Wie werden wir morgen in Hotels und Restaurants arbeiten?

| Zahlen & Fakten Zahlen & Fakten

Ein Gastbeitrag von Albrecht von Bonin

Die Wirtschaft war schon immer dadurch getrieben, Arbeit zu erleichtern, sie schlauer und ressourcenschonender zu organisieren – oder sie statt von Menschen von Naturkräften und Technik erledigen zu lassen. Während produzierende Industriebranchen die Digitalisierung längst durch Computer, Netzwerke und lernende Systeme vorangetrieben haben, hinken Dienstleistungen wie Hotellerie, Gastronomie oder Touristik noch meilenweit hinterher. Und das bei zunehmendem Fachkräftemangel. Zeit, neue Wege zu gehen.

Was war immer unser Ziel? Mehr Wert schaffen und deutlich weniger dafür arbeiten. Hätte man das Adam, Eva und ihren unmittelbaren Nachkommen erzählt, dann hätten sie darin vermutlich die denkbar größte Ironie Gottes erkannt: „Ein paar Tausend Jahre lang verdient Ihr Euer karges Brot im Schweiße Eures Angesichts. Dann findet Ihr endlich den Hintereingang zum Paradies – und jammert über das Verschwinden der Arbeit! Geht’s noch?“

Nachdem Maschinen in den letzten 300 Jahren immer mehr Arbeitsschritte vom Menschen übernommen haben, wird ihre nächste Generation immer seltener von Menschen bedient, gesteuert und kontrolliert werden. Das übernehmen Computer und Softwareprogramme. Menschenleere digital gesteuerte Produktionshallen, selbst fahrende Busse und Autos, GPS gesteuerte Traktoren in der Landwirtschaft, der Kundenbesuch des Vertriebsmitarbeiters, vielerorts schon durch Online-Vertrieb ersetzt - alles längst keine Utopie mehr. Während das für IT-Spezialisten und Ingenieure eine gute Nachricht ist, müssen Fach- und Hilfsarbeiter zittern. Nicht nur das: Nach den "Handarbeitern", wird auch die Mehrzahl von "Kopfarbeitern" dran sein. Ein Kahlschlag von industriellen Arbeitsplätzen wird stattfinden, den sich heute noch niemand so recht vorstellen kann. Wie viele Arbeitsplätze im Zuge der digitalen Revolution wegfallen werden, wie viele neue besser Ausgebildete entstehen, wie viele Menschen sich weiterbilden oder beruflich komplett umorientieren müssen – dazu jagen sich Studien und Prognosen gegenseitig den Rang ab.


Über den Autor Albrecht von Bonin

Albrecht von Bonin ist einer der profiliertesten Personalberater in der Hospitality Industry. Die Suche und Auswahl von Spitzenkräften, der Einsatz von Interim Managern sowie Management Coaching für Führungskräfte und Unternehmer – das sind die Kernkompetenzen, mit denen VON BONIN und die avb Management Consulting echte Mehrwerte bietet.

Mit seinem Fachbeiträgen bei Linkedin, die auf der Erfahrung von 40 Jahren Beratungspraxis fußen, erreicht von Bonin seit Jahren viele tausend Leser. Jetzt gibt es seine Beiträge auch bei Tageskarte.


 

All das wäre kein Problem, wenn die Fortschritte der Digitalisierung bei der Produktivität und Entwicklung der Einkommen halbwegs miteinander im Einklang stünden. Das aber ist nicht der Fall: Während die Produktivität je geleisteter Arbeitsstunde zwischen 1991 und 2020 um fast 42 Prozent zulegte, stagnieren die Nettolöhne nahezu – sie stiegen im gleichen Zeitraum gerade mal um 3,9 Prozent. Dies spaltet den Arbeitsmarkt immer stärker: Im industriellen Sektor geht der Bedarf an Arbeitskräften im Zuge der technologischen Entwicklung und steigender Produktivität eher zurück, die Wertschöpfung dagegen geht durch die Decke. Anders im Dienstleistungsbereich: Hotellerie, Gastronomie, Touristik, Pflege, Kultur, etc. , wo es bei Licht besehen vermeintlich wenig zu rationalisieren gibt, brauchen dringend Fachkräfte, findet aber keine. Hier kommt der Fortschritt in Gestalt von prekären Beschäftigungen, stagnierende oder gar sinkenden Einkommen daher. Kein Wunder, dass diese Branchen vom Fachkräftemangel dramatisch betroffen sind und – wenn hier kein Umdenken stattfindet – auch weiterhin bleiben werden.

So wie bisher kann es nicht weitergehen

Corona-Pandemie, Lieferengpässe, Klimakrise und Fachkräftemangel werden dazu führen, dass betroffene Dienstleister, aber auch ihre Gäste und Kunden mit tiefgreifenden Umbrüchen klarkommen müssen. Viele Hospitality nahe Branchen verzeichnen nach der Pandemie bedingten „Eiszeit“ bereits wieder steigende Nachfrage und die Bücher sind wieder randvoll. Doch es fehlen die Menschen, die dieses Geschäft professionell abarbeiten. In meinem Buch „MITARBEITER suchen, finden, fördern, binden“ hatte ich bereits vor Jahren Reto Wittwer, den ehemaligen CEO von Kempinski, mit seiner Prognose zitiert: „In Zukunft werden Hotels nicht wegen fehlender Gäste schließen, sondern wegen fehlender Mitarbeiter“. Er sollte recht behalten. Wer hier noch in der romantisierten Welt des „Zu Gast bei Freunden“ oder „Wir sind alle Gastgeber“ verharrt, wer in Hotellerie, Gastronomie und Tourismus viele händische Arbeitsprozesse mit hohem Personalaufwand zulässt, der wird über lang oder kurz den Anschluss verpassen und seine Daseinsberechtigung aufs Spiel setzen.

