Die COVID-19-Pandemie versetzt der Hospitality-Branche einen frontalen und zugleich lähmenden Schlag. Dennoch: Hotellerie- und Gastronomieunternehmen, die bereits vor der Krise aus eigenen Stücken virtuelle Tools in der Zusammenarbeit und Vermarktung eingeführt haben, behaupten sich in der gegenwärtigen Phase der totalen Disruption besser. Davon ist Avik Bhattacharya, Berater bei den EHL Advisory Services, überzeugt.
Die COVID-19-Pandemie versetzt fast die ganze Hospitality-Industrie und Luftfahrtbranche – förmlich auf einen Schlag – in einen kollektiven K.O. Die internationalen Grenzen sind geschlossen, landesweite Ausgangssperren verhängt, Flüge komplett gestrichen und viele Hotels – aus gesetzlichen Gründen – geschlossen. Die Zahl der Reservationen geht drastisch zurück. Allein der Einnahmeverlust für das gesamte indische Gastgewerbe wird derzeit auf 5,5 bis 6,2 Milliarden US-Dollar geschätzt. Es ist zu erwarten, dass die Hospitality-Branche Jahre brauchen wird, um sich von dieser Krise zu erholen. Noch schlimmer: Die Situation wird sich wahrscheinlich erst einmal verschlechtern, bevor sie sich bessert.
Aber: Unternehmen, die bereits vor COVID-19 flexible Produktionsformen, Tools und Prozesse für die virtuelle Zusammenarbeit eingeführt haben, können sich auf die jetzige Blockade viel schneller und effizienter einstellen, als solche, die sich gegen disruptive Methoden der Zusammenarbeit aus der Ferne gewehrt haben. Denn wir wissen und erleben alle hier und jetzt: Der Austausch in Teams hat sich vom physischen Momentum auf virtuelle Plattformen wie Microsoft Teams, Zoom, Slack und Cisco WebEx Teams verlagert.
Die Fernarbeit ist ein Beispiel für disruptive Unternehmenskonzepte, die einerseits den Bedürfnissen der Mitarbeitenden stärker entgegenkommt. Andererseits bietet sie den Unternehmen robuste und zugleich flexible Möglichkeiten, wie sie sich in der Gesellschaft gezielter einbringen und so wirtschaftlichen Nutzen stiften können. Die digitale Transformation bezieht sich längst nicht nur auf die Nutzung von Online-Tools. Vielmehr geht es um Menschen, deren Kultur und das entsprechende Handeln des Unternehmens. Der Technologie kommt dabei die Rolle einer Vermittlerin zu. Unterschiedliche Branchen und Unternehmen sehen sich mit individuell verschiedenen Herausforderungen konfrontiert, ebenso vielfältig sind auch die Lösungsansätze. Nur wer als Unternehmer die Herausforderungen, aber auch das Potenzial dieser Applikationen erkennt, fällt die richtigen Entscheidungen hinsichtlich der technologischen Lösungen, die es zu implementieren gilt.
Eines ist klar: Die digitale Transformation bleibt – getreu dem Motto: Die einzige Konstante ist der Wandel. Und dieser Wandel hat tiefgreifende Folgen für alle Branchen. Der Hospitality-Sektor war in der Vergangenheit wegen fehlenden Kapitals und organisatorischer Umstrukturierungen beim Implementieren technologischer Fortschritte eher zurückhaltend. Die führenden Unternehmen und Firstmover in dieser konservativen Branche setzen nun die Standards. Sie nutzen konsequent die digitale Transformation, um ihren Gästen einzigartige und «smoothe» Erlebnisse zu ermöglichen.
Die «heissen» Fragen an die Hoteliers, an die Gastronomen, an alle Akteure in der Hospitality liegen also auf dem Tisch: Verstehen Sie Ihre digitale Landschaft wirklich und passen Sie sich ihr entsprechend an? Wie profitieren Sie von digitalen Disruptionen – wie jetzt in extremis – und nutzen diese sogar als Wettbewerbsvorteil für Ihr Unternehmen? Wie integrieren Sie technologischen Fortschritt, um Produktivität, Engagement und Effizienz auf allen Ebenen in Ihrer Firma zu steigern? Folgende Anhaltspunkte liefern Ihnen mögliche Antworten.
1. Die Theorie der digitalen Brüche
Die Idee der digitalen Brüche zielt darauf ab, den Grad der zusätzlich notwendigen Veränderungen zu bestimmen, der auf Sie und Ihr Unternehmen zukommen wird: Wie können Sie die digitalen Möglichkeiten durch das Umorganisieren von Geschäftsprozessen und die Nutzung digitaler Technologie nutzen und so mehr Potenzial für Ihre Firma erschliessen? Online-Reisebüros, Smartphones, Plattformen für Kundenbewertungen, soziale Medien, sie alle haben die Interaktion mit Gästen und das Engagement in der Hospitality-Branche revolutioniert. Grosse Hotelketten wie Marriott, Hilton, IHG und Accor versuchen nun, mit ihren Gästen so persönlich wie möglich in Kontakt zu treten. Künstliche Intelligenz, vernetzte Geräte, Robotik und grosse Datenmengen sind typisch für den Hospitality-Bereich. Diese Ausgangslage sollte Hotels förmlich dazu antreiben, ihre Arbeitsweise zu verändern.
