Mehr Gehalt, besserer Umgang und geregelte Arbeitszeiten genügen nicht, um den Personalschwund im Gastgewerbe zu stoppen: Die gastgewerblichen Berufe brauchen einen grundlegenden Imagewandel. Ein Kommentar von Hannes Finkbeiner.
Lange Arbeitszeiten, harscher Umgangston, schlechte Bezahlung: Es ist ein teuflischer Dreizack, der tief im Fleisch der gastgewerblichen Berufe steckt – und ja: Die Betriebszustände sind vielerorts wünschenswert. Vielerorts wohlgemerkt, nicht überall. Und es ist etwas in Gang gekommen. Seit vielen Jahren stemmen sich Unternehmen schließlich dem Abwärtstrend des Mitarbeiterschwunds entgegen, den die Pandemie dramatisch beschleunigt hat. Unternehmenskulturen wurden teilweise auf links gedreht, Mitarbeiterprogramme initiiert, Dienstplangestaltungen modifiziert, Bonussysteme ausgetüftelt und trotzdem klagen selbst die besten Betriebe des Landes über mangelnden Zuspruch.
Verwunderlich ist das nicht. Der Arbeitsmarkt ist leergefegt. Und die wenigen potenziellen Bewerber werden mit schlichten Selbstverständlichkeiten umworben, nämlich mit geregelten Arbeitszeiten, angemessenem Gehalt und höflichem Umgang. Fast schon gebetsmühlenartig wird dazu heruntergeleiert, es sei in der Gastronomie nicht mehr so schlimm wie früher, vieles befinde sich im Umbruch und so weiter und so fort – soll damit bei jungen Menschen die Leidenschaft fürs Gastgewerbe entfacht werden? Gar ein Abwärtstrend umgekehrt werden? Mit Selbstverständlichkeiten?
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Dabei ist es doch in vielen Teilen sogar nur ein Zerreden von unumstößlichen Tatsachen. Es wird auch in Zukunft im Gastgewerbe abends und an Wochenenden gearbeitet werden. Mit Porsche fährt kein Kellner vom Hof. Und wenn die Bude bis zum Anschlag mit Gästen vollsitzt, dann ist Vollgas angesagt. So ist das eben. Und ist das etwas, wofür man sich schämen müsste? Verleugnet man sich nicht viel mehr selbst, wenn man das Gastgewerbe demütig „erträglicher“ zu argumentieren versucht? Überspitzt formuliert: Muss im Gastgewerbe überhaupt um Mitarbeiter gebuhlt werden, die ohnehin einen stressfreien Nine-to-five-Job suchen?
Wo sind denn die Jugendlichen, die sagen, hey ich finde es eigentlich cool, erst um zwölf mit der Arbeit anzufangen, dann habe ich morgens Zeit für Sport? Wo sind denn die Jugendlichen, die sagen, ich finde es cool, um elf Uhr am Abend in die Kneipe einzumarschieren, wenn alle anderen heimgehen? Wo sind denn die Jugendlichen, die sagen, ich finde es cool, sonntagabends auf eine Gastro-Party zu gehen und montags entspannt durch die Fußgängerzone zu schlappen, wenn alle anderen bei der Arbeit sind? Gibt es diese Jugendlichen nicht mehr? Oder vergisst man vielleicht nur beim Lecken der Dreizackwunden diesen Jugendlichen die Vorzüge des Gastgewerbes schmackhaft zu machen?
Auch andere Berufszweige leiden unter der Personalkrise, keine Frage. Aber blickt man einmal exemplarisch auf „Das Handwerk“ wurde es innerhalb von zehn Jahren mittels einer groß angelegten Imagekampagne geschafft, die mannigfaltigen Berufsbilder, die sich unter dem Dach des Deutschen Handwerkskammertag (DHKT) versammeln, in der Außenwahrnehmung sichtbar zu machen und emotional positiv aufzuladen. Jährliche, interne Erhebungen durch das Forsa-Institut ergaben eine Steigerung der Wahrnehmungswerte des Handwerks von 36 auf 64 Prozent. 82 Prozent schreiben Handwerksberufen gute Zukunftsaussichten zu, eine Steigerung um 30 Prozent. Der Rückgang von Auszubildenden sank von 2007 bis 2014 zwar von 180 TSD auf 137 TSD, legte dann jedoch wieder jährlich zu und lag im Jahr 2018 wieder bei 140 TSD. Neuvertragszahlen schrumpften während der Pandemie nur um 7,5 Prozent.
Ja sogar die Supermarktkette Edeka schaffte es mit kreativen Werbemaßnahmen den Beruf des Einzelhändlers pfiffig erscheinen zu lassen – und die gastgewerblichen Berufe? Bleiben auf dramatische Weise inhaltsleer. Das öffentliche Bild von Köch*innen, Hotel- und Restaurantfachleuten ähnelt oft geschröpften Wesen, die es sonst zu nichts gebracht haben. Tellertaxis und Küchenclowns – den Kochberuf befüllen nämlich bestenfalls ein paar Fernsehköche mit Image. Warum wird das Bild des Gastgewerbes nicht gezielt aufpoliert? Die Berufe in einer Kampagne mit echten Werten befüllt, die jeder Herzblutgastronom in sich trägt: Stolz, Hingabe und Leidenschaft für einen außergewöhnlichen Beruf.
Man kann bei Köch*innen, Hotel- und Restaurantfachleuten nämlich auch an lässige Menschen mit lockerem Gemüt und Elan denken, an elegante und wortgewandte Leute mit guter Menschenkenntnis und interkultureller Kompetenz. Handwerklich geschickt. Kreativ und temperamentvoll. Globetrotter, die mit ihrem Beruf die Welt erkunden können. Wie wäre es, wenn die Öffentlichkeit bei Köch*innen, Hotel- und Restaurantfachleuten in Zukunft zuerst an Genussexperten denken würde, die man anruft, wenn man ratlos ist, welcher Wein im Supermarktregal der richtige ist oder was man für seine Gäste zu Hause kochen soll? Mit diesem Image bekäme der eine oder andere vielleicht sogar Lust, den Beruf zu ergreifen, trotz oder gerade wegen den Arbeitszeiten.
Autor Hannes Finkbeiner wuchs als Sohn einer Hoteliersfamilie im Hotel Sonnenhof in Baiersbronn-Schönmünzach auf. Im Hotel Bareiss absolvierte er eine Ausbildung zum Restaurantfachmann. An der Hochschule Hannover studierte er Journalistik, wo er heute als Dozent tätig ist. Beiträge erschienen u.a. in der FAZ, bei Spiegel Online und dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. In der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung verantwortet Finkbeiner seit vielen Jahren eine gastronomische Kolumne. Unter dem Pseudonym Mattis Ferber veröffentlicht er Weinkrimis im Verlag Bastei-Lübbe.
www.hannes-finkbeiner.de
www.facebook.com/hannes.finkbeiner
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