Erste Notbremsen wegen Corona gezogen - Ausbrüche in Schlachthöfen

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Mitten in der Lockerungsphase der Corona-Auflagen müssen die Behörden in drei Bundesländern bereits die Notbremse wegen zu hoher Infektionszahlen ziehen. In drei Kreisen in Thüringen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein wurde der kritische Wert von 50 Neuinfektionen auf 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen überschritten. Die Regierung in Düsseldorf griff am Freitag durch und schloss vorübergehend einen Schlachtbetrieb in Coesfeld, in dem sich besonders viele Mitarbeiter angesteckt hatten. Auch in Schleswig-Holstein war eine Schlachterei betroffen. Im Thüringer Landkreis Greiz hatten sich vor allem Bewohner und Personal von Altheimen infiziert.

Mediziner und Politiker von SPD und Grünen zeigten sich besorgt, den Kreisen könnte die Lage entgleiten und forderten Hilfe vom Bund. Hintergrund für die Zuständigkeit ist ein Beschluss von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten der Länder vom Mittwoch: Danach soll wegen der regional unterschiedlich hohen Infektionszahlen wieder stärker vor Ort über Maßnahmen entschieden werden. Die Länder sollen sicherstellen, dass in Landkreisen oder kreisfreien Städten mit mehr als 50 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohnern innerhalb von sieben Tagen sofort wieder ein konsequentes Beschränkungskonzept umgesetzt wird - eine Art «Notbremse».

Im Kreis Coesfeld in NRW lag die Zahl nach Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) bei 52,7. Das Virus hatte sich zuletzt vor allem im Schlachtbetrieb Westfleisch in Coesfeld ausgebreitet. Dort wurden nach Angaben des Kreises 129 Infizierte erfasst. Alle 1200 Beschäftigten sollen nun getestet werden. NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) ließ den Betrieb vorerst schließen. Mehrere für den kommenden Montag vorgesehene Lockerungen der Schutzmaßnahmen werden um eine Woche auf den 18. Mai verschoben. In einem weiteren fleischverarbeitenden Betrieb gab es eine hohe Zahl von Corona-Infektionen. In Oer-Erkenschwick (Kreis Recklinghausen) hätten sich in einem Schwesterbetrieb des Coesfelder Werks 33 von 1250 Mitarbeitern mit dem Virus angesteckt.

Auch in Schleswig-Holstein ist ein Schlachthof betroffen. Die meisten Infizierten sind Beschäftigte eines Fleischbetriebs in Bad Bramstedt (Kreis Segeberg). Ein Großteil der Ausländer, die dort arbeiten, sind auf dem Gelände einer Kaserne im Kreis Steinburg in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht. Der Kreis Steinburg lag mit 87 bestätigten aktuellen Fällen über dem Grenzwert. Das Gesundheitsministerium von Schleswig-Holstein kündigte am Freitagabend an, die Belegschaft aller Schlachtbetriebe im Land auf das Coronavirus testen zu lassen.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat seine Länderkollegen laut einem Medienbericht wegen mehrerer Corona-Ausbrüche aufgefordert, den Arbeitsschutz für Saisonarbeiter in der Landwirtschaft und in der Fleischindustrie streng zu kontrollieren. «Besonderes Augenmerk ist dabei auf die Situation in Sammelunterkünften und beim Personentransport zu legen», heißt es darin laut NDR und WDR. Anlass des Schreibens seien Medienberichte über «unhaltbare Zustände beim betrieblichen Infektionsschutz». In seinem Brief an seine Ministerkollegen in den Ländern weist Heil laut dem Bericht darauf hin, dass sich bereits mehrere diplomatische Vertretungen der Herkunftsländer von Arbeitern bei der Bundesregierung beschwert hätten.

Zu den hohen Infektionszahlen bei Beschäftigten mehrerer deutscher Schlacht- und Zerlegebetriebe erklärte Freddy Adjan, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG): „Die in der Schlachtindustrie über Werkverträge mit oft dubiosen Subunternehmen beschäftigten Menschen werden seit vielen Jahren rücksichtslos ausgenutzt. Die Arbeitgeber lagern nicht nur die Arbeit, sondern auch jede Verantwortung bequem an Subunternehmen aus. Das System ist krank: Werkverträge für die Kernaufgabe eines Unternehmens zu vergeben, muss verboten werden. Ein Schlachthofbetreiber sollte das Schlachten nicht an billige Fremdfirmen auslagern dürfen. Die Corona-Fälle sind trauriges Resultat des extremen Preisdrucks beim Fleisch. Diese Krise macht deutlich, wie überfällig es ist, auf Stopp zu drücken und den ruinösen Preiskampf beim Fleisch zu beenden. Ich hoffe, Politik und Behörden nehmen diese schlimme Krise endlich zum Anlass, konsequent gegenzusteuern und die Beschäftigten vor Ausbeutung zu schützen. Dazu gehören auch flächendeckende Kontrollen und Regeln für die Unterkünfte der Beschäftigten.“

Der Krisenstab des Thüringer Landkreis Greiz will Anfang der Woche über Auflagen entscheiden. Greiz registrierte nach Daten des Robert Koch-Instituts 80,5 Infektionen pro 100 000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen. Die meisten Infizierten sind nach Angaben des Landratsamtes Bewohner und Personal von sechs Pflegeheimen und einer Geriatrie-Klinik.

Der Deutsche Landkreistag plädiert für eine zielgenaue Anwendung der Obergrenze bei Neuinfektionen. «So ist es regelmäßig nicht angezeigt, bei eindeutig isolierbaren Infektionsherden wie etwa Altenheimen oder einzelnen Schulen Maßnahmen für die Allgemeinheit anzuordnen oder bereits bestehende Lockerungen breit zurückzunehmen», sagte Präsident Reinhard Sager am Freitag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.

Politiker von SPD und Grünen warnten davor, Landkreise und kreisfreie Städte könnten überfordert sein. «Die Kommunen haben weder die Expertise noch das Personal, wirkungsvoll die Ursachen ihrer lokalen Ausbrüche zu erkennen oder zu bekämpfen», sagte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Samstag).

Auch Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt pochte auf Hilfe für die Kommunen. «Wir machen uns große Sorgen, dass uns die Situation entgleitet, wenn wir nicht ausreichend Personal in den Gesundheitsämtern und Testmöglichkeiten haben», sagte die Grünen-Politikerin dem RND. Sie warnte vor einer laxen Umsetzung der Beschlüsse von Bund und Ländern: «Klar ist: Nur durch engmaschige Kontrollen kann ein Rückfall und eine zweite Welle verhindert werden.»

Der Bundesverband der Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (BVÖGD) kritisierte, die Gesundheitsämter seien überfordert. Die Verbandsvorsitzende Ute Teichert sagte dem RND: «Die Gesundheitsämter werden ohne dauerhafte Personalunterstützung in die Knie gehen.» Es ist aber Hilfe unterwegs: Ein ins Parlament eingebrachter Gesetzentwurf der großen Koalition sieht insgesamt 50 Millionen Euro für die bundesweit 375 Gesundheitsämter vor, um vor allem die Digitalisierung von Prozessen voranzubringen. (dpa)


 

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