Ostfriesische Inseln wollen klimaneutral werden

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Über eine Steckleiter klettert Nadine Weber auf das Dach der Sporthalle im Dorf der Nordseeinsel Spiekeroog. Was Urlauber und Insulaner vom Boden aus nicht sehen können, wird erst in der Höhe klar: 170 schwarze Solarpaneele bedecken das Hallendach. 

«Wir hatten jetzt schon einige Tage, wo wir den kompletten Strombedarf im Schwimmbad, in der Sporthalle und in der Saunalandschaft auffangen konnten - allein über die Photovoltaik-Anlage. Das ist eine Menge», sagt Weber. Sie ist Projektkoordinatorin für Nachhaltigkeit und Klimaschutz auf Spiekeroog. 

Die neue Solaranlage hilft seit dem Frühjahr, einen umliegenden Gebäudekomplex mit erneuerbarer Energie zu versorgen. Außerdem sollen so jährlich rund 28 Tonnen CO2 gespart werden. Wie alle Ostfriesischen Inseln arbeitet auch Spiekeroog daran, klimaneutral zu werden. Die Insel, die schon wegen ihrer vielen Bäume mitunter «grüne Insel» genannt wird, hat sich zum Ziel gesetzt, noch etwas grüner zu werden. Wie auch auf anderen Inseln gibt es dabei einige Hindernisse: Handwerker sind knapp, viele Pläne müssen parallel angeschoben werden - die Ressourcen der kleinen Inselverwaltungen sind begrenzt.

Keine Badelatschen mehr aus China 

«Wir setzen jetzt ein Projekt nach dem anderen um», sagt Ansgar Ohmes, Geschäftsführer der Nordseebad Spiekeroog GmbH. Eine Aufgabe der Kurverwaltung sei es auch, für Nachhaltigkeit zu sensibilisieren. Denn der Klimawandel ist auf den Ostfriesischen Inseln und im Nationalpark Wattenmeer längst kein abstrakter Begriff mehr: Extreme Wettereignisse und Sturmfluten spüren die Insulaner. «Im Urlaub haben die Menschen Zeit, sich mit der Thematik zu beschäftigen», sagt Ohmes. Inzwischen sei Klimaschutz und nachhaltigeres Wirtschaften an vielen Stellen auf der Insel verankert - auch bei der Kurverwaltung selbst.

«Vor ein paar Jahren kamen an der Tourist-Info eine Ladung Badelatschen aus China an», erzählt Ohmes. Der chemische Gummigeruch habe vielen Kopfschmerzen bereitet. «Das gibt es heute nicht mehr, denn die halten drei Wochen für den Urlaub auf Spiekeroog und dann gehen sie in die Tonne», sagt Ohmes. Jetzt würden Produkte stärker regional eingekauft - auch wenn es nicht immer einfach sei, das durchzuhalten. «Aber wir versuchen es.»

An Ideen für mehr Klimaschutz mangele es nicht, sagt Nadine Weber. Als sie vor zwei Jahren ihre Stelle auf der 800-Einwohner-Insel antrat, seien viele Insulaner, Zweitwohnungsbesitzer und Gäste mit Vorschlägen auf sie zugekommen. «Hier gibt es eine hohe Dichte an Menschen, die einen Bezug zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz haben», sagt Weber - gerade weil die Insel so grün sei. «Sie möchten genau das erhalten und genießen.» Unterstützt werden viele Ideen von der Heinrich Pferdmenges-Stiftung, die auf Spiekeroog aktiv ist.

Trinkwasserbrunnen, Carsharing und Strandmüllboxen 

Gerade werden auf der Insel an verschiedenen Orten Trinkwasserbrunnen installiert. Dazu sollen Mehrwegflaschen in den Umlauf gebracht werden, um den Kauf von Plastikflaschen zu vermeiden, sagt Weber. In der Inselgastronomie ist inzwischen ein Mehrwegsystem etabliert. Um die Natur zu schützen, gibt es am Strand zudem neun Strandmüllboxen, in denen angespültes Strandgut gesammelt werden kann. Für die Mobilität von Insulanern und Gästen am Festland hat die autofreie Insel dort zudem ein Carsharing-Angebot aufgebaut. 

Bei Urlaubsgästen gebe es ein steigendes Bewusstsein für Nachhaltigkeit, sagt Enno Schmoll, Professor für Tourismusentwicklung an der Jade Hochschule in Wilhelmshaven. «Die Insulaner leben seit jeher eng mit der Natur zusammen und wissen, um ihre Vulnerabilität. Das wird von den Gästen auch wahrgenommen.» Die Ostfriesischen Inseln wie Spiekeroog arbeiteten dazu auf verschiedenen Feldern. «Die Inseln sind bestrebt, noch besser zu werden und könnten vielleicht auch Leuchtturm für andere Destinationen und Vorbild für ihre Gäste sein», sagt der Wissenschaftler der Deutschen Presse-Agentur. 

