Hartz-IV-Ersatz: DEHOGA kritisiert neues Bürgergeld

| Politik Politik

Der Gesetzentwurf zum Bürgergeld ist am Mittwoch im Kabinett beschlossen worden. Es soll zum 1. Januar das heutige Hartz-IV-System ablösen. Die Regelsätze der Grundsicherung sollen dabei deutlich steigen. Alleinstehende sollen dann 502 Euro im Monat erhalten, Jugendliche 420 Euro. Statt Sanktionen sollen vermehrt Anreize geschaffen werden. Das neue Bürgergeld sei laut Bundesarbeitsarbeitsminister Hubertus Heil eine Brücke aus der Bedürftigkeit und trage zur Sicherung des Fachkräftemangels bei. Ob das gelingt, ist indes fraglich. „Mehr denn je kommt es jetzt in der Krise darauf an, Anreize für die Arbeitsaufnahme zu setzen und missbräuchlichen Bezug von Sozialleistungen zu unterbinden“, sagt DEHOGA-Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges. „Es bleibt zu hoffen, dass hier nicht erneut falsche Signale gesetzt werden.“

Millionen Bedürftige in Deutschland sollen mit dem Bürgergeld ab 1. Januar mehr Geld und eine bessere Betreuung erhalten. Das Bürgergeld soll Hartz IV für die mehr als fünf Millionen Betroffenen in seiner heutigen Form ablösen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sagte: «Mit dem Bürgergeld stärken wir den Sozialstaat und bringen Menschen dauerhaft aus der Arbeitslosigkeit.»

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verkündete auf Twitter: «Zum 1. Januar lassen wir Hartz IV hinter uns.» FDP-Chef Christian Lindner unterstrich: «Das Bürgergeld bringt Menschen Vertrauen entgegen und bietet einen größeren Anreiz als bisher, auch selbst eine Arbeit aufzunehmen.» Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann sagte der Deutschen Presse-Agentur: «Wir lassen Menschen, die wenig haben, nicht allein.» Union und Arbeitgeber warfen der Koalition vor, sie beließen Bedürftige auf Dauer im Hilfssystem. Sozialverbände und Gewerkschaften kritisierten die geplanten monatlichen Sätze als zu niedrig. Bundestag und Bundesrat müssen dem Gesetz noch zustimmen.

Höhere Regelsätze:

Der Regelsatz der Grundsicherung soll von 449 auf 502 Euro steigen. Mit Partnern zusammenlebende Erwachsene erhalten 451 Euro. Jugendliche ab 14 bekommen 420 Euro, Kinder von 6 bis 14 Jahre 348  Euro, Unter-6-Jährige 318 Euro. Normalerweise führt die turnusgemäße Erhöhung der Regelsätze an die Preis- und Lohnentwicklung zu weit geringeren Steigerungen. Um die außergewöhnlich hohe Inflation zu berücksichtigen, wurde der Mechanismus nun verändert - auch künftig sollen die Anpassung die Preisentwicklung folglich zeitnaher und wirksamer widerspiegeln.

Sanktionen:

Wer nicht mit dem Jobcenter kooperiert, soll weniger Sanktionen fürchten müssen. Solche Sanktionen waren bereits im Vorfeld gesetzlich ausgesetzt worden. Nun sollen die Möglichkeiten zur Kürzung der Leistungen in einer sechsmonatigen Vertrauenszeit stark eingeschränkt werden. Zahlungen sollen nur bei versäumten Terminen im Jobcenter gemindert werden können. Bei Pflichtverletzungen hingegen, also etwa der Nichtannahme einer zumutbaren Arbeit, soll es im ersten halben Jahr keine Sanktionen mehr geben. Später können bei wiederholten Pflichtverletzungen und Meldeversäumnissen höchstens 30 Prozent des Regelbedarfs gemindert werden. Kosten der Unterkunft und Heizung werden nicht gemindert. Ferner soll für Rückforderungen eine Bagatellgrenze von 50 Euro eingeführt werden.

Vermögen:

In den ersten zwei Jahren des Bürgergeldbezugs sollen Karenzzeiten gelten: Die Kosten für Mietwohnungen oder selbst genutztes Wohneigentum werden unabhängig von der Fläche anerkannt. Zwei Jahre lang soll man auch bis zu 60 000 Euro Vermögen haben dürfen, auch wenn man Bürgergeld bezieht. Nach 24 Monaten Bürgergeldbezug sollen Vermögen und Angemessenheit der Wohnung überprüft werden können. Dabei soll mehr Vermögen als bisher unangetastet bleiben.

Anreize:

«Statt auf demotivierende, häufig kontraproduktive Sanktionen setzt das Bürgergeld auf positive Anreize», sagte Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch der Deutschen Presse-Agentur. Ein Weiterbildungsgeld von 150 Euro soll bekommen, wer arbeitslos ist oder als Geringverdiener aufstockende Leistungen bekommt und an einer berufsabschlussbezogenen Weiterbildung teilnimmt. Betroffene können bei Bedarf in drei Jahren eine Umschulung besuchen statt bisher in zwei Jahren. Für die Teilnahme an Maßnahmen für eine nachhaltige Integration soll ein Bonus in Höhe von monatlich 75 Euro eingeführt werden. Heil sagte: «Wir wollen, dass Anstrengung sich lohnt und dass Menschen in Arbeit kommen, um selbstbestimmt zu leben.» So wird auch der Vorrang von Vermittlung in einen Job vor Weiterbildung abgeschafft. Verstärkt sollen Arbeitslose auch Coaching bekommen.

