Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln geht davon aus, dass manche vom Teil-Lockdown betroffenen Betriebe nun mehr Geld verdienten, als wenn sie geöffnet hätten. Dies betreffe vor allem Gastronomie und Veranstaltungsgewerbe.
Wie Welt am Sonntag zuerst berichtete, betreffe dies vor allem Gastronomie und dem Veranstaltungsgewerbe. Die November- und Dezemberhilfen des Bundes würden, Berechnungen des Instituts zufolge, demnach um zehn Milliarden Euro höher ausfallen als notwendig. Die gemutmaßte Überkompensation gelte aber keinesfalls für alle Unternehmen, sagte IW-Steuerökonom Tobias Hentze am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur. «Es gibt natürlich auch Bereiche, die haben hohe Fixkosten - zum Beispiel Kinobetreiber.» Insgesamt habe die Bundesregierung eher großzügig als knapp kalkuliert.
Der Hotelverband Deutschland kritisiert die Berechnungen des Instituts scharf. In vielen Betrieben werde von der „Novemberhilfe“ kaum etwas übrig bleiben, sagt Hauptgeschäftsführer Markus Luthe in einem Blogpost und warf dem Institut oder der Welt am Sonntag vor nicht mit erforderlichen Sorgfalt und Genauigkeit zu agieren.
Es stellt sich doch die Frage, ob den IW-Berechnern entgangen sei, dass bei der „Novemberhilfe“ den Unternehmen das Kurzarbeitergeld (Kug) abgezogen werde? Dies sei im personalintensiven Gastgewerbe das Gros der variablen Kosten.
Ebenso wenig fände sich ein Hinweis auf die Deckelung der „Novemberhilfe“. Denn schließlich würden eventuell bereits gewährte Soforthilfe, Überbrückungshilfe und sogar der KfW-Schnellkredit, der ein zurückzuzahlender Kredit sei, auch noch abgezogen. Dazu präsentiert der Verband eine Beispielrechnung, die zeigen soll, dass für so manches Hotel kaum etwas übrig von der „Novemberhilfe“ übrig bleiben werde.
Außerdem bezieht das Institut die staatlichen Leistungen aus dem Frühjahr, die die Ausfälle in vielen Betrieben nur im Ansatz kompensiert haben, nicht mit ein. Auch bleibt ungenannt, dass bei den November- und Dezemberhilfen noch immer keine Lösung für größere Unternehmen gefunden ist.
Firmen, die vom Teil-Lockdown betroffen sind, unterstützt der Bund mit den sogenannten November- und Dezemberhilfen - geplant sind Zuschüsse von bis zu 75 Prozent des Umsatzes aus dem Vorjahresmonat. Insgesamt sind dafür derzeit rund 30 Milliarden Euro veranschlagt. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hatte zügige erste Abschlagszahlungen angekündigt. Das ist ein Vorschuss auf spätere Zahlungen ohne eine tiefergehende Prüfung.
Altmaier verteidigte die veranschlagten Hilfen. «Natürlich ist die Orientierung am Umsatz nicht hundertprozentig gerecht, aber kein Kriterium kann für absolute Gerechtigkeit in jedem Einzelfall sorgen», sagte er der «Welt am Sonntag». Weiterhin deutete er an, dass die betroffenen Branchen über den Dezember hinaus nicht mit dieser Art von Hilfen rechnen können. «Damit ist keineswegs eine neue Automatik begründet. Wir werden uns Gedanken machen müssen, was wir machen, wenn wir längere weitreichende Beschränkungen brauchen.»
Der IW-Schätzung zufolge hätten in der Summe zehn Milliarden Euro weniger ausgereicht. Der Hauptpunkt dabei seien die variablen Kosten, die für viele Betriebe nun nicht anfallen. «Die müssten eigentlich nicht erstattet werden», sagte Experte Hentze. Im Gegensatz dazu stünden fixe Kosten wie etwa Pacht und Miete, die Unternehmen auch aufbringen müssten, wenn sie geschlossen sind. «Grundsätzlich würde ich sagen, wäre eine Orientierung an den Fixkosten sinnvoll gewesen», sagte Hentze. Dies jedoch sei ein deutlich größerer Aufwand. Die Bundesregierung habe sich für eine schnelle, nicht aufwendige Lösung entschieden, mit der kein Unternehmen in der Existenz bedroht werde.
Führende Ökonominnen halten die Milliarden-Ausgaben für gerechtfertigt. Die «Wirtschaftsweise» Veronika Grimm sagte, der verlängerte Teil-Lockdown werde kaum gravierende Auswirkungen auf die Wirtschaftskraft in der Bundesrepublik haben - denn die hauptsächlich betroffenen Branchen hätten einen vergleichsweise geringen Anteil an der Bruttowertschöpfung. So trage das derzeit weitgehend geschlossene Gastgewerbe 1,6 Prozent bei - die gegenwärtig vergleichsweise gut laufende Industrie dagegen einen Anteil von rund 25 Prozent und der ebenfalls geöffnete Einzelhandel von um die 10 Prozent, sagte Grimm.
Auch Katharina Utermöhl, Volkswirtin bei der Allianz-Gruppe in Frankfurt, geht von einer nur leichten negativen Wirkung des Teil-Lockdowns aus, was auch für die Situation auf dem Arbeitsmarkt gelte. «Der zweite Lockdown wird hier keine nennenswerten Auswirkungen haben», sagte sie mit Blick auf die Arbeitslosenzahlen. Die Bundesagentur für Arbeit wird ihre November-Statistik an diesem Dienstag (1. Dezember) bekanntgeben.
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) hält staatliche Entschädigungszahlungen an die Wirtschaft für rechtlich geboten, bis die einschneidenden Corona-Auflagen aufgehoben werden. «Wir gehen alle davon aus, dass wir möglichst bald einen Impfstoff haben werden. Solange wir allerdings weitere so gravierende Einschränkungen erleben, solange muss es aus meiner Sicht auch Hilfen geben», sagte Lambrecht der Zeitung.
Deutliche Kritik kommt indes von der Opposition. «Wir brauchen Corona-Hilfen, die auch langfristig gerecht funktionieren und bei denen verantwortlich mit Steuergeldern umgegangen wird», sagte Claudia Müller, Mittelstandsbeauftragte der Grünen-Fraktion im Bundestag, der «WamS». Es könne nicht sein, dass bei einigen viel zu viel und bei anderen, wie zum Beispiel Solo-Selbstständigen oder dem Einzelhandel, viel zu wenig ankomme. FDP-Bundestagsfraktionvize Michael Theurer kritisierte, die von Altmaier angekündigten Abschlagszahlungen würden Gastwirten, Soloselbstständigen und Kulturschaffenden nicht helfen. Vielmehr müsse das Geld «endlich real auf den Konten der Betroffenen ankommen».
Linke-Fraktionschef Dietmar Bartsch forderte die Bundesregierung auf, zu viel gezahlte Corona-Hilfen zurückzufordern. «Sofern es Überkompensierungen geben sollte, müssen diese angepasst werden», sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Montag). Überflüssige Hilfszahlungen in Milliardenhöhe zulasten der Steuer- und Beitragszahler habe es bereits bei Dax-Konzernen, die indirekte Staatshilfen mitnahmen und gleichzeitig Dividenden ausschütteten, gegeben. «Dieses Geld sollte die Bundesregierung zurückfordern, auch um die aktuellen Hilfen damit zu einem Teil zu finanzieren.» (Mit Material der dpa)