Vorschlag zu Mindestlohn löst kontroverse Reaktionen im Gastgewerbe aus

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Der Vorschlag für eine leichte Erhöhung des Mindestlohns in Deutschland hat im Gastgewerbe unterschiedliche Reaktionen ausgelöst. Der DEHOGA sieht auch positive Aspekte. Gewerkschaft NGG kritisiert Mindestlohn-Vorschlag scharf. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will den Kommissionsbeschluss umsetzen.

Der allgemeine gesetzliche Mindestlohn in Deutschland soll zum 1. Januar 2024 von 12,00 auf 12,41 Euro und zum 1. Januar 2025 auf 12,82 Euro steigen. Diesen Vorschlag legte die zuständige Mindestlohnkommission am Montag in Berlin vor.

Die Empfehlung wurde allerdings erstmals in der Geschichte der Mindestlohnkommission nicht im Einvernehmen getroffen. Die Arbeitnehmervertreter in der Kommission halten die Anhebung für zu niedrig, wurden überstimmt und erhoben schwere Vorwürfe gegen die Arbeitgeberseite.

Die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP hatte den Mindestlohn zuletzt zum 1. Oktober 2022 ausnahmsweise per Gesetz von 10,45 Euro auf 12 Euro angehoben. Vor allem die SPD hatte sich im Bundestagswahlkampf 2021 dafür eingesetzt. Der aktuelle Erhöhungsschritt kommt nun wieder wie üblich auf Vorschlag der Kommission zustande.

Normalerweise ist das ein Routinevorgang: Die Bundesregierung setzt die Vorschläge der Kommission üblicherweise einfach per Verordnung in Kraft. Dieses Mal trat Arbeitsminister Heil extra vor die Kameras, um zu versichern, dass es dabei bleibt. «Ich weiß, dass sich die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Gewerkschaften durchaus einen höheren Mindestlohn gewünscht hätten», sagte er. Er verwies aber auf das Mindestlohngesetz. Demnach könne die Bundesregierung nur den Vorschlag der Kommission umsetzen oder nicht. Die Alternative wäre keine Erhöhung des Mindestlohns zum 1. Januar, «was angesichts der Inflationsentwicklung nicht verantwortbar ist.»

Bei der gemeinsamen Pressekonferenz der Vertreter der Mindestlohnkommission hatten sich die Gewerkschafts- und Arbeitgebervertreter zuvor Wortgefechte geliefert. «Für eine Anpassung lediglich im Cent-Bereich konnten wir auf keinen Fall unsere Hand reichen», sagte Kommissionsmitglied Stefan Körzell, Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Aus DGB-Sicht müsste es mit Blick auf die Inflation eine Anhebung auf mindestens 13,50 Euro geben. Körzell warf den Arbeitgebern vor, in einer Situation mit den höchsten Teuerungsraten bei den finanziell Schwächsten sparen zu wollen.

Der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Steffen Kampeter, ebenfalls Mitglied der Mindestlohnkommission, wies die Angriffe zurück. Der gesetzliche Auftrag der Mindestlohnkommission sei wohl abgewogen und kein «Reparaturbetrieb für gesellschaftspolitische oder inflationspolitische Entwicklungen». Man sei mit dem Beschluss seiner tarifpolitischen, staatspolitischen und wirtschaftspolitischen Verantwortung gerecht geworden.

Der DEHOGA hatte in der Anhörung der Kommission zuvor angeregt, die nächste Mindestlohnerhöhung erst zum 1. Oktober 2024 in Kraft zu setzen – also zwei Jahre nach der außerplanmäßigen Erhöhung auf 12 Euro und damit im ursprünglich vorgesehenen Rhythmus. Das hätte den Betrieben, die in den letzten Monaten laut DEHOGA-Umfrage von Anfang April bereits Personalkostensteigerungen von durchschnittlich 21,5 Prozent zu verkraften hatten, etwas Luft verschafft, sagt der Verband. Dem ist die Kommission nicht gefolgt, sie hat aber die Entscheidung getroffen, die Entwicklung des Tarifindex auf die letzte Kommissionsentscheidung, also auf 10,45 Euro, zu beziehen und nicht auf den rein politischen Wert von 12 Euro. Was der DEHOGA begrüßt. Ohnehin seien nur zwei DEHOGA-Tarifverträge unmittelbar betroffen und würden durch die erste Erhöhungsstufe ab Januar 2024 auf 12,41 Euro überholt. Dennoch bleibe es eine Herausforderung für die Unternehmen, die erneuten Lohnsteigerungen zu erwirtschaften – schließlich treffe die Inflation nicht nur die Beschäftigten, sondern ebenso Betriebe und Gäste, so der DEHOGA abschließend.

