«Go home»: Wie sich Spanien gegen Overtourism wehrt

| Tourismus Tourismus

Die Sonne gleißt über der Muschelbucht und dem Hafen. Ab dort ist es ein Katzensprung in die Altstadt mit ihren Kneipengassen, den Kirchen und dem Hauptplatz. Dort verraten Nummern über den Balkonen, dass einst Logen für Stierkämpfe vermietet wurden.

Keine Frage, die Kulissen und gastronomischen Angebote in der Küstenstadt San Sebastián sind verlockend – und ein gefundenes Fressen für Reiseveranstalter, die den Zulauf mit Myriaden an Gästen befeuern. 

In spanischen Städten sind die Anwohner zusehends genervt von den Invasionen, die Gedränge und Lärm verursachen. Nun greifen Maßnahmen, um diesem sogenannten Overtourism gegenzusteuern.

Brisant sind die Verwandlungen von Apartments in touristische Quartiere, wodurch der Wohnraum für die Einheimischen schrumpft. Gegenwärtig rufen angeklebte Flyer an Altstadthäusern in Pamplona zu Protesttreffen auf: «Hier lebt ein Stadtviertel. Wie man touristische Wohnungen in deinem Gebäude verhindert.»

Bei einer Demonstration Mitte Juni in Granada stand das Weltkulturerbe-Stadtviertel Albayzín im Fokus. Unter dem Motto «Unser Viertel ist kein Themenpark» wandte sich die Bürgerplattform «Bewohnbarer Albayzín» gegen Immobilienspekulation und Massenüberflutung, forderte von der Politik eine Begrenzung touristischer Unterkünfte. Auf Plakaten stand zu lesen «Anwohner vom Aussterben bedroht» und «Mach‘ kein Foto von mir, ich bin nicht deine Postkarte».

So zugespitzt mancher Schlachtruf ist, so halbherzig wirkt manch offizielle Initiative - denn die Verantwortlichen wissen um den Profit, den der Fremdenverkehr generiert. Hier kommen fünf Beispiele, wie Spaniens Städte dem Overtourism Herr werden wollen.

San Sebastián: geteilte Gruppen, verbannte Megafone

25 Teilnehmer pro Gruppe. Diese Grenze gilt nun bei geführten Stadtrundgängen in San Sebastián, um die Zuströme zu kanalisieren. Veranstalter, die Besuchermassen umherführen, sind gezwungen, die Gruppen zu teilen und mehr als einen lizenzierten Fremdenführer unter Vertrag zu nehmen. Die Mehrkosten dürften die Reisen verteuern.

Die Benutzung von Ohrhörern ist obligatorisch, Führungen mit Megafon sind untersagt. Zudem muss jeder Guide ein ausgefülltes Besuchsformular bei sich haben. Zuwiderhandlungen kosten bis zu 1500 Euro Strafe.

Valencia: bessere Routen, weniger Mega-Schiffe

Auch in der ostspanischen Großstadt am Mittelmeer greifen Gruppenlimits, obgleich die Maßnahme laut der offiziellen Guide-Vereinigung noch kein Gesetz ist und Regelverstöße bislang nicht geahndet werden: maximal 25 Personen in der Stadt, 20 im historischen Zentrum. Die Guides sollen ihre Routen besser miteinander abzustimmen, um nicht an denselben Sammelpunkten wie in der Markthalle zusammenzutreffen.

Vor allem Mega-Kreuzfahrtschiffe sind ein Dorn im Auge. Deren Ankünfte sollen nach den Worten von Valencias Bürgermeisterin María José Catalá ab 2026 stark eingeschränkt werden. «Die schwimmenden Städte sind schlecht», so Catalá. Sie entsprächen nicht dem touristischen Modell, auf das die Stadt setze. Von einer kompletten Verbannung der Riesen ist allerdings keine Rede. Und konkrete Zahlen zur Beschneidung des Kreuzfahrttourismus wurden auch bisher nicht genannt.

Barcelona: frühe Warnungen, Eintrittskarten online

Unter dem Zulauf des Kreuzfahrttourismus stöhnt gleichermaßen die Hauptstadt Kataloniens im Nordosten. Im vergangenen Jahr machten 3,6 Millionen Passagiere Station, mitunter nur für wenige Stunden.

«Wir kommen ans Limit. Es ist offensichtlich, dass die Stadt nicht jährliche Steigerungen von acht Prozent verkraften kann», äußerte unlängst Barcelonas Bürgermeister Jaume Collboni. Er plädiert in Zukunft für eine Begrenzung der Kreuzfahrtschiffe und – «falls es nötig wäre» die Schließung des ein oder anderen Kreuzfahrtterminals.

An alle Besucher richtet sich die im Juni gestartete Kampagne «Barcelona, unser Zuhause. Und eures», die 400.000 Euro gekostet hat und bis Ende August läuft. Sie appelliert an den Respekt gegenüber den Einwohnern.

Bald soll es, so die katalanische Digitalzeitung «El Nacional.cat», eine Art Warnsystem geben. So sollen Touristen gewisse Zonen und Attraktionen gar nicht erst aufsuchen können, in denen bereits Überfüllung herrscht. Dazu zählen der Park Güell, dessen Eintrittskarten nur noch online erhältlich sind, und der Markt La Boqueria. Auf Bildschirmen in Kreuzfahrtterminals taucht auf, ob es aktuell noch Eintritte für die Sagrada Família gibt. 

