Tim Mälzer über verspätete November-Hilfe: „Es ist eine Unverschämtheit“

| Gastronomie Gastronomie

Julia Komp, Tim Mälzer und Christian Rach kritisieren in einem gemeinsamen Gespräch mit dem Podcast "Bosbach & Rach - Die Wochentester" für den Kölner Stadt-Anzeiger die mangelhafte Unterstützung der Gastronomie durch die Politik.

Gastronom Tim Mälzer führt mit seinem Kollegen Patrick Rüther seit mehr als zehn Jahren u.a. das Restaurant "Bullerei" in Hamburg und klagt über die Verzögerung der "November-Hilfe": "Es ist eine Unverschämtheit von den Politikern, erst vollmundige Versprechen zu machen, mit einem superkomplexen Verwaltungsapparat Gelder ausschütten zu wollen, die dann aber nicht ankommen." Die Politik sorge so für Existenzkrisen, in denen die Leute den unternehmerischen Mut und die Perspektive verlieren würden. Mälzer: "Das ist auch ein emotionaler Schaden."

Auch Deutschlands ehemals jüngste Sterneköchin Julia Komp ("Lokschuppen" in Köln) ist enttäuscht: "Ich würde mir von der Politik mehr Support wünschen. Ich verstehe zum Beispiel nicht mehr, warum eine Sonnenbank öffnen darf - wo nackte Menschen liegen und in den Lüfter husten - und ein Restaurant nicht."

Mälzer warnt im "Wochentester"-Podcast des Kölner Stadt-Anzeiger: "Die Politik muss endlich begreifen, dass wir zwei Millionen latente Arbeitslose allein in der Gastronomie auf dem Zettel haben. Die hält man mit der Kurzarbeit aus den Statistiken. Ich sehe aber die Unruhe auch bei meinen Mitarbeitern. Die leben nicht von 60 %, da wir noch aufstocken, aber die haben Angst davor. Es gibt genügend Gastronomen, die das für Ihre Mitarbeiter nicht können, weil das Kapital nicht da ist."

Mälzers Vorschlag: "Gebt den Gastronomen die bereits gezahlte Umsatzsteuer der vergangenen Jahre im Vergleichsmonat zurück. Damit können wir unsere Fixkosten von rund 50 % decken und geraten nicht noch mehr auf wackeligen Boden."

Spitzenkoch und Gastronomieberater Christian Rach betrieb mehr als 20 Jahre das Restaurant "Tafelhaus" in Hamburg und fordert im Kölner Stadt-Anzeiger-Podcast "Die Wochentester": "Die Politik muss die führenden Köpfe der Gastronomie mit ins Gespräch bringen und darf sich nicht nur auf Glühweinwanderungen kaprizieren."

Rachs Appell: "Nehmt Euch die Leute aus der Praxis in die Besprechungen. Das wird einfacher für die Betriebe und billiger für den Staat."

Einig sind sich die Spitzenköche in ihrer Kritik an der Ausgestaltung der aktuellen Hilfen.

Rach: "Die 75 Prozent-Regelung ist eine Bazooka-Äußerung, die spontan und unüberlegt ist."

Tim Mälzer: "Ich fand die 75 Prozent-Regelung von Anfang an übertrieben und hatte mich bei der Verkündung schon sehr gewundert. Die ballert einfach raus und ist unkontrolliert. Das hat man dann wohl später beim Nachrechnen auch gemerkt und rudert nun zurück."

Mälzers bittere Bilanz: "Wenn ich mich darauf verlasse, was die Politik für unsere Branche entscheidet, mache ich mich zum Spielball professionellen Unwissens."

Julia Komp und Tim Mälzer bieten derzeit Speisen "to go" an und rechnen erst im März 2021 wieder mit einer Öffnung ihrer Restaurants. Vor allem verlässliche Regelungen von der Politik wünschen sich die Top-Gastronomen stellvertretend für ihre Branche.

Mälzer: "Ich hoffe auf einen Sinneswandel, denn wir sind ja nicht nur Kneipiers, die im halbseidenen Gewerbe arbeiten. Wir sind extrem systemrelevant."

Das vollständige Gespräch mit den Spitzenköchen Julia Komp, Tim Mälzer und Christian Rach hören Sie im Podcast "Bosbach & Rach - Die Wochentester" für den Kölner Stadt-Anzeiger. Der Podcast mit Klartext-Politiker Wolfgang Bosbach und Star-Koch Christian Rach ist ab sofort abrufbar auf www.ksta.dewww.diewochentester.de sowie über Apple Podcasts, Spotify, Amazon Music, Deezer und Podimo.


 

Zurück

Vielleicht auch interessant

Beim Einsturz eines Restaurants am Ballermann starben am vorigen Donnerstag vier Menschen, darunter zwei deutsche Urlauberinnen. Es gibt inzwischen neue Erkenntnisse. Das Unglücks-Lokal hatte keine Betriebslizenz für die Terrasse.

Der Michelin hat seine Sterne in Dänemark, Finnland, Island, Norwegen und Schweden verliehen. In Dänemark und Norwegen dürfen sich die Feinschmecker über jeweils eine neue Top-Adresse freuen.

Seit Mitte Mai ist Hamburg um ein Block House Restaurant reicher – im Deutschlandhaus eröffnete das Hamburger Unternehmen sein 47. Restaurant. Bei der Innenausstattung des neuen Restaurants wirkte der Gründer mit.

In den letzten Jahren hat sich die Foodtruck-Szene in Deutschland rasant entwickelt. Die Umsatzentwicklung zeigt mit einem durchschnittlichen Anstieg von 60 Prozent in den letzten zwei Jahren ebenfalls eine kontinuierliche Aufwärtsbewegung. Durchschnittlich geben die Gäste am Foodtruck in Deutschland 17,68 Euro aus.

Viele englische und schottische Fußball-Fans werden ihre Teams bei der EM in Deutschland aus der Ferne verfolgen. Kommt eins davon ins Halbfinale, haben sie die Erlaubnis, «sich die Kante zu geben».

Die wineBANK Heidelberg in der Alten Weinfabrik liegt direkt am Bismarckplatz. Das Herzstück des Clubs ist ein 40 Meter langes Kellergewölbe, das Raum für insgesamt 26.712 Flaschen in zwölf Tresoren mit 300 Fächern bietet.

Fleisch steht nach wie vor hoch im Kurs. Doch viele haben den Anspruch, sich nachhaltiger zu ernähren und verzichten zum Wohle des Klimas bereits auf Tier- und Milchprodukte. Zu sehen ist diese Entwicklung auch in Betriebsrestaurants, wie eine aktuelle Befragung von Sodexo zeigt.

Neun Sorten der Eismarke Mälzer&Fu Ice C.R.E.A.M. Creations und eine Location im Glockenbachviertel mit DJ-Pult und Street Art an den Wänden – das ist das Rezept für die erste Eisdiele von Mälzer&Fu Eis, die am 24. Mai 2024 in München eröffnet hat.

Eigentlich sollte das Gastro-Konzept Tastyy richtig durchstarten. In Deutschland waren bis zu 50 Standorte geplant, dazu die Expansion in ganz Europa. Daraus wird nun vorerst nichts.

Tillmann Hahn, Spitzenkoch und kulinarischer Gastgeber des G8-Gipfels 2007 in Heiligendamm, schließt nach elf Jahren sein Restaurant im Ostseebad Kühlungsborn. Nicht ganz freiwillig, wie der 55-Jährige sagt.