Immer weniger Lust auf Kuhmilch

| Zahlen & Fakten Zahlen & Fakten

Milch macht müde Männer munter? Der wohlklingende Werbeslogan aus den westdeutschen Nachkriegsjahren klingt heute wie aus der Zeit gefallen. Denn neben Flexitariern, die bewusst weniger Fleisch essen, gibt es immer mehr Bundesbürger, die aus Überzeugung weniger Kuhmilch trinken.

Fachleute sehen in diesem Verzicht mehr als eine kurzlebige Mode. Für die Gesellschaft für Konsumforschung sind die «Milchreduzierer» keine Randgruppe mehr. Denn seit es bei Lebensmitteln um mehr geht als Nährstoffe, hat Kuhmilch mitunter ein Imageproblem. Doch ist sie wirklich von gestern - und was können Hintergründe für die Entscheidung gegen ein Grundnahrungsmittel sein? Nachfragen zum Tag der Milch am 1. Juni. 

Von den Zahlen her ist Trinkmilch in Deutschland auf einem stetigen Abwärtstrend. Der Pro-Kopf-Verbrauch lag 2023 nach Daten der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung bei rund 46 Kilo. Mitte der 1990-er Jahre waren es der Behörde zufolge noch um die 60 Kilo. Das Statistische Bundesamt führt Deutschland aber noch als größten Produzenten von Kuh­milch in der EU, und die Milchwirtschaft gehört hierzulande zu den umsatzstarken Sektoren der Landwirtschaft. Was ist da los? 

Gesellschaftliche Debatten und politischer Druck  

«Wir steuern in Deutschland ganz stark in die Richtung nicht tierische Grundnahrungsmittel», sagt Jana Rückert-John, Professorin für die Soziologie des Essens an der Hochschule Fulda. «Fleisch und alle anderen tierischen Produkte sind in gesellschaftlichen Debatten aus unterschiedlichen Richtungen massiv unter Beschuss geraten.» Es gehe um Tierwohl, den CO-2-Fußabdruck, Nachhaltigkeit und Klimaschutz. «Auf dem Thema ist auch politisch Druck drauf.» Der Rückgang von Fleisch- und Milchkonsum hängt für die Forscherin eng zusammen. Wobei für sie ein Unterschied bleibt. «Für Fleisch werden Tiere getötet.» 

Themen wie konventionelle Tierhaltung und Hochleistungs-Milchkühe, die ihre Kälbchen nach der Geburt nur wenige Stunden sehen und selbst kaum älter als fünf Jahre werden, beschäftigen nicht nur Veganer. Nach dem jüngsten Ernährungsreport, einer repräsentativen Umfrage im Auftrag des Bundeslandwirtschaftsministeriums, achten 80 Prozent der Käuferinnen und Käufer darauf, wie ein Nutztier lebt. Westdeutsche legen bei der Wahl ihrer Lebensmittel dabei häufiger ein Augenmerk auf Tierwohl als Ostdeutsche - und Frauen häufiger als Männer. Gut die Hälfte der Befragten hat bereits vegetarische oder vegane Alternativen gekauft - am häufigsten pflanzlichen Ersatz für Trinkmilch und Milchprodukte. 

Mit Ernährung sind Wertvorstellungen verbunden

Tobt ein unterschwelliger Kulturkampf um die Milch? So weit würde Rückert-John nicht gehen. «Die Debatte ist auch ein Phänomen einer Wohlstandsgesellschaft», urteilt sie. Denn in Deutschland gebe es für Milch ausreichend Ersatzprodukte. «Ernährung wird häufiger problematisiert, weil sie nicht mehr allein eine gesundheitliche Dimension hat», ergänzt sie. Es gehe auch um Wertvorstellungen wie Umwelt oder Klima. «Essen und Trinken sind Grundbedürfnisse – und gleichzeitig so viel mehr», heißt es in der jüngsten Ernährungsstrategie der Bundesregierung. Es gehe um Genuss, Verbundenheit, Tradition, Kultur und Miteinander. Ernährung sei darüber hinaus oft auch Ausdruck «eines Lebensgefühls oder Mittel zur Selbstverwirklichung».

Von der Zurückhaltung der Käufer ist vor allem reine Milch betroffen. Weit weniger rasant ist die Abwärtsentwicklung bei Käse aus Kuhmilch. Gibt es da eine Logik? «Milchprodukte entfernen sich vom Urprodukt. Das ist, als ob ich ein ganzes Tier im Backofen sehe oder Fischstäbchen und Chicken-Nuggets», sagt Forscherin Rückert-John. Mit der Verarbeitung von Lebensmitteln würden auch Probleme unsichtbarer.

Von Milch-Verbannung ist die Bundesrepublik weit entfernt. Nach Umfragen für die Gesellschaft für Konsumforschung kaufen fast 93 Prozent der Haushalte weiter H- oder Frischmilch, nur eben weniger. 

Nur noch zwei Portionen Milch pro Tag

Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) hat in diesem Jahr ihre Empfehlungen für Milch und Milchprodukte nach unten korrigiert - von drei auf zwei Portionen pro Tag. «Das entspricht einem Glas Milch und einem Joghurt pro Tag - oder einem Joghurt und einer Scheibe Käse», erläutert DGE-Sprecherin Antje Gahl. Warum die Portion weniger? «In den neuen Empfehlungen haben wir nicht allein die Gesundheit berücksichtigt, sondern auch Umweltauswirkungen. Darunter sind Treibhausgaseffekte und Landnutzung wie Weideflächen», ergänzt sie. Auch Verzehrgewohnheiten seien in die Modell-Berechnungen miteingeflossen. 

