28 Prozent der Unternehmen im Gastgewerbe wollen weniger oder gar keine Azubis

| Zahlen & Fakten Zahlen & Fakten

Deutschland ist so stolz auf seine duale Berufsausbildung, dass Kanzlerin Angela Merkel einst sogar Donald Trump und dessen Tochter Ivanka von den Vorzügen überzeugen wollte. Jetzt, in der Corona-Krise, so glauben Experten, ist das ganze System in Gefahr. Die Unternehmen stellen deutlich weniger Lehrstellen zur Verfügung. Und gleichzeitig bewerben sich auch weniger junge Leute. «Wir sehen, dass die Arbeitgeber uns deutlich weniger Ausbildungsplätze melden. Zugleich gibt es viel weniger Bewerber», fasste der Vorstandschef der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele die Lage zusammen. «Wenn sich daran bis Frühjahr nichts ändert, wird es dieses Jahr schwer auf dem Ausbildungsmarkt», sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Somit zeigt das duale Ausbildungssystem, von wirtschaftlichen Nöten wie der Strukturkrise in der Autoindustrie ohnehin gebeutelt, nun schon im zweiten Jahr in Folge auch pandemiebedingt nach unten. Jeder zehnte ausbildungsfähige Betrieb könnte zum neuen Ausbildungsjahr weniger Lehrstellen anbieten als noch im Vorjahr, fanden das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in einer Studie heraus, die am Montag in Berlin gemeinsam mit der OECD vorgestellt wurde. Manche bilden auch gar nicht mehr aus. Die unsichere Lage in der Krise gaben die meisten als Hauptgrund an. Besonders düster sieht es laut Studie im Gastgewerbe aus: 28 Prozent der Unternehmen wollen in Folge der Corona-Krise weniger oder gar keine Ausbildungsplätze mehr besetzen. 

«Wir sind im letzten Jahr mit einem blauen Auge davongekommen», sagte IAB-Direktor Bernd Fitzenberger der Deutschen Presse-Agentur. Die Zahl der angebotenen Ausbildungsplätze habe um acht bis zehn Prozent unter dem Vorjahresniveau gelegen - und auch die Zahl der Bewerber sei gesunken. «Die Jugendlichen konnten viel schwerer erreicht werden», sagte Fitzenberger. Die Situation halte zum Teil auch in der zweiten Pandemiewelle an.

Scheele pflichtet ihm bei: «Wir können keine Berufsberatung an Schulen machen, keine Ausbildungsmessen durchführen. Viele Betriebe bieten wegen der Kontaktbeschränkungen kaum Betriebspraktika an», sagte er. Diese seien aber ein entscheidender Faktor im Bewerbungsprozess.

Die große Gefahr sei, dass die Jugendlichen auf der Strecke bleiben. Nur ein Teil bleibe im Schulsystem und strebe statt einer beruflichen Ausbildung einen höheren Bildungsabschluss an. Die Erfahrung: Wenn erst einmal einige Jahre zwischen Schule und Berufsstart vergangen sind, dann ist die Chance auf eine ordentliche Ausbildung meist vertan.

Hinzu komme ein weiterer fataler Aspekt: «Die Qualität der Ausbildung im letzten Jahr hat vermutlich auch gelitten», sagte Fitzenberger. Lehrlinge konnten nicht ohne weiteres mit zum Kunden genommen werden, eine geregelte Ausbildung unter den Bedingungen von Kurzarbeit und Homeoffice sei schwierig. «Wo nicht gekocht wird, kann man auch nicht kochen lernen», sagte Fitzenberger.

Der IAB-Experte befürchtet nicht nur, dass viele Jugendliche auf der Strecke bleiben und ihre Karrierechancen nachhaltig geschädigt werden - mit gesellschaftlichen Folgen wie häufiger Arbeitslosigkeit als Langzeiteffekt. Die nicht ausgebildeten Fachkräfte fehlten auch dem Arbeitsmarkt der Zukunft. «Demografie und die bisher nur geringe Zuwanderung auch aus Drittstaaten werden dazu führen, dass der Fachkräftemangel zur Krise nach der Krise wird», sagte BA-Chef Scheele.

Die Politik hat schon reagiert. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) kündigte an, er wolle noch im März einen Schutzschirm für Ausbildungsplätze vorlegen und die bereits eingeführte Ausbildungsprämie nicht nur verlängern, sondern auch deutlich erhöhen. «Viele Betriebe zögern, ob sie angesichts der wirtschaftlichen Lage Ausbildungsplätze anbieten sollen», sagte der SPD-Politiker jüngst dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. «Aber ein Einbruch bei den Ausbildungsstellen wäre für alle fatal.


 

Zurück

Vielleicht auch interessant

Viele Ausbildungsplätze können nicht besetzt werden, zeigen aktuelle Daten. Oft passen Erwartungen und Angebot nicht zusammen. Was heißt das für Jugendliche auf Stellensuche? Ein Experte erklärt es.

Nach drei Jahren mit massivem Reallohnrückgang holen die Tarifbeschäftigten in Deutschland mächtig auf. Ihre Gehälter wachsen so schnell wie seit langem nicht. Das wird aber nicht so bleiben.

Die Betriebsferien ermöglichen es Arbeitgebern, einen Zeitraum festzulegen, in dem alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Urlaub nehmen müssen. Aber: Einfach so und spontan geht das nicht.

In der Corona-Pandemie haben zahlreiche Beschäftigte von zu Hause gearbeitet. Trotz aktueller Debatten über die Rückkehr ins Büro zeigt eine neue Studie: In vielen Firmen ist das Homeoffice etabliert.

Azubis dringend gesucht – mehr denn je ist das leider für viele Unternehmen eines der drängenden Probleme. In ihrer Ausbildungsumfrage 2024 meldet die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) einen Höchststand für die Zahl der Betriebe, die nicht genug Nachwuchs finden.

Sie haben Ihren Urlaub geplant, doch dann trifft eine unerwartete Urlaubssperre durch den Chef ein? Aus welchen Gründen kann das möglich sein und wie lang darf eine Urlaubssperre andauern?

Zum Jahresbeginn 2025 tritt der neue Gefahrtarif der Berufs­genossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe (BGN) in Kraft. Auf dieser Grundlage berechnet die BGN die Beiträge für ihre Versicherungs- und Betreuungsleistungen.

Ausbildungsplatz sucht Azubi - so kann man die Lage vieler Betriebe inzwischen beschreiben. Die Industrie- und Handelskammer schlägt Alarm - und die Firmen müssen kreativ werden.

Von Zuhause aus zu arbeiten, hat viele Vorteile: Man spart sich den Weg ins Büro und kann am Schreibtisch ungehemmt snacken. Damit das Homeoffice wirklich gut klappt, ist noch etwas wichtig: Lüften.

Laptop einstecken und heimlich im Urlaub arbeiten? Eine Befragung zeigt: für ein Drittel der Beschäftigten ein No-Go. Ist arbeiten aus dem Ausland überhaupt erlaubt und welche Konsequenzen drohen?