Vor zehn Jahren hatten drei junge Schwaben aus dem Raum Esslingen eine Idee: Sie wollten Bestellungen und Bezahlvorgänge in der Gastronomie mit Hilfe der Smartphones der Gäste revolutionieren. Zehn Jahre später ist das Unternehmen nach wie vor am Markt, allerdings als einer der führenden Anbieter im Bereich der digitalen Gästereise in Hotels.
Zwei der drei straiv-Gründer Patrick Luik und Alexander Haußmann blicken heute im Gespräch mit Tageskarte zurück auf zehn turbulente Jahre.
Frage: Eigentlich habt ihr beide vor gut zehn Jahren Wirtschaftswissenschaften studiert. Wie konnte es passieren, dass Ihr dann angefangen habt, Euch tatsächlich mit der „Wirtschaft“ zu beschäftigen?
Alex: Ich war ab der 10. Klasse auf dem Wirtschaftsgymnasium und habe das beste Abitur im Fach Wirtschaft Baden-Württembergs geschrieben. Daher war für mich klar, dass ich etwas mit Wirtschaft machen sollte und die Start-up Szene hat mich schon immer sehr interessiert. Neben dem Sportteil war tatsächlich der Wirtschaftsteil das einzige, was mich in der Zeitung interessiert hat…
Patrick: Ich bin erst den praktischen Weg gegangen - Ausbildung zum Fachinformatiker, dann neben dem Vollzeitjob Business Administration studiert. Theorie ist gut, aber die echte Wirtschaft fängt da an, wo Verantwortung spürbar wird: Wenn Gehälter gezahlt, Entscheidungen getroffen und Risiken getragen werden müssen. Ich wollte nicht nur darüber reden, wie Unternehmen funktionieren - ich wollte selbst eins aufbauen.
Frage: Wie kam es zu dem Moment, an dem ihr tatsächlich entschieden habt, lieber in die Selbstständigkeit zu gehen und nicht eine Karriere als angestellte Manager anzustreben?
Alex: Ich erinnere mich, dass ich in einem Freundebuch als Kind in der Rubrik "Was willst du mal werden” geschrieben habe, dass ich Fußballspieler oder Chef werden möchte. Mit dem Fußballer wurde es leider nichts - daher musste ich dann schauen, wie ich zum Chef werde. Aber Spaß beiseite. Fabi, Patty und ich waren bereits lange befreundet und in uns schlummerte schon immer die Idee einer eigenen Firmengründung. Wir haben in der Vergangenheit sehr häufig über Geschäftsideen gesprochen. Bei dieser konkreten Idee (Self-Ordering-System für Restaurants) fing es aber zum ersten Mal so richtig an zu kribbeln und der Enthusiasmus war gigantisch. So gigantisch, dass wir einfach eine Firma gründen mussten!
Frage: Heute geht es bei straiv um die Hotellerie. Aber damit seid ihr nicht gestartet. Was war euer erstes Produkt?
Alex: Wir sind aufgrund eines Problems, welches wir am eigenen Leibe erfahren haben, mit einer Restaurant-Lösung gestartet. Wir waren damit im Gastgewerbe eines der ersten Unternehmen, das sich mit dem Thema Self-Ordering im Restaurant beschäftigt hat. Bei unserer ersten Lösung konnte man mit dem eigenen Smartphone durch das Scannen eines QR-Codes am Tisch Essen und Trinken direkt an den Tisch bestellen. Außerdem sollte über die Web-App auch bezahlt werden und eine Servicekraft gerufen werden können. Wo QR-Codes heute allgegenwärtig sind, wurden sie damals nicht wirklich effizient genutzt. Der Grundgedanke, das Personal mithilfe von Technologie zu entlasten, war damals schon ein wesentlicher Faktor für die Entwicklung unserer Lösung. Das hat sich auch bis heute durchgezogen, denn das Thema Personalmangel ist einfach nach wie vor eine große Herausforderung für das gesamte Gastgewerbe. Aber jetzt entlasten wir mit unserer digitalen Gästereise das Hotelpersonal und nicht mehr Restaurantfachkräfte.
Frage: Das Ganze passierte aber nicht in schicken Start-up-Büros, sondern an einem Ort, der an die Garagen-Geschichten aus dem Silicon-Valley erinnern lässt…
Patrick: Stimmt. Unser erstes „Büro“ war der holzgetäfelte 12-Quadratmeter-Keller meiner Großeltern in Esslingen-Zollberg. Wenig Tageslicht, kaum Platz, aber dafür jede Menge Energie. Es war eine tolle Zeit, an die wir gerne zurückdenken - aus Dankbarkeit und Verbundenheit haben wir später sogar einen Besprechungsraum nach dem Ortsteil benannt: Zollberg. Was in den USA die Garage ist, war für uns eben der Keller - pragmatisch, fokussiert und voller Ideen.