Für Gahl ist der geringere Milchkonsum kein Drama. «Ernährungsgewohnheiten ändern sich. Wir haben in den letzten Jahren einen Switch in Richtung mehr vegetarische oder vegane Ernährung», sagt sie. Jede Generation ernähre sich anders. «In der Nachkriegszeit ging es vor allem ums Sattwerden, später kam die Fitness- und Schlankheitswelle.» Heute gehe es eben nicht mehr nur um Bedarfsdeckung. Skepsis gegenüber Milch sei kein neues Phänomen. Es habe immer Diskussionen gegeben, wie gesund sie sei und wie sie vertragen werde - Stichwort Laktoseintoleranz, berichtet die Ernährungsexpertin. 

Wie gesund ist Milch? An Nährstoffen bietet sie viel hochwertiges Eiweiß, Kalzium, Vitamin B2 und B12, Vitamin A, Eisen, Magnesium, Zink und Jod. Da könnten Pflanzendrinks pur nicht mithalten, sagt die DGE-Expertin. «Allein schon der Kalzium-Gehalt reicht nicht. Darum werden alle diese Drinks mit Nährstoffen angereichert.» Ökotrophologen sprechen deshalb lieber von Ersatz für Kuhmilch als von Alternativen. Von Dogmatik aber ist wenig zu spüren.  «Milch und Milchprodukte sind für Erwachsene in den richtigen Mengen gesund - aber sie nicht zwingend erforderlich», sagt Gahl. 

Mehr Vorsicht bei Kindern und Jugendlichen

Bei Kindern und auch Jugendlichen sei das wegen des Knochenwachstums etwas anderes. «Eine vegane Ernährung im Kindesalter empfehlen wir nicht, weil es schwierig ist, den Nährstoffbedarf abzudecken», erläutert sie. «Natürlich geht auch das mit Ersatzprodukten, aber dafür müssen Eltern sich wirklich gut mit Lebensmitteln auskennen.» Ohne Milch müssten Kinder viele Vollkornprodukte, Hülsenfrüchte, Nüsse und Samen essen. «Und sie müssen das auch mögen.» 

Soziologin Rückert-John erlebt an ihrer Hochschule, wie sich ihre Studierenden auch im Alltag mit Milch auseinandersetzen. Der Trend gehe zum Verzicht - allerdings werde die Sache komplizierter, je genauer sich junge Leute damit beschäftigten, berichtet sie. Denn die Öko-Bilanz der Soja- und Mandelvariante muss nicht besser sein als die von Kuhmilch. Für Sojafelder könnte in Brasilien Regenwald abgeholzt, für Mandeln zu viel Wasser verbraucht worden sein.

«Es gibt eine Überlastung und Überforderung von Verbrauchern», beobachtet die Professorin. «Die vielen Debatten, was wir überhaupt noch essen sollten und wo Lebensmittel herkommen, das ist unglaublich komplex. Man kann ja nicht alles abwägen und durchdenken.» Für das gute Gewissen bliebe dann für einige nur der Einkauf im Bio-Supermarkt. Doch das ist neben Überzeugung am Ende auch eine Frage des Portemonnaies. (dpa)


Zurück

Vielleicht auch interessant

Urlaubsgeld vom Arbeitgeber versüßt die Reisezeit. Die Sonderzahlung landet meist im Juni oder Juli auf dem Konto. Aber wer hat eigentlich Anspruch auf die Sonderzahlung? Hier sind die Fakten.

Ein heißer Tag bei der Arbeit: Damit muss man im Sommer rechnen. Eine Hitzewelle aber kann Beschäftigten ganz schön zu schaffen machen. Was gilt dann rechtlich?

Homeoffice hat sich in Deutschland auch nach der Covid-19-Pandemie etabliert, wird jedoch an weniger Arbeitstagen genutzt. Wie häufig Angestellte Homeoffice nutzen, hängt auch von der Größe des Unternehmens oder dem Alter der Beschäftigten ab.

Einst verlangten die in der Wildnis lauernden Tiere dem Urmenschen hohe Wachsamkeit und Flexibilität ab - ohne diese wurde er nicht alt. Heute sind diese Schlüsseldisziplinen erneut lebenswichtig für unsere Gesellschaft – vor allem aber im Job. Ein Gastbeitrag von Albrecht von Bonin.

Weltweit geht der Alkoholkonsum etwas zurück - ist aber laut WHO noch viel zu hoch. Eine Studie zeigt unterdessen, in welchen Ländern welcher Alkohol am liebsten getrunken wird - etwa in Deutschland.

Nutzen Sie Chatbots im Beruf? Wer KI-Tools ohne Absprache einsetzt, muss im schlimmsten Fall mit arbeitsrechtlichen Folgen rechnen. Worauf es bei einem sicheren Einsatz generativer KI ankommt.

Deutschland diskutiert die Vier-Tage-Woche, Griechenland geht einen anderen Weg: Wegen des Fachkräftemangels können Festangestellte dort künftig für ordentlich mehr Geld einen Tag zusätzlich arbeiten.

Immer mehr deutsche Firmen geraten in finanzielle Schwierigkeiten. Die Zahl der Firmenpleiten ist im Vergleich zum Vorjahr fast um ein Drittel gestiegen. Besserung ist nicht in Sicht. Besonders betroffen ist die Dienstleistungsbranche.

Alleinerziehende und Alleinlebende in Nordrhein-Westfalen müssen überdurchschnittlich oft auf Urlaub verzichten. Deutlich seltener trifft es Haushalte mit zwei Erwachsenen ohne Kind.

Arbeitszeugnisse sind wichtig für Bewerbungen, sowohl bei neuen Unternehmen als auch intern etwa für eine neue Stelle. Aber was tun, wenn der Arbeitgeber die Ausstellung verweigert? Ist das erlaubt?