Gerstners Gedanken: Grün, grün, grüner wird’s nicht? Aber ja doch!

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Die Berliner Hospitality-Agentin Eva Miriam Gerstner teilt ihre Gedanken mit euch: über Gastronomie und Gastfreundschaft, über Corona und wie eine neue Normalität aussehen könnte. Dieses Mal geht es um das Thema Nachhaltigkeit: Es wird viel darüber geredet, doch wo bleibt dabei der Tierschutz? Oft auf der Strecke. Das muss sich ändern, findet unsere Kolumnistin. 

Grün, grün, grün. Ökologie und Nachhaltigkeit. Bio und Umweltschutz und Fair Trade. Alles Schlagwörter, die gerade so hart bedient werden. Noch viel mehr als vor der Pandemie.

Jeder ist grün, kümmert sich, steht voll auf Nachhaltigkeit und ist im Herzen so und so voll öko. Pressemitteilungen über die neue Ökologie, Statements über „Wir sind jetzt grün!“ und wo man nicht wie und was alles fürs Klima und die Anti-Wasser Verschwendung macht. Die grünen Zwanziger sollen jetzt angeblich voll angekommen sein.

Das ist ja alles gut und recht, aber es gibt ein Thema, das wird nie bespielt, vielleicht weil es so unangenehm ist: Tierwohl und Tierschutz in der Hospitality. Und das, obwohl wir täglich Tonnen an tierischen Rohstoffen in unserer Branche „verbraten“.

Es wird immer über Wasser und Reinigungsmittel gesprochen, darüber dass man (angeblich) Abfälle reduziert, keine Ressourcenverschwendung mehr betreibt, mit Ökostrom arbeitet. Aber was wir tagtäglich Millionen von Lebewesen antun, darüber wird nur wenig berichtet.

Klar ist, die Nachfrage nach vegetarischen und veganen Angeboten steigt, sowohl auf Produzent*inen- als auch auf Konsument*innenseite – aber letztlich ist das ja doch alles nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Wir müssen viel mehr tun!

Also fragen wir uns doch heute einmal hier und jetzt, was wir besser machen können. Was kann jeder Einzelne in seiner kleinen Welt von uns dazu tun, um die (Tier)Welt ein bisschen besser zu machen?

Ethisch und moralisch ist die Grundlinie schon längst überschritten. Wenn wir wirklich darüber nachdenken, dann kann das alles keiner von uns wirklich und nachhaltig vertreten wollen. Grün hin oder her.

Und ich muss die Kritiker*innen enttäuschen. Ich bin weder Vegetarierin noch Veganerin, noch eine militante Tierschützerin. Ich bin nur Tierfreundin. Und ich empfinde es als himmelschreiende Ungerechtigkeit, was da draußen passiert. Was letztlich wir alle den Tieren antun. Das kann so einfach nicht sein.

Was kann so nicht sein? Was ist es, was mich so um- und antreibt? Was ich so unfassbar grausam und unmenschlich finde?

Sprechen wir also über Fleisch, Fisch, Milch, Eier, Käse, Butter und all die tierischen Erzeugnisse, die wir Tag für Tag in der Hospitality nutzen. Tonnenweise.

Wo kommen denn diese Produkte her? Ja ja, Lieferant XYZ hat nur sehr gute Ware, da kommt alles aus Deutschland. Ist Topqualität alles. XYZ würde nie Massenmist an uns verkaufen. Wirklich?

Was bedeutet denn Massenmist eigentlich ganz genau? Was bedeutet „Ware aus Deutschland“? Wer definiert, was Mist ist? Wer von uns sieht denn ganz genau hinter die Kulissen der Lebensmittelproduktionen? Wer hat das schon alles einmal im Detail hinterfragt?

