Arbeiten ohne Hierarchie - geht das überhaupt?

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Strenge Regeln, steile Hierarchien, vertikale Schornsteinkarrieren - das ist das System von gestern. Im schnelllebigen, kreativen, digitalen Arbeitsprozess funktioniert das schon jetzt immer weniger. Denn: Jeder Mensch, allen voran die Generationen Y und Z mit ihrem Drang nach Selbstverwirklichung und Work-Life-Balance, kann seinen Job nur richtig gut machen, wenn die Bedingungen stimmen. 

Noch immer sprechen Manager davon, dass Leute an sie „berichten“. HR-Abteilung, Personalberater und Unternehmensleitung bewerten eine Führungskraft danach, wie groß ihre Personalverantwortung ist. Ich plädiere dafür, dieses Wort aus dem Managementvokabular zu streichen. An die Stelle von „Weisungsbefugnis“ treten dann „Information“, „Kommunikation“ und „Ergebnis“.


Über den Autor Albrecht von Bonin

Albrecht von Bonin ist einer der profiliertesten Personalberater in der Hospitality Industry. Die Suche und Auswahl von Spitzenkräften, der Einsatz von Interim Managern sowie Management Coaching für Führungskräfte und Unternehmer – das sind die Kernkompetenzen, mit denen VON BONIN und die avb Management Consulting echte Mehrwerte bietet.

Mit seinem Fachbeiträgen bei Linkedin, die auf der Erfahrung von 40 Jahren Beratungspraxis fußen, erreicht von Bonin seit Jahren viele tausend Leser. Jetzt gibt es seine Beiträge auch bei Tageskarte.


 

 

Es geht nicht mehr ums Nasenzählen

Dem Finanzchef eines Unternehmens, das die IT ausgegliedert hat, stehen möglicherweise nur noch zwei Assistenten zur Seite. Aber durch seine Entscheidungen kann an einem Tag so viel Geld verloren gehen oder gewonnen werden, wie der Rest des Unternehmens in einem Jahr erwirtschaftet. Der Revenue Manager mehrerer Hotels hat nicht mal eine Sekretärin. Doch seine Erfolgsbilanz ist so, dass er damit Gedeih oder Verderb der Hotel Company maßgeblich beeinflusst. Im militärischen Bereich befehligte ein Oberstleutnant gewöhnlich ein ganzes Bataillon. Heute braucht er vielleicht noch einen Adjutanten und hat sich um kriegsentscheidende Strategien oder die Verbindungen zu einem wichtigen Partnerland zu kümmern.

Weg mit der Hierarchie!?

Ein Aufschrei hallt durch die Top Etagen. Kann hierarchiefreies Arbeiten funktionieren? Zunächst mal: Hierarchiefrei gibt es nicht. Wo Menschen aufeinandertreffen, bilden sich automatisch Hierarchien. Das ist normal. Das lehrt uns die Natur. So ist z.B. nicht jeder Mitarbeiter in der Lage, seinen Arbeitstag eigenverantwortlich zu organisieren. Manche Kollegen wollen das auch gar nicht. Andere wiederum lechzen danach. Wonach Mitarbeiter heute aber suchen, ist Selbstverwirklichung, Mitbestimmung, Kommunikation auf Augenhöhe – unabhängig von ihrer Rolle. Nicht normal ist es, wenn Hierarchien künstlich übergestülpt werden oder Führung nur kraft Amtsautorität erfolgt.

Ein Blick in die Realität: Manche Chefs unterliegen immer noch der Illusion, sie seien die Besten, die Schnellsten und Klügsten. Sie tun so, als ob nur sie den perfekten Weg kennen. Sie sagen ihren Leuten genau, was zu tun ist. Sie nehmen ihnen das Denken ab, weil es einfacher ist, über „klare Ansage“ zu steuern. Das funktioniert künftig nicht mehr. Mancher Häuptling ruft verzweifelt: „Warum tun die nicht einfach das, was ich sage?“ Eine neue Form der Führung muss her. Nur wer diese Tatsache akzeptiert, kann Veränderungen mitgestalten, statt an ihnen zu verzweifeln.
Wie muss Führung in Zukunft aussehen?

Manager müssen lernen, mit Situationen zurechtzukommen, in denen sie nichts befehlen können, in denen sie selbst weder kontrolliert werden noch Kontrolle ausüben können. Das ist die elementare Veränderung. Der Richtwert für die Komplexität und den Umfang der Verantwortung einer Führungskraft wird nicht mehr durch die Anzahl der Mitarbeiter definiert, sondern durch die Ergebnisse, die sie hervorbringt und die Beziehungen, die sie nutzt, um ihre Aufgabe zu erfüllen. Echte Leader begleiten den Prozess der Umsetzung und greifen nur dann ein, wenn sie merken, dass vereinbarte, wichtige Prinzipien verletzt werden oder das Ziel nicht erreicht wird. Gute Manager akzeptieren, dass ihre Mitarbeiter Aufgaben anders bearbeiten, als sie selbst - und sie respektieren, dass ihre Leute teilweise über besseres Know-how und Kompetenzen verfügen. Führung brauchen wir aber nach wie vor. Sie wird auch von den meisten Mitarbeitern erwartet.

