Arbeitgeber kostet Entgeltfortzahlung 76,7 Milliarden Euro

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Im vergangenen Jahr 2023 mussten die Arbeitgeber 76,7 Milliarden Euro für die Entgeltfortzahlung ihrer erkrankten Beschäftigten aufbringen. Damit haben sich die Kosten binnen 14 Jahren verdoppelt. Der hohe Beschäftigungsstand, Lohnerhöhungen und nicht zuletzt der unverändert hohe Krankenstand lassen auch für das laufende Jahr keine Trendumkehr erwarten.

Alljährlich veröffentlicht das Bundesministerium für Arbeit und Soziales das Sozialbudget. Dort werden sämtliche Sozialleistungen aufgelistet, unter anderem auch solche, zu denen private Akteure verpflichtet werden, ohne dass der Sozialstaat sich finanziell beteiligt. Dazu zählt die Verpflichtung der Arbeitgeber zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (BMAS, 2024). Mit der jährlichen Aktualisierung werden Entwicklungen am aktuellen Rand geschätzt, es ergeben sich aber auch Revisionen in den Zeitreihen. Aber nicht nur deshalb ist es notwendig, die Arbeitgeberaufwendungen jährlich neu zu berechnen.

Pflicht zur Entgeltfortzahlung

Sofern erkrankte Beschäftigte ein ärztliches Attest vorlegen, wird das Gehalt für bis zu sechs Wochen vom Arbeitgeber weitergezahlt. Diese Verpflichtung gilt auch dann, wenn Unternehmen erst ab dem dritten Krankheitstag eine Bescheinigung einfordern. Diese kann bei Atemwegserkrankungen auch nach telefonischem Kontakt durch den Arzt ausgestellt werden. Die Sechs-Wochen-Frist bezieht sich auf ein und dieselbe Diagnose. Wer zum Beispiel aufgrund eines Rückenleidens krankgeschrieben ist, danach wieder seiner Arbeit nachgeht, aber nach kurzer Zeit deswegen erneut krankheitsbedingt ausfallen muss, für den summieren sich die attestierten Abwesenheiten im laufenden Kalenderjahr auf. Die Frist beginnt dagegen von neuem, sollten Beschäftigte an einem anderen Leiden erkranken. Währt die Genesung länger als sechs Wochen, dann zahlen die gesetzlichen Krankenkassen im Anschluss ein Krankengeld in Höhe von 70 Prozent des regelmäßigen Bruttoentgelts, längstens bis zum Ende der 72. Woche.

Schätzung der Arbeitgeberaufwendungen

Im Sozialbudget werden die fortgezahlten Bruttoentgelte erfasst, nicht aber die darauf fälligen Arbeitgeberanteile an den Sozialversicherungsbeiträgen. Diese zusätzlichen Aufwendungen würden überschätzt, wollte man den Arbeitgeberanteil am Sozialversicherungsbeitrag mit dem hälftigen Beitragssatz hochrechnen. Denn während Gehaltsbestandteile oberhalb der Beitragsbemessungsgrenzen im Krankheitsfall weiter gezahlt werden, fallen darauf keine Sozialbeiträge an. Der beitragsfreie Anteil lässt sich jedoch mittels einer Heuristik näherungsweise schätzen, um sich den tatsächlichen Belastungen der Unternehmen anzunähern (zur Methodik siehe Pimpertz, 2017).

Vielfältige Ursachen

Diese Entwicklung lässt sich auf vielfältige Faktoren zurückführen: Zunächst wachsen die Aufwendungen auch deshalb nominal, weil die Bruttoentgelte mit den jährlichen Tariflohnerhöhungen steigen. Die durchschnittlichen Bruttolöhne und -gehälter sind aber im gleichen Zeitraum laut Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen lediglich um 47 Prozent gestiegen (Statistisches Bundesamt, 2024a, Tab. 1.8). Ebenso ist aufgrund des Beschäftigungsaufbaus seit 2010 die Zahl derjenigen Personen gestiegen, die ein Anrecht auf Entgeltfortzahlung haben. Bliebe die Krankenstandsquote konstant, dann würde allein die höhere Beschäftigtenzahl für steigende Krankenzahlen und zusätzliche Aufwendungen für die Entgeltfortzahlung sorgen. Der Beschäftigtenaufbau schlägt mit 24 Prozent zu Buche (Statistisches Bundesamt, 2024b).