Wer weiß denn wirklich ganz genau, wie die Currywurst an der Wurstbude vorher gelebt hat, ob die Milch im Käse auf der Pizzaschnitte an der Tankstelle aus Anbindehaltung stammt, die Bolo in der Tomatensoße vor dem Tod 15 Stunden Tiertransport hinter sich hat? Die Salami auf dem Hotel-Frühstücksbuffet mit Antibiotika gefüttert wurde? Die Eier im Teig vom Schokokuchen aus Käfighaltung stammen ….

Wenn selbst wir, die Leute hinter den Kulissen, in der Hospitality nicht genau hinterfragen, wo was herkommt und wie es „hergestellt“ wurde – was erwarten wir denn dann von den Verbrauchenden?

Ketzerische Frage: Interessiert es uns überhaupt? Oder sind wir dann doch eher nicht so grün? Oder kommt es uns nur auf den (Verkaufs-)Preis an?

Lassen wir Massenrodungen , CO2-Verpestungen, Soja-Anbau, Viehhändler, die zur Vermeidung von Genpool-Mischungen Tiere auch gerne mal frisch von der Alm auf eine achtwöchige Bootsreise auf einen Handelsmarkt nach Ägypten schicken,  Auswirkungen auf das Klima und auf die so genannten Entwicklungsländer, Zubereitungsarten wie lebend gekocht und lebend den Darm entfernt … lassen wir das einfach mal alles weg.

Und fangen wir mit den simplen Dingen an, die rein nur die Lebewesen betreffen: Wieviel Platz hatte das Tier Zeit seines Lebens? Es teilen sich teils 26 Hühner einen Quadratmeter. Und ein Schwein hat im Schnitt 0,8 qm Platz – sein ganzes Leben lang!

Hat das Tier jemals Tageslicht gesehen? Musste es auf Spaltböden stehen? Angebunden in einer Stellung, sein ganzes Leben lang? Was hat das Tier zu fressen bekommen? Hochleistungsfutter, um schneller „fertig“ zu sein? Damit das Fleisch die richtige Farbe bekommt? Welche Medikamente wurden hinzugefüttert? Wurden dem Tier das Kind weggenommen? Wurde es immer und immer wieder per „Arm im Nirgendwo“ von einem Mensch begattet?

Wurde das Tier ohne Narkose kastriert oder sonst ein Teil einfach abgeschnitten? Wie lange war der Schlachtweg? Wieviele Tiere waren in dem Transporter? Hatten die Tiere Wasser zu trinken? Bei 30 Grad im Stau für acht Stunden? Wärmemöglichkeiten bei -10 Grad auf dem Transporter für 15 Stunden? Wurde das Tier ordentlich betäubt bei der Schlachtung? Oder musste es den Schlachtvorgang „live“ miterleben? Alles schon jetzt sehr unschöne Themen. Und der „deep dive“ ist noch sehr viel unschöner.

Mir tut das wahnsinnig weh und ich behaupte jetzt einfach mal, dass es ganz vielen da draußen genau so geht. Man fühlt sich nur einfach machtlos. Aber ich denke, die Mehrheit ist ready für sich ändernde Rahmenbedingungen. Der Genuss muss nicht mehr auf Teufel komm raus stattfinden. Der Preis rechtfertigt das alles nicht mehr.

Franz Keller beschreibt in seinem Buch „Vom Einfachen das Beste“ die Grundproblematiken unserer Lebensmittel- und Agrarproduktion. Für mich eine absolute Pflichtlektüre! Da erkennt man eindrücklich, wie abgefuckt das ganze System ist.

Auch sogenannte Zertifikate und Labels bringen uns nicht weiter. Weil, wenn man sich die Mühe macht und die zugehörigen Richtlinien googelt, kann man sich mit dem Tierwohl Label und der Bio-Zertifizierung und all dem anderen Kram nicht wirklich zufrieden geben.

Was also ist zu tun?

Eigentlich ist Verzicht der einzige nachhaltige Weg. Aber wer will das schon? Nicht jede*r hat Bock auf ein vegan-vegetarisches Restaurant – und schon gar nicht hat jede*r die Gästestruktur dafür, oder auch die Möglichkeit.