Besonders Konzerne sind immer noch darauf aus, ihre Tochterfirmen und Filialen an der kurzen Leine zu führen. Aber dieser zentralistische Ansatz stammt aus den 50er und 60er Jahren. In Zukunft wird das multinationale Unternehmen so immer rascher zur aussterbenden Spezies.

Voraussetzung selbst bestimmten Arbeitens ist Vertrauen

Wenn Entscheidungen auf Basis gemeinsamer Regeln getroffen werden, entsteht Vertrauen. Hier zeigt sich, warum eine sauber definierte Unternehmenskultur und hohe Selbstreflektion des Managements wichtigste Anforderung an moderne Führungsarbeit geworden sind. Wenn es ein Wort gibt, das wir aus unseren Köpfen bekommen müssen, dann ist es nicht das Wort „Hierarchie“, sondern das Wort „Vorgesetzter“. Dieses Wort zeigt treffend, wie unsinnig übergestülpte hierarchische Strukturen sind. Da heißt es: Uns wird jemand „vorgesetzt“, jemand der uns gegenüber „weisungsbefugt“ ist, dem wir „disziplinarisch untergeben“ sind. Mal ehrlich: Möchten Sie Vorgesetzte? Nein, Sie wollen echte Anführer. Sie möchten keine Weisungsbefugnis – Sie wollen Entscheidungskompetenz. Sie möchten keine Disziplin – sondern Teamgeist. Wagen wir also das Experiment: Wir schaffen die alten Hierarchien ab. Okay, bis heute sind Sie noch ein „ganz normales“ Unternehmen: Es gibt außer Ihnen als CEO mehrere Führungskräfte, die jeweils den einzelnen Bereichen vorstehen - und „darunter“ die Mitarbeiter.

Das Problem des alten Modells

Doch nun ist zu beobachten, dass sich Chefs in raschen Transformationsprozessen schwertun, alle Geschehnisse von oben reibungslos zu steuern. Sie müssen immer erst Informationen einholen, um Entscheidungen treffen zu können. Was hat gerade Priorität? Wo läuft etwas aus dem Ruder? Wer braucht Hilfe? Wo muss es jetzt ganz schnell gehen? Es ist ein permanentes Gerangel um Ressourcen. Kann ich den erhaltenen Informationen vertrauen? Und dazu noch die Grabenkämpfe zwischen Abteilung A und B. Aufwand und Kräfteverschleiß sind immens.
Frage: Warum werden Entscheidungen nicht einfach dort getroffen, wo das Know-how ist: in den Abteilungen und Projektgruppen. Es wird Ihnen kein plausibler Grund einfallen. Also strukturieren Sie sich vollkommen neu – indem Sie:
feste Projekt-Teams zusammenstellen, die aus interdisziplinären Experten verschiedener Fachrichtungen bestehen innerhalb der Teams Hierarchien abschaffen, oder die Teams entscheiden lassen, wer die Leader-Rolle aufgrund seiner Persönlichkeit wahrnehmen soll, kann und will. Dafür sind klare Spielregeln erforderlich.

Ihre eigene Entscheidungsgewalt einschränken und die Teams in sich autark machen, ihnen freie Hand lassen - über Urlaubsplanung, Arbeitsort, Gestaltung von Arbeitsplätzen, Arbeitszeiten. Selbst ihre Teamziele können sie jetzt selbst entscheiden.
Klar - der Weg zum mitarbeiterorganisierten Unternehmen ist kein Honigschlecken. Es bleibt auch auf längere Sicht eine Herausforderung. Wenn Sie z.B. als CEO Ihren Mitarbeitern mitteilen, dass sie in Zukunft selbst organisiert arbeiten und selbst entscheiden dürfen, fallen die Reaktionen erstmal völlig anders aus, als Sie es vielleicht erwarten.

Bloß nicht zurück in die Vergangenheit!

Am Anfang verstehen Ihre Leute das System nicht durchgängig und fühlen sich von der neuen Verantwortung regelrecht erschlagen. Daher sollten Sie jetzt als Coach mit Rat und Tat zur Seite stehen. Vielleicht holen Sie sich sogar externe Unterstützung durch einen Coach von außen, der Ihren Teams dabei hilft, Prozesse effizient zu gestalten und menschlich zusammenzuwachsen. Sie werden sehen: Schon nach kurzer Zeit wird es nur noch wenige Kollegen geben, die ihren Freiraum wieder aufgeben möchten. Bei der nächsten Mitarbeiterbefragung stellen Sie dann fest: die überwiegende Mehrheit ist auch nicht mehr interessiert, jemals wieder für eine klassisch aufgestellte Firma zu arbeiten. Das stärkt die Bindung ans Unternehmen. Darauf dürfen Sie unheimlich stolz sein. Und auch auf die steigenden Umsätze, Gewinne, die Zufriedenheit Ihrer Gäste, Kunden und Mitarbeiter. Was könnte daran falsch sein?


Autor

Albrecht von Bonin

avb Management Consulting

www.avb-consulting.de

VON BONIN + PARTNER Personalberatung

www.von-bonin.de


 

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