Kooperation:

Wichtig ist den Koalitionären, dass Jobcenter den Betroffenen «auf Augenhöhe» begegnen sollen, wie sie es schon in ihrem Koalitionsvertrag geschrieben haben. Am Anfang soll ein Kooperationsplan erarbeitet werden. Was wünscht sich der oder die Arbeitslose für den weiteren Werdegang? Besser als bisher sollen diese Wünsche berücksichtigt werden. Audretsch macht noch auf eine andere geplante Neuerung aufmerksam: «Künftig werden alle von den Jobcentern in freundlichen, klaren Sätzen angeschrieben», sagt er. «Keine komplexen Rechtstexte, keine Rechtsfolgenbelehrungen, die häufig wie Drohungen wahrgenommen werden.»

Kritik der Arbeitgeber:

Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger kritisierte die Pläne als «eine arbeitsmarktpolitisch fatale Wegmarke». «Damit werden keine Brücken ins Arbeitsleben, sondern in das Sozialtransfersystem geschlagen», sagte Dulger. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sagte der «Augsburger Allgemeinen» (Mittwoch): «Der Grundsatz des Forderns und Förderns wird durch das Bürgergeld weiter eingeschränkt.» Das könne zu zementiertem Leistungsbezug führen. 

Kritik von Sozialverbänden:

Angesichts der Inflation und der hohen Energiepreise stand die Höhe des Bürgergelds in der Kritik. «Die Erhöhung um 50 Euro im Monat ist nur ein längst überfälliger Inflationsausgleich, der ein Jahr zu spät kommt», sagte die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele. Nach Darstellung von DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel ist eine stärkere Erhöhung der Regelsätze an der FDP gescheitert: «So behält aber das Bürgergeld den alten Makel des Hartz-IV-Systems: Es schützt nicht wirksam vor Armut.»

Herausforderung für Jobcenter:

Vor einer Doppelbelastung sieht nun der Grünen-Arbeitsmarktexperte Frank Bsirske die Jobcenter - wegen des neuen Bürgergelds und den hunderttausenden ukrainischen Geflüchteten. «Umso wichtiger ist es, dass sie mit ausreichend Finanzmitteln ausgestattet werden», sagte Bsirske der dpa. «Das ist mit dem vorliegenden Haushaltsentwurf noch nicht gesichert.» Der frühere Chef der Gewerkschaft Verdi forderte: «Hier muss deutlich nachgebessert werden.» (mit dpa)


 

Zurück

Vielleicht auch interessant

Das EU-Parlament hat grünes Licht für strengere Transparenzregeln für große Vermietungsplattformen wie Airbnb, Booking, Expedia oder TripAdvisor gegeben. Unter anderem sollen Städte so besser gegen illegale Angebote auf den Plattformen vorgehen können.

Reisewirtschaft und Tourismusbranche haben eine gemeinsame Position zum Entwurf der Europäischen Kommission zur Revision der Pauschalreiserichtlinie vorgelegt, die die Akteure im Deutschlandtourismus sowie im In- und Outboundtourismus in dieser Frage vereint.

Das neue Kompetenzzentrum „Grüne Transformation des Tourismus“ hat seine Arbeit aufgenommen. Das Kompetenzzentrum soll als Informationsknotenpunkt rund um die grüne Transformation Wissen teilen, Best Practices hervorheben und Innovationen fördern.

Eine stärkere Flexibilisierung der Arbeitszeit fordert die CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag in einem Antrag. Auch der DEHOGA fordert, dass Unternehmen und Mitarbeiter, im Rahmen einer wöchentlichen Höchstgrenze, die Möglichkeit bekommen, die Arbeitszeit flexibler auf die Wochentage zu verteilen.

Im Rahmen des Entwurfs zum vierten Bürokratieentlastungsgesetz erneuert der BTW noch einmal seine Forderung nach zielführendem Bürokratieabbau für die Unternehmen der Tourismuswirtschaft.

EU-Pläne für einen besseren Schutz von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Online-Plattformen sind vorerst vom Tisch. Vor allem FDP-Vertreter hatten sich gegen das Gesetz ausgesprochen. Deutliche Kritik daran kam nun von der Gewerkschaft NGG.

In Belgien findet am Dienstag die informelle Ministertagung Tourismus statt. Darin soll es unter anderem um „Die doppelte Wende des Sektors - digital und nachhaltig“ und konkret um eine Zwischenbewertung des „EU Transition Pathway for Tourism“ gehen.

Wer über Online-Plattformen als Essenslieferant, Taxifahrer oder Hausangestellter arbeitet, sollte mit neuen EU-Regeln mehr Rechte bekommen. Nun kommen sie erst einmal nicht. Auch die Bundesregierung hatte sich bei der Abstimmung enthalten.

Vertreterinnen und Vertreter der EU-Staaten stimmen an diesem Freitag voraussichtlich über bessere Arbeitsbedingungen für Beschäftigte von Online-Plattformen wie Liefer- und Fahrdiensten ab. Die Betroffenen sollen unter anderem besser gegen Scheinselbstständigkeit geschützt werden. 

Bundesagrarminister Cem Özdemir dringt seit Wochen auf konkrete Schritte zu einer dauerhaft gesicherten Finanzierung für den Umbau der Tierhaltung. Jetzt nehmen Özdemirs Pläne für einen „Tierwohlcent“  konkrete Formen an: Ein Eckpunktepapier ist an die Ampelfraktionen verschickt worden.