2. Digitale Disruptoren – für eine neue Hospitality-Industrie
Der Erfolg in der Hospitality-Industrie steht und fällt mit einer ganzen Generation (Gen C), die komplett vernetzt denkt und agiert. Alle sind mit ihren Geräten «verheiratet», primär am virtuellen und nicht am persönlichen Austausch interessiert. Sie treffen ihre Entscheidungen auf der Basis von Erlebnissen anderer, vor der Buchung. Und sie alle sind in der Lage, rasch untereinander Erfahrungen auszutauschen und somit das Kaufverhalten aktiv zu beeinflussen.
Das Internet der Dinge (IoT) hat sich bereits jetzt in der Hospitality-Brache in rasendem Tempo durchgesetzt. Es erleichtert die intelligente Automatisierung, erhöht den Komfort für die Gäste und senkt die Kosten für das Unternehmen. citizenM hotels beispielsweise haben sich den technologischen Fortschritt in Form von intelligenten Zimmern und Hotelservices auf die Fahne geschrieben. Die Gäste greifen nahtlos über iPad oder Smartphones darauf zurück. Auch grosse digitale Player wie AirBnB und Uber haben die Reisebranche massiv verändert. Während Marriott 63 Jahre brauchte, um 697’000 Zimmer zu bauen, erreichte Airbnb in 4 Jahren praktisch das gleiche Niveau. Was AirBnB auszeichnet, ist die hervorragende Darstellung der Inhalte auf deren Website, die hyperlokale Ausrichtung des Angebots und die Concierges, die erstklassige Informationen über den Ort verfassen. Auf diese Weise haben digitale Disruptoren und Start-ups wie AirBnB im Nu eine Gemeinschaft, besser: ihre Gefolgschaft, aufgebaut.
3. Chancen und Risiken am Horizont
Die nächste Generation von Robotern werden eine Reihe von Diensten – von der Lebensmittelzubereitung und -lieferung bis hin zum Haushalt – übernehmen. Cloud-Speicherkapazitäten, gekoppelt an Systeme, die menschliches Verhalten antizipieren, werden für eine weitgehende Automatisierung der Hospitality-Branche sorgen. Eine Schüsselfrage in dieser postdigitalen Ära, in der die Digitalisierung zu einem wesentlichen Bestandteil aller Facetten des Lebens wird, ist jedoch noch immer unbeantwortet: Wird auch die Hospitality-Industrie unter dem Verlust von Arbeitsplätzen im Zuge der Digitalisierung und Automatisierung zu leiden haben? Und werden die bald schon weithin akzeptierten menschlich-interaktiven Dienstleistungsangebote via Digi-Gadgets eher Segen oder Fluch für unsere Branche sein? Das bleibt abzuwarten.
Aber auch hier darf man die Augen nicht verschliessen: Viele Städte werden bis 2030 zu Grössenordnungen ganzer Länder anwachsen: Shanghai wird Australien überflügeln, London wird bevölkerungsreicher sein als Griechenland, während Tokio möglicherweise dichter besiedelt sein wird als Malaysia. Die Städte werden «intelligent» ausgestattet sein müssen, ihre Infrastruktur wird digitalisiert, für alle zugänglich, effizient und anpassungsfähig sein, um den Bedürfnissen der wachsenden Bevölkerung und gleichzeitig der nachhaltigen Nutzung von Ressourcen gerecht zu werden.
Diese Art von Digitalisierung ist zugleich eine völlig neue Art, Kunden Dienstleistungen und Erlebnisse anzubieten. Sie erfordert unter anderem erhebliche Investitionen in technologisch fortschrittliche Applikationen sowie eine Omnichannel-Strategie im Vertrieb. Es wird kaum überraschen, dass kleinere Hotelketten Mühe haben werden, dem Tempo dieser Disruptionen zu folgen.
So lamentabel die Situation aktuell ist: Obwohl COVID-19 viele Bereiche der Hospitality-Industrie zum kompletten Stillstand gebracht hat, bietet genau diese ausserordentliche Lage die einmalige Chance, dass sich Unternehmen zurückzuziehen, ihre aktuelle Position auf dem Markt bewerten und radikal den neuen Kurs bestimmen, der nun vor ihnen liegt. Die Art und Weise, wie sie jetzt mit Disruption umgehen, wird matchentscheidend sein. Darüber besteht zumindest Einigkeit.