Grundsatzurteil: Urlaub verjährt nicht automatisch - Arbeitgeber müssen warnen

| Zahlen & Fakten Zahlen & Fakten

Für Arbeiter und Angestellte kann sich nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts ein Blick auf verjährt geglaubte Urlaubsansprüche aus vergangenen Jahren lohnen. Die höchsten deutschen Arbeitsrichter entschieden am Dienstag in Erfurt, dass Urlaub nicht automatisch nach drei Jahren verjährt, wenn Arbeitgeber ihrer Informationspflicht nicht nachgekommen sind. Sie setzten damit eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) von September in deutsches Recht um und stärken damit die Arbeitnehmerrechte.

Arbeitgeber müssen aktive Rolle spielen

Nach dem Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts (9 AZR 266/20) müssen Arbeitgeber ihre Beschäftigten auf bestehende Urlaubsansprüche hinweisen und warnen, dass sie verfallen, wenn kein Urlaubsantrag gestellt wird. Sehen sie tatenlos zu, kann Urlaub oder Resturlaub auch noch Jahre später beansprucht werden. Eine dreijährige Verjährungsfrist beginne «erst am Ende des Kalenderjahres, in dem der Arbeitgeber den Arbeitnehmer über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallsfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat», erklärte das Gericht.

Die Fälle

Verhandelt wurden zwei Fälle aus Nordrhein-Westfalen: In einem ging es um 101 wegen Arbeitsüberlastung nicht genommene Urlaubstage einer Steuerfachangestellten aus mehreren Jahren. Im anderen um 14 Tage Resturlaub einer Krankenhausangestellten nach deren langwieriger Krankheit, die verfallen sollten.

Viele Klagen möglich

Ob das Urteil zu einer Klagewelle führt - darüber gehen die Meinungen von Arbeitsrechtlern auseinander, auch darüber, wie lange zurückgeblickt werden kann. Das Gericht ließ den Zeitraum offen. Er fürchte, «dass es nun zu zahlreichen Klagen zu lange beendeten Arbeitsverhältnissen kommt», sagte der Anwalt der Arbeitgeberseite in der Verhandlung. «Viele Arbeitnehmer haben bei laufenden Arbeitsverhältnissen Angst, ihre Rechte durchzusetzen», so der Anwalt einer Klägerin. In den beiden Fällen ging es um Urlaubsansprüche, die bis zum Jahr 2014 zurückreichten.

Die Bedeutung des Urteils

Die höchstrichterliche Entscheidung hat weitreichende Konsequenzen für Arbeitnehmer - ihre Position ist bei Streit um nicht genommenen Urlaub gestärkt. «Oft ist das der Fall bei einem Jobwechsel oder wenn ein Arbeitsverhältnis aus einem anderen Grund aufgelöst wird», sagte der Bonner Arbeitsrechtler Gregor Thüsing. «Bisher haben sich einige Arbeitgeber auf die Verjährungsfrist von drei Jahren verlassen - aber die gilt nun nicht mehr automatisch.»

Regeln für Verfall sowie Verjährung von Urlaub

Bei Kontroversen um die Verjährung von Urlaub gelten nun ähnliche Regeln, die das Bundesarbeitsgericht bereits 2019 zu der Frage aufgestellt hat, wann Urlaub verfällt. Erstmals nahmen sie damals die Arbeitgeber in die Pflicht, aktiv zu werden: Sie müssten ihre Beschäftigten «klar und rechtzeitig» auf nicht genommenen Urlaub hinweisen. Mit den Entscheidungen schlossen die Richter eine Lücke im Bundesurlaubsgesetz, das zu diesen Fragen keine Aussagen trifft. Ganz grundsätzlich sind Arbeitnehmer in Deutschland laut Gesetz angehalten, ihren Urlaub möglichst im laufenden Kalenderjahr zu nehmen.

