Die Forschung legt nahe, dass negative Bewertungen mehr beachtet werden als positive - trotz ihrer oft fragwürdigen Glaubwürdigkeit. Warum das so ist, hat Caroline Beaton für die New York Times herausgefunden.
Die Chinesische Mauer hat mehr als 9.000 Google-Bewertungen mit einem Durchschnitt von 4,2 Sternen. Das sei nicht schlecht für eine der erstaunlichsten Errungenschaften der Menschheitsgeschichte, so die NYT-Redakteurin. Aber man könne eben nicht jeden zufriedenstellen: „Nicht sehr hoch. Oder groß“, schrieb zum Beispiel ein Besucher des Bauwerks, das sich über Tausende von Kilometern erstreckt. Ein anderer beschwerte sich: „Ich verstehe den Hype nicht, es ist total heruntergekommen und alt ... warum modernisieren sie es nicht?“ Und selbst Shakespeare kann dem Zorn der digitalen Verachtung nicht entkommen. So verlieh ein Rezensent auf Amazon Hamlet nur zwei Sterne: „Wer auch immer gesagt hat, Shakespeare sei ein Genie gewesen, hat gelogen. Es sei denn, Shakespeare sei ein Code für langweilig. Dann wäre es genau richtig.“
Zwei Drittel glauben den Bewertungen
Im Jahr 2016 fand das Pew Research Center heraus, dass 82 Prozent der amerikanischen Erwachsenen bei ihren Einkäufen auf Online-Bewertungen vertrauen. Und mehr als zwei Drittel davon hielten die Bewertungen für „allgemein zutreffend“. Marketing-Daten zeigen, dass insbesondere negative Bewertungen unser Kaufverhalten dramatisch beeinflussen. Untersuchungen über Vorurteile und Demografie von Online-Rezensenten lassen aber darauf schließen, dass dieses Vertrauen unbegründet ist.
Doch warum kümmern sich die Menschen so um negative Bewertungen? Schließlich gibt es online viel mehr gute Kommentare als schlechte. Studien legen nahe, dass es gerade die Knappheit negativer Bewertungen ist, die einen höheren Wert vorgaukelt. So wurden in einer Datenstichprobe von Amazon 4,8 Prozent der verifizierten Käufe mit einem Stern bewertet, während 59 Prozent mit fünf Sternen bewertet wurden. Dies ergab eine Studie von The Journal of Marketing Research. „Diese Seltenheit der negativen Bewertungen kann helfen, sie von anderen Bewertungen zu unterscheiden", schrieb anschließend einer der Forscher. Daher würden die Leser ihnen mehr Aufmerksamkeit schenken. Darüber hinaus empfänden viele Leser negative Bewertungen als informativer, da sie Defekte hervorheben. Und das selbst dann, wenn diese nicht näher beschrieben werden.
Nicht der Durchschnitt
Was ebenfalls zu bedenken ist: Der typische Online-Bewerter ist eben nicht der Durchschnitt. Sie kaufen häufiger Dinge in ungewöhnlichen Größen, machen Rückgaben, sind verheiratet, haben mehr Kinder, sind jünger, weniger wohlhabend und haben einen höheren Schulabschluss als der Durchschnittsverbraucher, wie eine Studie aus 2014 von Dr. Duncan Simester feststellte. „Sehr wenige Leute schreiben Bewertungen. Es sind etwa 1,5 Prozent oder 15 von 1.000 Personen", erklärte der Wissenschaftler. „Sollten wir uns also auf diese Leute verlassen, wenn wir Teil der anderen 985 sind?"