Hessen streitet um 2G-Modell

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Die von Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) geplante Zulassung des sogenannten 2G-Modells stößt bei vielen betroffenen Anbietern auf Skepsis. Sowohl das hessische Gastgewerbe als auch das Friseurhandwerk warfen der Landesregierung vor, sie verlagere die Debatte um Impfquoten und Impfbereitschaft zu den Betrieben. «Die Politik kann es nicht entscheiden, somit wird es auf die Wirtschaft abgewälzt über das Hausrecht», sagte René Hain, Geschäftsführer des Landesinnungsverbandes des Friseurhandwerks Hessen, der Deutschen Presse-Agentur. Sehr verhalten zu den Plänen äußerte sich auch der hessische Industrie- und Handelskammertag.

Bouffier hatte ankündigt, dass das Corona-Kabinett der Landesregierung in seiner nächsten Sitzung am Dienstag voraussichtlich das Corona-2G-Modell für hessische Gastronomen, Veranstalter und Friseure zulassen werde. Die neue Corona-Verordnung des Landes soll demnach privaten Anbietern die Möglichkeit geben, nur Geimpften und Genesenen (2G) den Zutritt zu ihren Räumen zu erlauben.

Veranstalter, Wirte und Friseure sollen dann selbst entscheiden können, ob sie nur geimpfte und genesene Menschen einlassen, die dann weitgehend von den Corona-Einschränkungen befreit seien, erklärte ein Regierungssprecher. In der öffentlichen Daseinsvorsorge etwa beim Besuch von Behörden und im ÖPNV bleibe es aber beim 3G-Modell, das auch negativ Getestete einschließt. Die aktuelle hessische Corona-Verordnung ist bis zum 16. September befristet.

Ob die Mitgliedsbetriebe das Modell anwenden werden, hänge sicher von der individuellen Situation ab, sagte Hain. Friseure, die es zu 90 Prozent mit doppelt geimpften Stammkunden zu tun haben, könnten vielleicht von dem Wegfall der Corona-Einschränkungen profitieren, denn ihnen mache vor allem die Abstandsregel zu schaffen, weil dadurch derzeit deutlich weniger Kunden als sonst bedient werden könnten. Falls die Abstandsregel dank 2G-Modell fällt, könne das ein Wettbewerbsvorteil sein, sagte Hain. Bei einem geringeren Anteil geimpfter Stammkunden bestehe hingegen das Risiko, dass zu viele Kunden zur Konkurrenz abwandern und sich die Salons so durch 2G selbst das Geschäft verderben. Es werde sicher kaum jemand seine Impfentscheidung davon abhängig machen, ob er einen Friseurtermin wahrnehmen kann - zumal wenn das 2G-Modell nicht flächendeckend gilt.

Das Gastgewerbe meint: Hier werde «eine Grundsatzdebatte an die Schwelle der Restauranttür getragen», sagte der Hauptgeschäftsführer des Branchenverbandes DEHOGA in Hessen, Julius Wagner. «Nach Monaten, die bereits geprägt waren von unseligen Diskussionen mit vielen Gästen über die Maskenpflicht, die Kontaktdatenerfassung, Abstandsregelungen & Co., ist das nun eine Kerndebatte aus der Mitte der Gesellschaft. Denn schließlich steht hier die Frage, ob man sich impfen lässt oder nicht, auf einmal im Raum.»

Ob das mögliche 2G-Modell angewendet wird oder nicht, dürfte aus Sicht Wagners entscheidend von den im Gegenzug gewährten Freiheiten abhängen. «Mindestens die Abstandsregelungen müssten ohne Wenn und Aber entfallen, auch die Maskenpflicht.» Und das müsse auch für Clubs und Discos im Tanzbetrieb möglich sein.

Auch bei den Veranstaltern stoßen die Überlegungen auf Skepsis. Viele Unternehmen seien von den Corona-Maßnahmen schwer gebeutelt, die Hilfsprogramme hätten den betroffenen Teilbranchen lange nicht das gebracht, was man sich erhofft habe, vielfach werde eine Ungleichbehandlung beklagt, sagte Wolfgang Weyand, Sprecher des Cluster Kreativwirtschaft in Hessen. «Die wahltaktische Diskussion, ob man von 3G auf 2G umstellt, ist nicht die flächendeckende Lösung.»

«Der Vorstoß macht die hessische Wirtschaft eher ratlos», erklärte der Geschäftsführer des hessischen Industrie- und Handelskammertag, Robert Lippmann. Viele Betriebe würden damit vor eine schwierige Entscheidung gestellt. «Natürlich wollen alle größtmögliche Sicherheit gewährleisten. Aber kaum jemand möchte Kunden ausschließen, die nachweislich gesund oder aus unterschiedlichsten Gründen ungeimpft sind.» Dazu gehörten schließlich auch Schwangere, Vorerkrankte und andere Gruppen.

Um potenzielle Konflikte wegen der Corona-Zutrittsregeln zu entschärfen, sind aus Expertensicht einheitliche gesetzliche Vorgaben nötig. «Es braucht eine eindeutige, klare Norm», sagte der Marburger Sozialpsychologe Ulrich Wagner. Die 2G-Regel würde die Situation von Impfgegnern verschlechtern, von Befürwortern erleichtern - ein großes Konfliktpotenzial also. Daher seien einheitliche Regelungen so wichtig. Die Politik dürfe nicht herumlavieren, sagte Wagner weiter. Sondern sie sollte sich einheitlich hinter das 2G-Modell stellen, auch um Misstrauen zu verhindern und Impfgegnerinnen und Gegnern die Botschaft zu senden: «Ihr seid hier die Minderheit.» Falls die 2G-Regel dennoch komme, sollten die Betriebe vor Ort auf eindeutige Botschaften setzen, um Eskalationen zu vermeiden, rät der Forscher. (dpa)


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