Regierung sichert Rente ab - Wer soll die Milliardenkosten bezahlen?

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Bald gibt es immer mehr Rentnerinnen und Rentner - und weniger Einzahler. Trotzdem sollen die Renten auch in Zukunft mit den Löhnen Schritt halten. Noch ist das letzte Wort aber nicht gesprochen.

Die Rentnerinnen und Rentner in Deutschland sollen nach dem Willen der Bundesregierung auch in den kommenden Jahren mit steigenden Bezügen rechnen können. «Wenn die Löhne steigen, sollen auch die Renten steigen», sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Das Kabinett will dafür an diesem Mittwoch ihr lange angekündigtes Rentenpaket II auf den Weg bringen.

«Es geht darum, dass wir die Renten nicht abkoppeln von der Kaufkraft der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer», sagte Heil. «Deshalb muss das Rentenniveau stabil bleiben.» Kern der Reform, die Heil bereits für 2022 angekündigt hatte, ist die Sicherung des aktuellen Rentenniveaus von 48 Prozent bis mindestens 2039. Ohne Reform dürfte das Niveau dann auf rund 45 Prozent sinken - die Renten würden den Löhnen weit hinterherhinken. Denn Millionen Babyboomer mit Geburtsjahren in den 1950er und 1960er Jahren werden von Einzahlenden zu Ruheständlern. Das Rentenniveau gibt das Verhältnis der Renten zu den Einkommen an. 

Die Renten steigen

Laut Heil bedeutet die Haltelinie beim Rentenniveau in Zukunft deutlich mehr Geld für die Rentnerinnen und Rentner. «Wenn eine Krankenschwester aus Sachsen beispielsweise, heute 49 Jahre, 2040 in Rente geht, ist das im Jahr ein Unterschied von 1100 Euro, ob wir das Rentenniveau stabilisieren oder nicht.» 

Nach der bereits beschlossenen Rentenerhöhung um 4,57 Prozent zum 1. Juli sieht Heil auch künftig gute Chancen für steigende Bezüge für die 21 Millionen Rentnerinnen und Rentner. «Je mehr Menschen im erwerbsfähigen Alter in Arbeit sind, desto stabiler die Rente, sagte er. «Je angemessener die Lohnentwicklung, desto angemessener sind auch die Rentenerhöhungen, wenn wir es schaffen, das Rentenniveau stabil zu halten.» Besonders stark zeige sich die Bedeutung stabiler gesetzlicher Renten in Ostdeutschland - hier seien fast 90 Prozent der Beschäftigten im Alter allein auf die gesetzliche Rente angewiesen. 

Heil verteidigt Milliardenkosten

Die Wirtschaft hatte eindringlich vor den Plänen gewarnt. «Nicht finanzierbar» sei ein stabiles Rentenniveau, urteilte etwa Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger, nachdem Heil und Finanzminister Christian Lindner (FDP) ihre Pläne im März vorgelegt hatten. Laut Gesetzentwurf steigen die Rentenausgaben mit Reform von heute 372 auf voraussichtlich 802 Milliarden Euro 2045. Ohne Reform wären es 755 Milliarden.

Heil entgegnete diesen Sorgen, Deutschland gebe verglichen mit anderen Industrienationen nicht mehr für die Alterssicherung aus. Der Beitragssatz werde mit Reform bis 2040 voraussichtlich um jeweils einen halben Prozentpunkt für Arbeitgeber und Beschäftige stärker steigen als ohne. «Und das, finde ich, ist etwas, was wir leisten können.» Heute beträgt der Beitragssatz 18,6 Prozent vom Einkommen. Wegen der Alterung der Gesellschaft soll er in rund 15 Jahren ohne Reform auf 21,3 Prozent steigen - mit Reform auf 22,3 Prozent. Ein Beitragssatzpunkt bringt der Rentenkasse heute rund 18 Milliarden Euro im Jahr.

Kanzleramt bittet Länder um Fristverkürzung

«Mit dem Generationenkapital sorgen wir dafür, dass der Anstieg der Beiträge in der zweiten Hälfte der 30er-Jahre abgedämpft wird», kündigte Heil weiter an. Startend mit zwölf Milliarden Euro 2024 will die Regierung innerhalb von rund zehn Jahren mindestens 200 Milliarden am Kapitalmarkt anlegen. Die Zinserträge sollen an die Rentenversicherung fließen. Sie erhält damit zu Beiträgen und Steuerzuschüssen eine dritte Finanzierungsquelle. Heil verteidigte den Finanzmix mit dem von Sozialverbänden und Gewerkschaften abgelehnten Generationenkapital als «eine solide Mischung». Aus den Erträgen am Aktienmarkt sollen jährlich zehn Milliarden Euro in die Rentenkasse fließen. Der Einstieg in eine Kapitaldeckung war vor allem der FDP ein Anliegen. 