Beide Faktoren erklären aber nur einen Teil der Entwicklung. Denn auch der Krankenstand ist gestiegen: Verzeichnete der Dachverband der Betriebskrankenkassen (BKK) im Jahr 2010 noch durchschnittlich 13,2 Kalendertage, an denen ihre beschäftigten Mit-glieder ein ärztliches Attest vorlegten, so waren es im Jahr 2022 bereits 22,6 Tage (BKK, 2023, 81). Die Daten einer monatlichen Stichprobe der teilnehmenden Betriebskrankenkassen legen nahe, dass der Krankenstand im Jahr 2023 kaum gesunken ist (BKK, 2024).

Nachwehen der Pandemie?

Der Anstieg des Krankenstands lässt sich auf unterschiedliche Einflussfaktoren zurückführen:

Immer wieder werden Zusammenhänge zwischen konjunktureller Entwicklung und Krankenstand als eine mögliche Erklärung angeführt. Der Grund: Aus Sorge vor einem Arbeitsplatzverlust würden Beschäftigte eher auf eine Krankschreibung verzichten, wenn die Arbeitsmarktlage angespannt ist. Der seit fast zwanzig Jahren beobachtbare Trend zu höheren Krankenständen nährt allerdings Zweifel an dieser Erklärung.

Auch die demografische Entwicklung kann zur Erklärung beitragen: In alternden Belegschaften ist damit zu rechnen, dass Krankheitsbilder gehäuft auftreten, die mit zunehmendem Alter öfter vorkommen und wie im Fall der Muskel- und Skeletterkrankungen längere Abwesenheiten zur Folge haben (BKK, 2023, 99).
Zudem verändern sich die Krankheitsursachen. So hat der Anteil der psychischen Erkrankungen an allen Arbeitsunfähigkeitstagen kontinuierlich zu-genommen. Gleichzeitig führen diese zu besonders langwierigen Ausfallzeiten von durchschnittlich 40,4 Kalendertagen (BKK, 2023, 89). 

Schließlich ist bis heute nicht abschließend geklärt, welchen Einfluss die Coronapandemie auf die Krankenstandentwicklung hat. Von medizinischer Seite wird argumentiert, dass die Bevölkerungsimmunität aufgrund der lang anhaltenden Maskenpflicht gesunken ist (Leiß/Pimpertz, 2023). Wie lange es dauert, bis sie wieder das ursprüngliche Niveau erreicht, ist aber unklar. Die Daten der monatlichen BKK-Stichprobe zeigen zwar einen kontinuierlichen Abwärtstrend bei der durch Atemwegserkrankungen verursachten Krankenstandsquote (BKK, 2024). Der Rückgang vollzieht sich aber sehr langsam und das Niveau liegt immer noch deutlich über dem des Jahres 2019 (Leiß/Pimpertz, 2023).

Die komplexen Zusammenhänge eröffnen einen weiten Interpretationsspielraum. Das mag dazu beitragen, dass die telefonische Krankschreibung bei Atemwegserkrankungen umstritten ist. Dazu tragen auch Berichte über digitale Angebote bei, die erkrankten Mitarbeitern eine elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung versprechen, ohne dafür einen (meist im Ausland ansässigen) Arzt telefonisch kontaktieren zu müssen. Derartige Angebote sind missbrauchsanfällig und bergen die Gefahr, nicht nur erkrankte Arbeitnehmer in Misskredit zu bringen, sondern auch Ärzte, die sich um eine seriöse Einschätzung des Gesundheitszustands ihrer Patienten bemühen.

Gegen potenzielle Missbrauchsgefahren können einfache Vorkehrungen helfen: Grundsätzlich ließe sich die Möglichkeit zur telefonischen Krankschreibung auf den Hausarzt oder einen in Deutschland ansässigen Arzt beschränken. Treten Atemwegserkrankungen dagegen während eines Auslandsurlaubs auf, sollte Beschäftigten der persönliche Kontakt mit einem ortsansässigen Arzt zugemutet werden können. Beides würde sowohl dem berechtigten Interesse der Arbeitgeber Rechnung tragen als auch dem Interesse all jener Arbeitnehmer, die sich erst dann krankmelden, wenn es wirklich nicht mehr geht.


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