„Der jetzige Beschluss fällt in eine Zeit eines schwachen Wirtschaftswachstums und den Folgen des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine. [...] Der jetzige Vermittlungsvorschlag, den die Vorsitzende vorgelegt und dem die Arbeitgeberseite zugestimmt hat, orientiert sich an der tarifpolitischen Entwicklung seit der letzten Entscheidung der Mindestlohnkommission. Hier hat die Arbeitgeberseite in der Mindestlohnkommission Zugeständnisse gemacht.“, sagt die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände.

Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) dagegen hat den Vorschlag zur Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns in Deutschland von 12,00 Euro auf 12,41 Euro scharf kritisiert. «Diese fatale Entscheidung geht völlig an der Lebensrealität von Millionen von Menschen vorbei und passt nicht in die Zeit», sagte der NGG-Bundesvorsitzende Guido Zeitler am Montag in Hamburg. Es sei eine Schande, dass das Arbeitgeberlager in der Mindestlohnkommission gnadenlos die eigene Agenda durchgedrückt habe.

«So tragen sie zur Spaltung der Gesellschaft bei und erweisen den Unternehmen zusätzlich einen Bärendienst: Eine kräftige Erhöhung des Mindestlohns wäre eine dringend benötigte Finanzspritze für den schwächelnden Konsum gewesen», betonte Zeitler.

In Kraft tritt der Vorschlag der Kommission laut Mindestlohngesetz erst nach Verordnung durch die Bundesregierung.

Den gesetzlichen Mindestlohn gibt es seit 2015 in Deutschland. Zum Start lag er bei 8,50 Euro die Stunde und ist seitdem mehrfach erhöht worden. Nach dem Mindestlohngesetz muss eine aus jeweils drei Arbeitgeber- und Gewerkschaftsvertretern, zwei Wissenschaftlern und einer oder einem Vorsitzenden besetzte Kommission alle zwei Jahre unter Berücksichtigung der Tarifentwicklung im Land einen Vorschlag für die künftige Höhe der Lohnuntergrenze machen. Stimmberechtigt sind die Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter. Kommt es zum Patt, kann der oder die Vorsitzende mit seiner Stimme eine Mehrheit herstellen. Das war dieses Mal der Fall.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes profitierten von der letzten Erhöhung im vergangenen Herbst rund 5,8 Millionen Beschäftigte, die vorher weniger als 12 Euro die Stunde verdienten. Arbeitgebern, die gegen die Lohnuntergrenze verstoßen, drohen Bußgelder bis zu 500 000 Euro.

Wie funktioniert die Mindestlohnerhöhung?

Der gesetzliche Mindestlohn soll zum kommenden Januar von 12 auf 12,41 steigen und ein Jahr später noch einmal um 41 Cent auf 12,82 Euro. Die zuständige Mindestlohnkommission hat diesen Vorschlag am Montag in Berlin vorgelegt. Die Bundesregierung wird diesen umsetzen, wie Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) anschließend ankündigte.

Wie wird über die Höhe entschieden?

Im vergangenen Herbst wurde der Mindestlohn ausnahmsweise von der Ampel per Gesetz von 10,45 Euro auf 12 Euro angehoben. Vor allem die SPD hatte sich dafür im vergangenen Bundestagswahlkampf stark gemacht. Ansonsten ist die Mindestlohnkommission zuständig. Darin beraten jeweils drei hochrangige Arbeitgeber- und Gewerkschaftsvertreter, zwei Wissenschaftler und ein Vorsitzender oder eine Vorsitzende alle zwei Jahre über eine Erhöhung der Lohnuntergrenze. Berücksichtigt wird dabei die Tarifentwicklung im Land. Die Kommission legt dann einen Vorschlag vor, den die Regierung in der Regel mit einer Verordnung verbindlich macht.