Die Gäste wollen ihr Schnitzel und die Currywurst. Das ist einfach so. Grün wollen wir aber trotzdem sein, bzw. sagen das ja auch immer total laut. Das Problem ist dabei auch, dass die Preise für wirklich gute Ware exorbitant hoch sind und die Verfügbarkeit in der Masse oft nicht sichergestellt ist.

Also wenn nicht Verzicht, dann versuchen wir es doch einmal mit Einschränkung, also weniger. Und zusätzlich noch Ersatz Jeder noch so kleine Schritt zählt. Für die Tiere und letztlich auch für unsere grüne Seele.

Meine Top 5 Tierschutz-Tipps für die Hospitality:

  • Weniger ist mehr! Kleinere Fleischportionen, Fleisch wird zur Beilage, tierfrei zur Hauptspeise. Weniger Wurst- und Käsesorten auf den Frühstückbuffets. Von allem viel weniger, aber dafür viel höherer Standard. Dazu bunte Alternativen an Obst und Gemüse, Nüsse, Salate, Aufstriche usw. Und sollte etwas ausgehen, dann ist es eben aus. Manchmal kann man nur eine eingeschränkte Menge von etwas wirklich Gutem kaufen. Aber dann ist es eben so. Dann hat man ja genügend pflanzliche und schöne andere Alternativen im Angebot.
  • Kauft beim Bauern! Und das meine ich wörtlich: Informiert euch, fahrt hin, schaut es euch an. Wählt die nachhaltigste Form, wann immer es möglich ist. Heißt: Wenn schon tierische Produkte, dann aus Manufakturen. Joghurt, Käse, Milch, alles kann man heute aus ökologisch nachvollziehbaren Quellen beziehen. Vor Ort werdet ihr erfahren, wie die Abläufe sind und ihr könnt euch selbst ein Bild machen. Es braucht keine Zertifikate, damit es den Tieren gut geht – es braucht das Verständnis der Menschen
  • „Plant-based“-Alternativen anbieten. Ich weiß, dass diese in den heutigen Küchen oft noch total verpönt sind. Die Qualität veganer Wurst-, Fleisch- und Käsealternativen passt aber mittlerweile bei ganz vielen Produkten. Und diese kommen auch gut bei den Gästen an. Versucht es. Ihr werdet eure Qualität finden! Testet in der Küche anstatt tierische Fette, pflanzliche Alternativen, bietet Milchalternativen an und verkauft diese pro-aktiv. Auch bei Eissorten gibt es mittlerweile sooo gute Angebote!
  • Informiert eure Gäste. Kommuniziert euer Handeln, macht es transparent. Dann gehen die Gäste auch Preiserhöhungen mit. Wichtig ist, dass ihr klar und deutlich z.B. eure Kooperationspartner darstellt, und warum ihr diese ausgewählt habt.
  • Fehler vermeiden! Ein Gericht zu veganisieren, indem man einfach das Fleisch weglässt, und es dadurch als „gesund“ deklariert, das bringt nichts. Vegan und vegetarisch heißt nicht automatisch gesund. Es ist auch kein „healthy food“ oder „Fitness-Food“, es ist einfach was es ist: vegan oder vegetarisch. Und es ist ein eigenständiges Gericht, mit eigenständiger Rezeptur.

Let s give it a try!

Fragen, Anmerkungen oder sonst einen Kommentar? Schreibt unserer Agentin einfach eine Nachricht. Antworten sind eigentlich recht zügig zu erwarten. Eine Übersicht über den Gerstner Agent*innenalltag findet ihr hier: www.ccm3-consulting.com. Und wer Interesse an einer Zusammenarbeit hat: Das erste Orientierungsgespräch ist immer kostenfrei.

Dieser Artikel erschien zuerst bei nomyblog. Tageskarte sagt danke. 


 

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