Toledo: ungeliebte Kurzzeitgäste, angedachte Touristensteuer 

Die Altstadt, die Gassen, die historischen Spuren der Mauren und Juden, das Museum des Malers El Greco – die Metropole südlich von Madrid ist eine Klasse für sich, ächzt aber unter dem Zulauf. Im Durchschnitt sieht sich Toledo täglich von einer halben Hundertschaft Touristenbussen überrollt.

Zumeist handelt es sich um Ausflügler, die weder übernachten noch einkaufen oder konsumieren. «Unglücklicherweise hinterlassen sie in vielen Fällen gar nichts für die Stadt», sagt Bürgermeister Carlos Velázquez Romo. Um «diese Belastung zu kompensieren», stehe derzeit eine Touristensteuer als Tagesgebühr zur Debatte. Über die Höhe und praktische Umsetzung, diese abzukassieren, ist noch nichts bekannt.

Info: turismotoledo.es/de

Santiago de Compostela: kein Konsens

«Tourist go home» hat irgendjemand auf eine Hauswand nahe dem Stadtpark gepinselt. Doch diese Aufforderung bleibt ebenso unbeachtet wie eine Tafel bei der Kathedrale. In mehreren Sprachen – Galicisch, Spanisch, Englisch – betont sie unter anderem das Recht der Bewohner auf Nachtruhe. Doch die Tafel ist unscheinbar und mit zu viel Text unübersichtlich gestaltet. 

Laut Stadtführer Francisco Esteban Palomo sind die Diskussionen um Overtourism in Santiago de Compostela entfacht, aber bei möglichen Maßnahmen gebe es bislang keinen Konsens. Zudem gibt Palomo zu bedenken: «Welchen Sinn würde es machen, wie in San Sebastián, eine Fünfziger-Gruppe in zwei Gruppen von je 25 zu splitten? Das wären nicht weniger.» Außerdem würden sich die Händler beklagen, wenn er mit seinen Gruppen um bestimmte Gassen einen Bogen machen müsse, um nichts zu blockieren.

In einem Interview mit der Regionalzeitung «La Voz de Galicia» hat sich Tommi Alvarellos, der Vorsitzende der regionalen Guide-Vereinigung von Galicien, für eine Touristensteuer für Tagesausflügler ausgesprochen.

Was Massenandrang ebenfalls mit sich bringt: Bei der Zwölf-Uhr-Pilgermesse in der Kathedrale sollte man sich mittlerweile mindestens eine Stunde vorher einen Sitzplatz sichern. (dpa)


 

Zurück

Vielleicht auch interessant

An beliebten Urlaubsorten regt sich immer mehr Widerstand gegen die Touristenmassen und ihre Auswirkungen. Deutsche Urlauber bekommen davon bislang aber wenig mit, wie eine Umfrage zeigt.

Übertourismus stellt eine ernste Herausforderung für viele beliebte Reiseziele weltweit dar. Aber wissen die deutschen Reisenden überhaupt, worum es sich bei diesem Phänomen dreht und wie schätzen sie die eigene Rolle ein?

Die deutschen Unternehmen und öffentlichen Institutionen haben sich ihre Geschäftsreisen im Jahr 2023 wieder deutlich mehr kosten lassen. Wie die aktuelle VDR-Geschäftsreiseanalyse 2024 belegt, stiegen die Ausgaben um 72 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Im Rahmen des ÖHV-Urlaubsradars hat die Österreichische Hoteliervereinigung Österreicher nach ihren Urlaubsplänen für die heißesten Monate des Jahres befragt: Drei Viertel machen im Sommer Urlaub, jeder Zweite im Inland.

Nach gut einer Woche Fußball-EM ziehen die Gastgeberstädte Berlin, Stuttgart, Frankfurt am Main, Köln und Dortmund eine erste, durchweg positive Bilanz der Uefa Euro 2024.

Erst Hochwasser, dann Mückenplage: Am Bodensee breiten sich Schnaken gerade explosionsartig aus. Das Wetter bietet beste Voraussetzungen. Bodensee-Touristen und Anwohner sollten sich deshalb wappnen.

Im Kampf gegen die Wohnungsnot will Barcelona bis Ende 2028 die Vermietung von Ferienwohnungen abschaffen. Alle Wohnungen würden dann von Bewohnern der Metropole im Nordosten Spaniens benutzt werden können, so der Plan des Bürgermeisters.

Der bange Blick auf das Gepäckband im Flughafen: Ist mein Koffer mitgekommen? Passagiere ärgern sich über verspätetes Gepäck. Die Industrie verbessert sich - es ist aber noch Luft nach oben.

Mit dem Eröffnungsspiel zwischen Deutschland und Schottland startet am 14. Juni 2024 die Europameisterschaft im eigenen Land. Ein paar Monate vor dem Start der Europameisterschaft in München gibt es für Fans in Deutschland nur noch wenig Chancen an die begehrten Stadiontickets zu kommen. Eine kleine Resthoffnung gibt allerdings noch, auch wenn diese fast einer Lotterie gleichen.

Der Sommer steht vor der Tür, und mit ihm die Sehnsucht nach Sonne, Meer und Strand. Während die Strände Europas jedes Jahr zahlreiche Urlauber anziehen, gibt es einige, die aufgrund ihrer Beliebtheit regelrecht überflutet werden.