Klimasünder Fährverkehr

Ein großes, noch weitgehend ungelöstes Problem auf dem Weg zur Klimaneutralität ist für die Nordseeinseln die Erreichbarkeit über das Wasser - auf Spiekeroog machen die An- und Abreise fast die Hälfte des jährlichen CO2-Fußabdrucks der Insel aus, wie eine Berechnung aller treibhausrelevanten Emissionen für den Tourismus 2018 ergab. 

Klimafreundliche Alternativen zu den mit fossilen Kraftstoffen betrieben Fähren sind an der Küste bislang kaum in Sicht. Eine Umrüstung von Fähren mit schweren Batterien für einen Elektroantrieb sei im flachen Wattenmeer noch schwierig, sagt Ohmes. «Im Moment weiß keiner in der Wattfahrt, wohin die Reise genau geht.» Einen Anlauf will bald die Reederei Norden-Frisia unternehmen, die den Fährverkehr nach Norderney betreibt. Dort soll demnächst ein elektrisch angetriebener Katamaran den Fährverkehr aufnehmen. 

Borkum will bis 2030 emissionsfrei sein

An der Klimaneutralität wird auch auf Borkum, der größten der Ostfriesischen Inseln, gearbeitet - und zwar in dem europaweiten Pilotprojekt «Islander». Dabei werden auf Borkum verschiedene Technologien für eine komplette Dekarbonisierung von Inseln erprobt. Andere europäische Inseln sollen von dem Wissen profitieren. Außerdem hat sich die Insel 2015 ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Bis 2030 will Borkum emissionsfrei sein. 

Borkum beschäftige sich schon lange mit regenerativen Energien, erzählt Axel Held, Direktor der Stadtwerke. «Wir haben schon Ende der 1990er Jahre eine Windkraftanlage aufgebaut, eine der Ersten an der Küste überhaupt.» Damals war das rechtlich im Nationalpark noch möglich. Daneben gibt es E-Carsharing, eine Wasserstofftankstelle und einen Solarpark. Energieautark ist die rund 6000 Einwohner zählenden Insel dennoch nicht: Etwa die Hälfte des benötigten Stroms kommt mit einem Seekabel vom Festland. 

Modellprojekt fördert Wärmenergie aus der Nordsee

Neben der Stromversorgung mit erneuerbaren Energien liege eine große Herausforderung in der Wärmeversorgung, sagt der Geschäftsführer der Nordseeheilbad Borkum GmbH, Göran Sell. «Wie bekommen wir die Haushalte beheizt und wie bekommen sie warmes Wasser für die Dusche, was nicht durch Erdgas erwärmt wird?» 

Dafür will die Insel künftig neben Wind und Strom auch auf Geothermie setzen. Untersuchungen zeigten, dass es unter der Insel in 3500 bis 3700 Metern eine Erdschicht mit einer Temperatur von rund 120 Grad gebe, sagt Held. «Wir wollen das Reservoir unter der Insel nutzen, um große Teile der Insel mit Wärme zu versorgen.» Wenn die Wärme nicht benötigt wird, könnte damit Strom produziert werden. 

Wie das funktionieren könnte, zeigt im Kleinen auf Borkum ein Modellprojekt - allerdings mit Wärme aus der Nordsee: Im Hafenbecken der Insel sind dafür unter Wasser seit Kurzem Wärmetauscher installiert. «Damit versorgen wir ein benachbartes Offshore-Quartier mit 115 Wohnungen», sagt Stadtwerksdirektor Held. 

Für das größere Geothermie-Projekt läuft auf Borkum eine Machbarkeitsstudie. Eine Erlaubnis des Landesbergamtes liegt vor. Gleichzeitig überlegen die Borkumer, wie sie künftige Wärme zu den Haushalten bekommen könnten. «Wir haben auch ein Verteil-Thema», sagt Held. Ein schon vorhandenes kleines Fernwärmenetz, das bislang mit einem Blockheizkraftwerk betrieben wird, müsste ausgebaut werden. 

Auf Spiekeroog arbeitet Nadine Weber an weiteren Nachhaltigkeits-Ideen: Die Entwicklung eines recycelbaren Strandkorbs etwa steht noch auf ihrer Liste. Und auch an einer besseren Erreichbarkeit der Insel mit Bus und Bahn will sie arbeiten.  (dpa)


 

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