Corona-Modellprojekte in Tübingen und Rostock auf der Kippe

| Politik Politik

Die Universitätsstädte Tübingen und Rostock haben in den vergangenen Monaten wegen ihrer niedrigen Corona-Zahlen viele Schlagzeilen geliefert. In Talkshows gaben sich die Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) und Claus Ruhe Madsen (parteilos) fast die Klinke in die Hand. Stolz berichteten beide von Lockerungen der Corona-Beschränkungen. Doch inzwischen ist die dritte Corona-Welle, getrieben unter anderem von der besonders ansteckenden Virusvariante B.1.1.7, auch bei ihnen angekommen. In beiden Städten stiegen die Sieben-Tage-Inzidenzen zwischenzeitlich auf über 100.

Tübingen sorgt seit Mitte März mit seinem inzwischen zwei Mal verlängerten Corona-Modellprojekt für viel Aufsehen. Dort können sich Menschen an mehreren Stationen kostenlos testen lassen, bei negativen Ergebnissen gibt es Tagestickets, mit denen sie in Läden, zum Friseur, aber auch in Theater und Museen gehen können. Wegen großen Andrangs von außerhalb wurden die Tests auf Menschen aus dem Kreis Tübingen beschränkt.

Bedingung für eine Fortsetzung des Tübinger Projekts war, dass die Sieben-Tage-Inzidenz vor Ort stabil bleibt - und nicht an drei aufeinanderfolgenden Tagen die 100er-Inzidenz überschreitet, also nicht mehr als 100 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner innerhalb einer Woche registriert werden. «Spätestens aber wenn das neue Infektionsschutzgesetz des Bundes offiziell in Kraft ist, werden wir das Projekt wohl unterbrechen müssen», sagte ein Sprecher des Sozialministeriums in Stuttgart.

Aber auch wenn das Projekt infolge des Bundesgesetzes abgebrochen werden müsste, ist es laut Palmer «ein voller Erfolg». Man habe «wertvolle Erfahrungen zur Bewältigung der Corona-Pandemie durch engmaschiges Testen sammeln können», erklärte der Oberbürgermeister. «Ich bin überzeugt, dass diese Erkenntnisse in den kommenden Wochen und Monaten äußerst hilfreich sein werden.» Seit dem 18. März lag die Inzidenz in Tübingen laut dem Sozialministerium an nur zwei Tagen über 100. Zuletzt (19. April) lag der Wert bei 91,8.

In der Hansestadt Rostock war die Entwicklung deutlich schlechter: Noch am 21. März hatte die Sieben-Tage-Inzidenz bei 22 gelegen, am 15. April dann schon bei knapp 133. Nun liegt sie wieder unter 100. Für Emil Reisinger, Infektiologe der Uniklinik Rostock, sind hauptsächlich die privaten Kontakte für den starken Zuwachs verantwortlich. «Die Menschen haben sich nach der langen Zeit mit wenigen Infektionen zu sehr in Sicherheit gewiegt.»

Oberbürgermeister Madsen, der unter anderem ein Spiel von Hansa Rostock vor 777 Zuschauern und Einkaufen unter Einbeziehung der Luca-App ermöglichte, will einen kompletten Lockdown verhindern. Seit dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 sei viel gelernt worden. «In der Kontaktnachverfolgung und bei Ansteckungsquellen haben wir deutlich mehr Kenntnis erlangt.» Ein Lockdown 2021 müsse dieses Wissen einbeziehen.

Madsen bezieht die Erkenntnisse Reisingers mit ein und sagt: «Wir müssen den Menschen ein Angebot für den Aufenthalt außerhalb der eigenen vier Wände machen. Sport und Freizeitaktivitäten an der frischen Luft, Individualsport, allein, zu zweit oder im eigenen Haushalt. Parks, Außenbereiche von Zoos und Spielplätze sind hier wichtige Orte, die mit klaren Hygienekonzepten funktionieren.»

Klar ist, dass man auch in Rostock an den landesweiten Kita- und Schulschließungen nicht vorbeigekommen ist. Sie sollen aber nur so lange gelten, wie sie unbedingt nötig sind. «Kinder brauchen Kinder und Kinder haben ein Recht auf Bildung», lautet die Maxime des Dänen. Die Schließungen müssten mit einer klaren Perspektive versehen werden. «Es bedarf einer regelmäßigen Überprüfung, die auch die Entwicklung auf Bundesebene miteinbezieht.» (dpa)


 

Zurück

Vielleicht auch interessant

Nach der Wahl und der Ernennung von Friedrich Merz zum Bundeskanzler sowie der Bundesminister, erwartet der DEHOGA Bundesverband, dass nunmehr tatkräftig die vereinbarten Maßnahmen zur Stärkung der Wirtschaft umgesetzt werden. Der Bundesverband der Deutschen Tourismuswirtschaft wünscht sich ein Sofortprogramm.

Einweg-Kaffeebecher, Pommesschalen, Wegwerfbesteck - nach Tübingen zieht nun Freiburg Konsequenzen. Das Votum des Gemeinderats ist auch eine Schlappe für den Rathauschef.

Die Aussicht auf einheitlich sieben Prozent Mehrwertsteuer für Speisen in der Gastronomie, lässt das Gastgewerbe im Land wieder hoffnungsvoller in die Zukunft blicken. Dies wurde beim DEHOGA-Frühlingsfest am 5. Mai in Stuttgart deutlich, zu dem mehr als 3.500 Wirtinnen und Wirten in das Festzelt „Beim Benz“ kamen.

Der Deutsche Tourismusverband (DTV) appelliert an die demokratischen Parteien, den Vorsitz eines künftigen Bundestagsausschusses für Tourismus nicht der AfD zu überlassen. Fremdenfeindlichkeit und Gastfreundschaft schließen sich aus, so DTV-Präsident Reinhard Meyer.

Der deutsche Mittelstand richtet einen eindringlichen Appell an die neue Bundesregierung und fordert schnelle Impulse und spürbare Entlastungen, um die wirtschaftliche Lage und damit auch die gesellschaftliche Stimmung wieder zu verbessern.

Der DEHOGA kritisiert in einem Schreiben an seine Mitglieder den Vorstoß von SPD-Generalsekretär Matthias Miersch, der eine politische Festlegung des Mindestlohns ins Gespräch gebracht hat, sollte die zuständige Mindestlohnkommission im nächsten Jahr die von der SPD gewünschte Anhebung auf 15 Euro nicht empfehlen.

Seit ihrer Einführung vor knapp fünf Jahren blieb die Bonpflicht umstritten. Dass die neue Koalition sie wieder abschaffen will, begrüßten die Händler - die Steuergewerkschaft warnt dagegen.

Auch im Nordwesten Deutschlands prüfen gerade jetzt zahlreiche Städte eine Verpackungssteuer nach Tübinger Vorbild, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur in den Rathäusern ergab. Konkret beschlossen ist sie aber noch nirgends. 

Aus Mangel an Plätzen haben in München bislang manche Geflüchtete in Hotels statt in anderen Unterkünften gelebt. Doch der Freistaat hat den Geldhahn zugedreht - und die Stadt damit vor große Herausforderungen gestellt. Sie musste bis zum 1. Mai relativ kurzfristig knapp 1.100 Menschen verlegen.

Kassel und Offenbach wollen sie einführen, in anderen Städten wird sie bereits fällig: Die Übernachtungssteuer sorgt bei Wirtschafts- und Branchenverbänden für Unmut. Sie bringe nicht nur finanzielle Mehrbelastungen für die Gäste mit sich, sondern verursache auch erheblichen administrativen Aufwand.