Frage: Irgendwann habt ihr dann aber nicht nur den Keller der schwäbischen Großmutter verlassen, sondern auch das Geschäftsmodell gewechselt. Wie kam es zu dem Branchenwechsel?
Alex: In der Gastronomie war bereits vor 10 Jahren das Interesse bei Gästen an digitalen Lösungen recht hoch, jedoch war auf der Restaurant-Seite zu der Zeit noch niemand bereit für digitale Services zu bezahlen. Damals war es eher üblich, in ein neues, moderneres Kassensystem zu investieren. Also haben wir uns nach “ähnlichen” Branchen umgeschaut, bei denen die digitale Adaption schon weiter fortgeschritten war und wo der Mehrwert für beide Seiten klar zu erkennen war. Deshalb lag es für uns nahe, sozusagen einen Tisch gegen ein Hotelzimmer zu tauschen und eine Hotellösung zu entwickeln. Angepasst auf den Use-Case Hotellerie, haben wir sehr schnell die digitale Gästemappe auf den Markt gebracht. Damals als einziger Anbieter ohne native App und ohne Tablets (Hardware), sondern als PWA (=Progressive Web App) - die Nachfrage war von Anfang an riesig.
Frage: Aber die Gästemappe ist inzwischen auch nicht mehr das Kerngeschäft. Zeigt das auch, wie schnell sich die Hotellerie digital wandelt?
Alex: Die Gästemappe markierte den Startschuss unseres Produktportfolios und ist immer noch Teil des Leistungsspektrums. Der Fokus und die Kundenanfragen richten sich aber mittlerweile an eine ganzheitlich gedachte Gastreise - von der Buchung bis zum Check-out. Für jeden Schritt haben wir in den letzten 10 Jahren eine Lösung entwickelt. Schön zu sehen ist vor allem, dass sich viele familiengeführte Hotels aus allen Sterneklassifizierungen mit dem Thema Automatisierung beschäftigen. Die Anforderungen sind zum Teil sehr unterschiedlich, dies ist durch unseren modularen Ansatz zum Glück super umsetzbar.
Frage: Inzwischen beschäftigt ihr über 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und seid erst vor kurzen in ein größeres Büro in Stuttgart-Vaihingen gezogen. Ist das eine gute Größe oder soll das Wachstum weiter gehen? Und wenn ja, was hält bei straiv technologisch als nächstes Einzug.
Alex: Wir sehen die Hotellerie als eine absolute Zukunftsbranche, wo es noch eine Menge zu automatisieren und zu digitalisieren gibt. Dementsprechend gehen wir bei straiv von einem weiterhin starken Wachstum aus, welches nur als Team mit Experten aus allen Bereichen bewerkstelligt werden kann. Zum Glück haben wir großartige, hochmotivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die straiv leben und diesen Spirit auch an kommende “straiver” weitergeben - und unser neues Office bietet auf jeden Fall genug Platz für unser geplantes Wachstum.
Patrick: Technologisch beschäftigen wir uns als Software-Anbieter vor allem mit KI und umfangreichen Integrationen zu bestehenden und neuen Technologiepartnern in unserem Ökosystem. Uns ist es aber auch sehr wichtig, dass die bestehende Lösung stets auf dem modernsten Stand ist, reibungslos funktioniert und unsere Kunden sich immer auf uns verlassen können. Uns und vor allem unserem Product- & Innovation-Team wird die nächsten Jahre auf jeden Fall nicht langweilig werden…
Frage: So ein Wachstum zu schultern und ein führender Tech-Anbieter der Hotellerie zu werden, kostet natürlich Geld. Welche Investoren stecken eigentlich hinter straiv?
Patrick: Wir haben straiv eigenfinanziert aufgebaut - ohne externe Investoren. Weniger Kapital bedeutete: bessere Entscheidungen, maximale Hingabe und konsequenter Fokus. Eine schlanke private Kostenstruktur war dabei entscheidend. Für mich war es selbstverständlich, auch mein Auto zu verkaufen, um mehr Zeit und Energie in den Aufbau unseres Unternehmens zu stecken. Bis heute investieren wir unser eigenes Geld und wachsen aus eigener Kraft - quasi ein schwäbisches Familienunternehmen in erster Generation.
Alex: Wir sind auch unfassbar stolz darauf, dass wir uns ohne Investoren über die letzten 10 Jahre weiterentwickeln konnten. Wenn man sich mit anderen Unternehmen vergleicht, ist das die absolute Ausnahme. Dies ging aber nur Dank unseres fantastischen straiv-Teams und Wegbegleitern, die von Beginn an an uns geglaubt haben. Nicht zu vergessen natürlich unsere Freunde und Familien, die immer hinter uns standen und uns Mut zugesprochen haben. Vor allem dann, wenn es mal nicht so lief, wie wir uns das vorgestellt hatten.