Göttliche Gärten: Wie die Reichenau die Bodenseeregion prägt

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Wie Säulen säumen die Stämme der jungen Bäume das Rasenrechteck direkt am Münster St. Maria und Markus auf der Bodensee-Insel Reichenau. «Sie symbolisieren den vormaligen Kreuzgang», sagt Karl Wehrle vom zuständigen Verkehrsverein. In einigen Jahren werden die zu horizontalen Spalieren geschnittenen Linden ein schattenspendendes Dach bilden. Gleich daneben blühen bunte Stauden in üppigen Beeten.

Bildlich ausgedrückt: Zum Klosterjubiläum hat sich das berühmte Eiland in Süddeutschland ordentlich in Schale geworfen. Zugleich wurde dafür gesorgt, dass das auch so bleiben möge - denn der neue Klostergarten, der jetzt schon hübsch aussieht, wird weiter gedeihen.

Im Jahr 2024 begeht Reichenau als Klosterinsel, die zum Unesco-Welterbe zählt, feierlich ihr 1300-jähriges Bestehen. Der Wandermönch Pirmin war im Jahr 724 auf die Insel im Bodensee übergesetzt und hatte dort das Kloster gegründet. Laut Unesco steht die Insel samt ihrer Bebauung heute beispielhaft «für die religiöse und kulturelle Rolle eines großen Benediktinerklosters im Mittelalter.»

Die weitläufige Gartenanlage trägt der großen Bedeutung der einstigen Benediktinerabtei Reichenau als Ort der Kunst, Kultur und Wissenschaft Rechnung. Auch die funkelnden Reliquien aus Gold und Edelsteinen in der Krypta des Münsters verdeutlichen das frühere Prestige.

Das ambitionierte neue Gartenprojekt passt zu der Insel, die bis heute für Gemüse- und Weinanbau steht. Die Anlage des Kräuterbeetes orientiert sich an dem ältesten erhaltenen Buch zum Thema Gartenbau «Hortulus» aus dem Jahr 841. Der Verfasser Abt Walahfrid Strabo war als Literat einer der führenden Köpfe in den Schreibstuben der Reichenau. In diesen Skriptorien entstanden begehrte Prachthandschriften mit einer enormen Strahlkraft im Bodenseeraum.

Blick vom Gefängnis ins Grüne

Auch der berühmte St. Galler Klosterplan aus dem Jahr 825 stammt von der Insel Reichenau. Er gilt als die älteste Architekturzeichnung eines christlichen Klosters in Europa. «Erst vor Kurzem haben Wissenschaftler den schielenden Gelehrten Walahfrid Strabo als Mitautor des Klosterplans identifiziert», sagt Cornel Dora. Der Stiftsbibliothekar im schweizerischen St. Gallen, knapp 50 Kilometer vom Bodensee entfernt, ist Herr über 1000 Handschriften allein aus dem Mittelalter.

In Doras Stiftsarchiv, das wie der ganze Stiftsbezirk St. Gallen ebenfalls zum Weltkulturerbe zählt, steigt die Spannung, als der automatische Sichtschutz leise surrend hochfährt und die Zeichnung freigibt. Im Dämmerlicht lassen Linien in roter Tinte eine Klosterwelt mit Gebäuden und Gärten erkennen. Allerdings nur für wenige Sekunden, mehr Licht auf einmal verträgt das wertvolle Dokument aus Pergament, das der Benediktiner Strabo einst mitverantwortete, nicht. Umgesetzt wurde dieser die Zeiten überdauernde Plan aber nie.

Das Klosterviertel von St. Gallen existiert dennoch. Besucher fühlen sich dort inmitten der Fachwerkhäuser ins Mittelalter versetzt. Seit Kurzem gibt es vor dem historischen Orangerie-Gebäude des Klosters einen neuen Kräutergarten. Hochbeete mit Heilpflanzen umringen eine mittig gesetzte Flaumeiche, die als klimaresistent gilt.

«Mit diesem Kräutergarten beziehen wir uns auf die Überlieferung der klösterlichen Gärten», sagt der Landschaftsarchitekt Christian Hänni, «doch ist unser Garten bewusst modern interpretiert.» Zwischen Fenchel, Kreuzkümmel und Wiesensalbei sitzen Einheimische und genießen die kleine Oase der Biodiversität. 

Reichenaus Spuren in der Bodenseeregion

Die frühmittelalterlichen Schriften der Insel Reichenau haben bis heute im Gartenbau in der Bodenseeregion ihre Spuren hinterlassen. Auch der Garten des ehemaligen Benediktinerklosters zu Allerheiligen im schweizerischen Schaffhausen nimmt Bezug auf einen klassischen Klostergarten, selbst wenn es sich um eine Rekonstruktion auf dem Jahr 1939 handelt.

In dem eng umbauten Kräutergarten wachsen 120 Gemüse-, Gewürz- und Heilpflanzen. Etliche davon kommen in der Bibel vor, insbesondere der Feigenbaum. In der Vergangenheit forschten Mönche zu Heilpflanzen. «So galt der Mönchspfeffer mit seiner nachgesagten anaphrodisierenden Wirkung als keuschmachende Pflanze für Geistliche», erläutert Urs Weibel vom Museum zu Allerheiligen.

Die Hobbygärtnerin Regula Stoll im nahegelegenen Weindorf Osterfingen im Kanton Thurgau hat Beete ebenfalls im Sinne von Abt Strabo angelegt. In ihrem Naturgarten empfängt die Schweizerin Gäste zur «Gelegenheitswirtschaft». Da gibt es Hausgemachtes mit Blick auf See- und Kletterrosen.

«Wir wollen das Brauchtum der Bauerngärten weiter pflegen», sagt Barbara Linsi von der Initiative «Gartenpfad Osterfingen». Das Dorf frönt der Gartenkultur. 28 überbordende Gärtchen sind von der Dorfstraße aus zu bewundern. Die duftende Gartenliebe zieht sich von einem alten Bauernhaus zum nächsten Winzerhof.

Ein Blick, der an den Golf von Neapel erinnert

Voller Noblesse dagegen erweist sich die Atmosphäre im gepflegten Garten von Schloss Arenenberg mit Elementen eines englischen Landschaftsparks. Es liegt am Ufer des Untersees, westlicher Teil des Bodensees, im Kanton Thurgau. Ein Rundweg verbindet eine Fontäne, eine Grotte und einen Zeltpavillon. Die geschwungene Serpentine wurde mit jungen Bäumen bestückt.

Umgeben von Weingärten tritt der Besucher eine Zeitreise ins 19. Jahrhundert an, als der französische Kaiser Napoleon III. auf Schloss Arenenberg lebte. Ob er auch an der Weihrauchzeder verweilte und den Panoramablick auf die gegenüberliegende Insel Reichenau genoss?

«Die Sichtachsen des Parks gehen bewusst auf den See hinaus», erläutert der Direktor des Napoleonmuseums Arenenberg, Dominik Gügel, die Anlage. «Und die Bodenseeszenerie vor dem Schlossplateau nannte man "Golf von Neapel en miniature".» Bei der atemberaubenden Aussicht im dramatischen Licht des Sonnenuntergangs soll manche feine Dame entzückt in Ohnmacht gefallen sein. (dpa)


 

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