Europäischer Gerichtshof stellte Weichen

Das Bundesarbeitsgericht hatte die beiden Fälle aus NRW vor seiner Entscheidung dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg vorgelegt. Er sollte prüfen, ob europäisches Recht eine Verjährung des Urlaubsanspruchs gestatte, «wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht durch entsprechende Aufforderung und Hinweise tatsächlich in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch auszuüben». Die Entscheidung im September war eindeutig: Nein, sagte der Gerichtshof in Luxemburg. Urlaub könne nicht verjähren oder bei langer Krankheit verfallen, wenn Arbeitgeber ihren Informations- und Mitwirkungspflichten nicht nachkämen, so der EuGH. Das wurde nun in deutsches Recht umgesetzt. «Es wird nicht die allerletzte Entscheidung sein zum Urlaubsrecht», sagte der Vorsitzende Richter Heinrich Kiel in der Verhandlung.

Urlaub nach langwieriger Krankheit

Grundsätzlich gilt nach Angaben von Arbeitsrechtler Thüsing, dass Urlaub bei langwieriger Krankheit 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres verfällt. Diesen Grundsatz bestätigte das Gericht am Dienstag. Allerdings kommt es nicht zum Urlaubsverfall, wenn Arbeitnehmer im betreffenden Jahr zumindest teilweise gearbeitet haben und ihr Chef seine Informationspflichten verletzte. Arbeitgeber hätten Mitwirkungsobliegenheiten und ein Interesse, dass sich Urlaub nicht anstaue und bezahlte Erholungszeiten eingehalten würden.

Weitere Informationen


Zurück

Vielleicht auch interessant

In der Corona-Pandemie haben zahlreiche Beschäftigte von zu Hause gearbeitet. Trotz aktueller Debatten über die Rückkehr ins Büro zeigt eine neue Studie: In vielen Firmen ist das Homeoffice etabliert.

Azubis dringend gesucht – mehr denn je ist das leider für viele Unternehmen eines der drängenden Probleme. In ihrer Ausbildungsumfrage 2024 meldet die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) einen Höchststand für die Zahl der Betriebe, die nicht genug Nachwuchs finden.

Sie haben Ihren Urlaub geplant, doch dann trifft eine unerwartete Urlaubssperre durch den Chef ein? Aus welchen Gründen kann das möglich sein und wie lang darf eine Urlaubssperre andauern?

Zum Jahresbeginn 2025 tritt der neue Gefahrtarif der Berufs­genossenschaft Nahrungsmittel und Gastgewerbe (BGN) in Kraft. Auf dieser Grundlage berechnet die BGN die Beiträge für ihre Versicherungs- und Betreuungsleistungen.

Ausbildungsplatz sucht Azubi - so kann man die Lage vieler Betriebe inzwischen beschreiben. Die Industrie- und Handelskammer schlägt Alarm - und die Firmen müssen kreativ werden.

Von Zuhause aus zu arbeiten, hat viele Vorteile: Man spart sich den Weg ins Büro und kann am Schreibtisch ungehemmt snacken. Damit das Homeoffice wirklich gut klappt, ist noch etwas wichtig: Lüften.

Laptop einstecken und heimlich im Urlaub arbeiten? Eine Befragung zeigt: für ein Drittel der Beschäftigten ein No-Go. Ist arbeiten aus dem Ausland überhaupt erlaubt und welche Konsequenzen drohen?

Bei einer Kündigung stellt sich auch immer die Frage: Was passiert jetzt eigentlich mit dem Resturlaub? Stehen dem Gekündigten die Urlaubstage noch zu? Muss der Arbeitgeber sie ausbezahlen? Und was, wenn der Arbeitgeber den Resturlaub verweigert?

Für Fraport gibt es im zweiten Quartal ein Plus bei Umsatz und Gewinn. Die Probleme von Boeing wirken sich allerdings auch auf den Flughafenbetreiber aus. Und auch bei Airbus läuft es nicht ganz rund.

Mehr als 1,3 Millionen der 18,6 Millionen Altersrentnerinnen und -rentner in Deutschland arbeiten zusätzlich. Wichtige Beweggründe für das Arbeiten im Alter sind Spaß an der Arbeit, Sinnstiftung und Kontakt zu anderen Menschen.