Dass die Vorlage des Rentenpakets so lange gedauert hat, lag auch an der skeptischen Haltung der Grünen zum Einstieg für die Rente in den Aktienmarkt. Schließlich willigten die Grünen ein. Heil sagte: «Es hat ein paar Wochen länger gedauert, aber es ist nicht zu spät, denn es geht um die Zeit nach dieser Legislaturperiode.» Die Regierung bat die Länder am Montag um eine Verkürzung der auf den Kabinettsbeschluss folgenden Beratungsfristen: Der Bundesrat solle die Reform bereits am 5. Juli behandeln, damit das Generationenkapital noch 2024 starten könne, heißt es in dem der dpa vorliegenden Schreiben des Kanzleramts. 

Heil: Kein Rentenpaket III

Ist nach der Reform vor der Reform? Die FDP sieht es kritisch, dass die Rentenbeiträge trotz des Generationenkapitals steigen werden. Lindner hatte bereits ein Rentenpaket III gefordert - unter anderem mit Anreizen für eine längere Lebensarbeitszeit. «Jedenfalls müssen 22 Prozent Beiträge in den 2030er Jahren abgewendet werden», sagte der FDP-Chef der Funke Mediengruppe. Sturm laufen die Liberalen im Einklang mit der Wirtschaft vor allem gegen die abschlagsfreie Rente nach 45 Versicherungsjahren, weil sie zu teuer sei. 

Auf die Frage, ob über die ebenfalls noch geplante bessere Altersvorsorge für Selbstständige in dieser Wahlperiode noch mehr in Sache Rente komme, antwortete Heil: «Nein, das ist eine große Reform, weil wir das Rentenniveau dauerhaft stabil halten.» Er sagte aber: «Wir reden in der Koalition darüber, wie wir flexible Übergänge in den Ruhestand schaffen können.» Mit einem Rentenpaket I hatte die Koalition bereits bestimmte Erwerbsminderungsrenten aufgebessert. 

Heil bekräftigte, dass das Renteneintrittsalter nicht weiter erhöht werden solle. «Denn das wäre für viele Menschen, zum Beispiel für die, die in der Lagerlogistik arbeiten oder im Handwerk oder in der Pflege, nichts anderes als eine Rentenkürzung.» Der SPD-Politiker bekräftigte auch sein Nein zu einem Aus für die sogenannte Rente mit 63. 

Spätestens bei den nun folgenden Bundestagsberatungen der Rentenreform dürften die Differenzen erneut deutlich werden. Heil räumte ein, die Weichen für die Zukunft der Rente zu stellen, sei angesichts der unterschiedlichen Positionen «anstrengend». Aber er sei «entschlossen, dass wir das auch durchsetzen».

Was ist das Ziel der Reform?

Die Ampel verfolgt mit dem Gesetzespaket zwei Ziele: Die Renten sollen künftig weiter im Einklang mit den Löhnen in Deutschland steigen. Dafür soll das Rentenniveau von 48 Prozent bis mindestens 2039 gehalten werden. Es sagt aus, wie sich die Renten im Verhältnis zu den Einkommen entwickeln. Zum anderen will die Regierung aus Bundesmitteln ein sogenanntes Generationenkapital aufbauen - also Geld auf dem Aktienmarkt anlegen. 

Welcher Teil wird für die Rentner eher zu spüren sein?

Die Fixierung des Rentenniveaus bei mindestens 48 Prozent. Wenn beispielsweise eine ausgebildete Krankenschwester mit 3100 Euro pro Monat im Jahr 2032 nach 45 Erwerbsjahren im Alter von 65 Jahren in Rente geht, würden ihre Bezüge dank des Rentenpakets statt rund 1450 Euro etwa 1500 Euro betragen. «Das ist ein Plus von rund 600 Euro im Jahr», so das Bundesarbeitsministerium.

Wozu dient das Generationenkapital? 

Die Rentenbeiträge sollen nicht so stark steigen. Heute liegt der Beitragssatz bei 18,6 Prozent des Einkommens. Ohne Reform soll er bis 2030 auf 20,2 und bis 2040 auf 21,3 Prozent steigen, so offizielle Prognosen. Nur eine Sicherung des Rentenniveaus ohne Generationenkapital würde den Beitragssatz laut Gesetzentwurf bis 2040 sogar auf 22,6 Prozent hochtreiben. Die Zinserträge des Generationenkapitals sollen dazu führen, dass er dann bei 22,3 Prozent verharrt. 

Was ist das Generationenkapital genau?