Was war dieses mal anders?

Zum ersten Mal wurden sich Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter in der Kommission nicht einig über die Erhöhung. Die Gewerkschaftsvertreter hatten eine deutlich stärkere Mindestlohnsteigerung gefordert. Um das Patt zwischen beiden Seiten aufzubrechen, kam ein Passus des Mindestlohngesetzes zum Tragen: Die Kommissionsvorsitzende, Christiane Schönefeld, legte einen Vermittlungsvorschlag vor. Da dieser aber auch keine Mehrheit fand, übte Schönefeld ihr für diesen Fall vorgesehenes Stimmrecht aus und verhalf ihm zur Mehrheit. Die Gewerkschaftsseite wurde überstimmt.

Wie viele Menschen arbeiten aktuell für 12 Euro Mindestlohn?

Ganz genau lässt es sich nicht sagen. Nach jüngsten Angaben des Statistischen Bundesamts waren aber im Oktober ungefähr sechs Millionen abhängig Beschäftigte (15 Prozent) im Niedriglohnsektor beschäftigt. Zum Niedriglohnbereich zählen demnach Jobs, in denen weniger als 12,76 pro Stunde gezahlt wird. Von der Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro im Oktober profitierten den Angaben zufolge etwa 5,8 Millionen Menschen, die vorher weniger als 12 Euro die Stunde hatten.

Ist der Mindestlohn brutto oder netto?

Brutto. Nach Angaben des Bundesarbeitsministeriums bekommen Beschäftigte bei einer 40-Stunden-Woche mit Mindestlohn etwa 2080 Euro brutto im Monat. Wie viel davon netto nach Abzug von Steuern, Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung bleibt, hängt wie immer von verschiedenen Faktoren ab, etwa der Steuerklasse, dem Familienstand oder der Anzahl der Kinder.

Was droht einem Arbeitgeber, der weniger zahlt?

Das kann teuer werden. Es drohen Geldbußen bis zu 500 000 Euro. Außerdem kann das Unternehmen von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden. Auf der Internetseite des Bundesarbeitsministeriums gibt es einen «Mindestlohn-Rechner»: Durch Eingabe des Bruttogehalts und der Wochenarbeitszeit lässt sich dort überprüfen, ob das Gehalt unter dem Mindestlohn liegt. Für den Fall von Verstößen gibt es beim zuständigen Zoll die Mindestlohn-Hotline 030 60 28 00 28.

Haben auch Azubis, Schüler und Minijobber Anspruch auf Mindestlohn?

Minijobber, ja. Für Azubis gibt es eigene Regeln (Mindestvergütung für Auszubildende). Schüler-Jobs fallen in der Regel nicht unter die Mindestlohn-Regel: Wer unter 18 ist und noch keinen Berufsabschluss hat, hat keinen Anspruch. Bei Praktika gilt, handelt es sich um ein freiwilliges «Orientierungspraktikum» neben Studium oder Ausbildung, besteht kein Anspruch auf Mindestlohn, es sei denn es dauert länger als drei Monate. Bei «Pflichtpraktika», die als Teil des Studiums absolviert werden müssen, besteht auch kein Anspruch.

Wie hat sich der Mindestlohn seit seiner Einführung im Vergleich zur Inflation entwickelt?

Der Mindestlohn ist seit seiner Einführung 2015 von 8,50 Euro schrittweise auf 12 Euro erhöht worden - ein Plus von 41 Prozent. Besonders große Anhebungen gab es im vergangenen Jahr. Ende 2021 lag der Mindestlohn noch bei 9,60 Euro. In drei Schritten ging es dann 2022 auf 12 Euro hinauf. Die Verbraucherpreise (Lebensmittel, Energie, Mieten, Kleidung usw.) stiegen zwischen 2015 und 2022 laut Statistischem Bundesamt - wenn man den Durchschnittsjahreswert bei der Inflation zugrunde legt - um 16,6 Prozent.


 

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