michael Meyer-Hermann bezeichnete das Auslaufen der Notfall-Lage als «absurde Entscheidung». In den ARD-«Tagesthemen sagte der Experte vom Braunschweiger Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung ferner, man wisse aus anderen Ländern, dass die 2G-Regel, also Zutritt nur für Geimpfte und Genesene, nicht reiche, um den aktuellen Anstieg zu bremsen. Auch eine massive Impfkampagne helfe nicht, «um diese vierte Welle jetzt sofort zu brechen». Effekte seien erst im Januar oder Februar sichtbar. Dennoch bleibe das Impfen die einzige Chance, das Corona-Problem zu lösen. Entweder bekomme eine Person das Virus oder werde geimpft. Die zweite Option sei die bessere Wahl.

Für Pflegeheime und Kliniken sind zunächst strengere Testpflichten für Beschäftigte und Besucher vorgesehen. Darüber hinaus baten die Bundesländer den Bund, eine Impfpflicht für alle einzuführen, die Kontakt zu besonders gefährdeten Personen haben. «Ich finde, dass es für uns in Berufen mit Gesundheitsbezug selbstverständlich sein sollte, dass wir uns impfen, dass wir unsere Patienten diesbezüglich schützen», sagte der Mediziner Gérard Krause vom Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig am Donnerstag in einem ARD Extra zur Coronalage. Betreiber entsprechender Einrichtungen hätten eine Verpflichtung ihren Patienten gegenüber, sicherzustellen, dass das Personal geimpft ist. «Dass das jetzt über eine Impfpflicht eingeführt werden muss, halte ich für bedauerlich, es sollte eigentlich selbstverständlich sein, dass das medizinische Personal und auch das pflegende Personal geimpft ist.» (dpa)


 

Zurück

Vielleicht auch interessant

Die EU will Verpackungsmüll den Kampf ansagen. Geplante neue Regeln werden etwa in Europas Supermärkten und Restaurants zu spüren sein. Deutsche Ziele allerdings sind zum Teil ambitionierter. Fragen und Antworten.

Heute startet die ITB in Berlin. Am Freitag beginnt die Internorga in Hamburg. Menschen aus über 180 Ländern kommen diese Woche nach Deutschland. Die aktuellen Streikankündigungen treffen zehntausende Gäste mit voller Wucht. Branchenvertreter bringt das auf die Zinne.

Der nächste Streik der Lokführergewerkschaft GDL wird nach Darstellung der Deutschen Bahn «massive Auswirkungen» auf den Betrieb haben. Die CSU warf der Gewerkschaft in scharfen Worten einen Missbrauch des Streikrechts vor.

Die Regierung sieht fehlende Fachkräfte als zentrales Risiko für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Nun treten Regelungen in Kraft, die mehr Nicht-EU-Bürger auf den Arbeitsmarkt locken sollen.

Das EU-Parlament hat grünes Licht für strengere Transparenzregeln für große Vermietungsplattformen wie Airbnb, Booking, Expedia oder TripAdvisor gegeben. Unter anderem sollen Städte so besser gegen illegale Angebote auf den Plattformen vorgehen können.

Reisewirtschaft und Tourismusbranche haben eine gemeinsame Position zum Entwurf der Europäischen Kommission zur Revision der Pauschalreiserichtlinie vorgelegt, die die Akteure im Deutschlandtourismus sowie im In- und Outboundtourismus in dieser Frage vereint.

Das neue Kompetenzzentrum „Grüne Transformation des Tourismus“ hat seine Arbeit aufgenommen. Das Kompetenzzentrum soll als Informationsknotenpunkt rund um die grüne Transformation Wissen teilen, Best Practices hervorheben und Innovationen fördern.

Eine stärkere Flexibilisierung der Arbeitszeit fordert die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag in einem Antrag. Auch der DEHOGA fordert, dass Unternehmen und Mitarbeiter, im Rahmen einer wöchentlichen Höchstgrenze, die Möglichkeit bekommen, die Arbeitszeit flexibler auf die Wochentage zu verteilen.

Im Rahmen des Entwurfs zum vierten Bürokratieentlastungsgesetz erneuert der BTW noch einmal seine Forderung nach zielführendem Bürokratieabbau für die Unternehmen der Tourismuswirtschaft.

EU-Pläne für einen besseren Schutz von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Online-Plattformen sind vorerst vom Tisch. Vor allem FDP-Vertreter hatten sich gegen das Gesetz ausgesprochen. Deutliche Kritik daran kam nun von der Gewerkschaft NGG.