Die Regierung will dafür Schulden machen, die nicht auf die Schuldenbremse angerechnet werden. In diesem Jahr sind das erst einmal 12 Milliarden Euro, in den kommenden Jahren soll es jeweils etwas mehr werden. Auch Vermögenswerte des Bundes sollen übertragen werden. Bis Mitte der 2030er Jahre sollen so mindestens 200 Milliarden Euro angelegt werden. Aus den Erträgen am Aktienmarkt sollen dann jährlich zunächst 10 Milliarden Euro an die gesetzliche Rentenversicherung fließen. 

Wie geht es nach dem Kabinettsbeschluss weiter?

Damit das Generationenkapital noch 2024 eingerichtet werden kann, will die Regierung nun Tempo machen. Per Brief bat das Kanzleramt die im Bundesrat versammelten Länder um Fristverkürzung bei den Beratungen, so dass die Länderkammer die Reform bereits am 5. Juli beraten kann. Auch in der Koalition ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Mit Spannung wird erwartet, ob bei den ebenfalls anstehenden Debatten im Bundestag zu dem Gesetzentwurf neuer Streit ausbricht. Die FDP zeigte sich zuletzt gar nicht mehr zufrieden mit den Reformplänen. Ihr sind die künftigen Beitragsbelastungen für die heute jüngere Generation zu hoch. Heil entgegnete, der vorhergesagte Beitragsanstieg von jeweils einem halben Prozentpunkt bis 2040 für Arbeitgeber und Arbeitnehmer sei «etwas, was wir leisten können».

Und was sagen die Grünen?

Sie waren mit dem Generationenkapital unglücklich. Sie hatten auf die Volatilität der Finanzmärkte hingewiesen, durch die es kurzfristig zu hohen Verlusten kommen könne. Gesetzlich festschreiben wollen die Grünen, dass der Einsatz von Beitragsmitteln für den Kapitalstock auch in Zukunft ausgeschlossen wird. Doch als es zuletzt zwischen SPD und FDP wieder heftig knirschte und dabei auch die Rente ins Zentrum rückte, zeigte sich der Grünen-Wirtschaftsminister Robert Habeck überrascht. «Das Rentenpaket war eigentlich geeint», sagte er. In seinem Wirtschaftsministerium habe man damit anfangs ein paar Probleme gehabt, «weil uns die schuldenfinanzierte Aktienrente nicht auf Anhieb überzeugt hat». Mit dem Ergebnis könne man aber leben.

Wer findet das Rentenpaket vor allem gut?

Sozialverbände und Gewerkschaften loben die Sicherung des Rentenniveaus - und fordern noch mehr. So sagte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel der Deutschen Presse-Agentur, ein stabiles Rentenniveau bedeute «Entlastung, bessere Absicherung im Alter und weniger Aufwand für private Vorsorge». Hans-Jürgen Urban vom IG-Metall-Vorstand sagte der dpa: «Das Rentenpaket II stoppt die programmierte Entwertung der Renten für weitere 15 Jahre.» Ebenso wie DGB und IG Metall forderte der Sozialverbands VdK aber sogar ein höheres Rentenniveau. So sagte VdK-Chefin Verena Bentele der «Rheinischen Post», ein Niveau von 53 Prozent wäre eine Rentenerhöhung um zehn Prozent - «und würde wirklich gegen Altersarmut helfen».

Wer hat die größten Bauchschmerzen mit der Reform?

Deutschlands Arbeitgeber. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände trommelt bereits seit Wochen gegen «das teuerste Sozialgesetz dieses Jahrhunderts», wie sie das Rentenpaket nannte. «Nachdem die Koalition bereits eine Anhebung des Rentenalters ausgeschlossen hat, gehen damit künftig alle Lasten aus der Alterung auf Kosten der Beitragszahler.» Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger sagte: «Erneut werden Leistungen versprochen, die langfristig nicht finanzierbar sein werden.» Mit immer höheren Sozialbeiträgen komme Deutschland noch schwerer aus dem «wirtschaftlichen Stillstand». 

Begegnet die Koalition der Kritik mit noch einem dritten Rentenpaket?

Ein solches hatten Lindner und seine FDP gefordert - etwa um Anreize für eine längere Lebensarbeitszeit zu geben. Wie es in Koalitionskreisen hieß, werden derzeit Schritte erwogen, die Arbeit im Alter finanziell noch attraktiver machen sollen. Was zudem noch aussteht: die angekündigte bessere Altersabsicherung von Selbstständigen, die Heil erneut ankündigte. Auch bei der privaten Altersvorsorge will die Koalition noch Dinge verbessern. Heil verneinte aber die Frage, ob es nach dem Rentenpaket bis zur nächsten Bundestagswahl über die Ankündigungen hinaus noch mehr in Sachen Rente gebe: «Nein, das ist eine große Reform, weil wir das Rentenniveau dauerhaft stabil halten.» (dpa)


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