Die Lösung wird hier, wie inzwischen auch in vielen anderen Branchen, von denen wir es vor einigen Jahren noch nicht vermutet hatten, um den Einsatz von mehr Technik, Digitalisierung, Automation nicht herumführen. Es scheint, als hätte die Hospitality und Touristik Industrie in den letzten zehn Jahren, insbesondere aber in Zeiten des krisenbedingten Stillstands – das Umdenken in Sachen Digitalisierung verschlafen – und jetzt wollen/müssen alle ganz schnell aufholen. Niemand hatte gewagt, das Unmögliche zu denken, geschweige denn in die Tat umzusetzen und - Gäste, Kunden, Mitarbeiter auf die digitale Reise mitzunehmen – nicht nur im Reservierung- und Buchungsprozess, in der Dienstplanung, im Check-In/Check-Out (vielleicht künftig mit dem Avatar-Rezeptionisten?), sondern auch im Housekeeping mit digitalisierten Reinigungsrobotern, Gastronomie, automatisierten Küchen bis hin zur Gestaltung von Hotelzimmern und Veranstaltungsräumen, ja ganzer Hotelimmobilien mit BIM und Lean Construction Systemen erbaut. Das K.O. Argument war bisher stets: „Bei uns geht das nicht. Punkt!“

Ich glaube, es war Anfang der 70er Jahre, als ein Gastronomiedirektor den Auftrag bekam, nach Einsparpotential im F&B Bereich zu suchen. Als er das servierte Frühstück abschaffen wollte und stattdessen ein Frühstücksbüffet vorschlug, wäre er fast gefeuert worden. „Wir können doch unseren Gästen nicht zumuten, sich ihr Frühstück selbst zu holen,“ war damals das Argument der traditionsgewohnten Bedenkenträger. Es hat viele Jahre gebraucht, bis diese „verrückte“ Idee von damals zum Standard wurde. Und der Gast hat's akzeptiert.

In einem Workshop für die Hospitality Industrie der Zukunft wurde vor einigen Wochen u.a. darüber heiß diskutiert, wie man Hotelbetriebe ressourcenschonender gestalten könnte. Ein junger Architekt schlug vor: „Um die Küche ohne große Lieferengpässe und teure Transportwege täglich mit frischem Gemüse und Salat zu beliefern, sollte man beim Neubau des Hotels gleich ein digitalisiertes „Gewächshaus“ einbauen, aus dem nach dem Prinzip des Vertical Farming in zig vertikal angeordneten und mit modernster Computertechnik ausgerüsteten Gemüsebeeten die Küche „just in time“ täglich auf kurzem Wege mit frischem Grün beschickt werden kann“. Transportwege entfallen, so seine Idee, die Eigenzucht enthält deutlich höhere Nährwerte, als das Produkt vom Feld - und ist weniger schadstoffbelastet. Die Lieferfähigkeit ist jederzeit sichergestellt. Der Gast profitiert. Im großen Stil gibt es das bereits in entsprechenden Fabriken. Der junge Mann wurde von den übrigen Workshop-Teilnehmern wie ein quergestreiftes Zebra müde belächelt. Warten wir ab, wann seine Idee Realität wird.

Die zentrale Frage muss lauten: wenn es schon kaum noch gelingt, genügend Mitarbeiter zu rekrutieren, müssen wir das Reisen und die Hotellerie radikal neu erfinden, um mit höherem Einsatz von Technik und Automatisierung und weniger, aber hochqualifizierten Mitarbeitern, eine neue Erlebniswelt für den Gast oder Kunden zu schaffen, in der er/sie sich wohlfühlt. Digitalisierung und virtuelle Welten werden dabei eine wichtige Rolle spielen.

Gewiss – das mag noch eine lange Reise sein. Doch ist keine Zeit mehr für Bedenkenträger ("Es wird schon nicht so schlimm werden!"). Der Fachkräftemangel wird sich nicht in Wohlgefallen auflösen. Versprochen.


Autor

Albrecht von Bonin
avb Management Consulting
www.avb-consulting.de
VON BONIN + PARTNER Personalberatung
www.von-bonin.de


 

Zurück

Vielleicht auch interessant

Deutschland ist der mit Abstand größte Markt für pflanzliche Lebensmittel in Europa und baut seinen Vorsprung noch weiter aus. Trotz der Zuwächse machen die pflanzenbasierten Optionen bislang nur einen kleinen Teil des gesamten Marktes aus.

Wie ergeht es den deutschen Gastbetrieben nach den Pandemiejahren? Was können Unternehmen tun, um sich weiter zu verbessern? TREUGAST und ETL ADHOGA gehen der Frage in ihrem geplanten Betriebsvergleich 2024 nach. Gastgeber, die sich beteiligen, erhalten ein kostenfreies Exemplar.

Wer an bayerisches Essen denkt, hat schnell Bilder von Haxn, Würsten und Braten im Kopf. Eine Studie zeigt nun allerdings, dass sich nicht nur auf den Tellern im Freistaat viel verändert hat.

Krankheitsausfälle im Job sind nach einer Auswertung der DAK-Gesundheit auch im Sommer auf einem hohen Stand geblieben. Fast ein Drittel der Erwerbstätigen war demnach im Zeitraum von Juli bis einschließlich September mindestens einmal krankgeschrieben.

Ein Arbeitsvertrag für ein Jahr: Für viele ein guter Einstieg in den Beruf. Auf lange Sicht aber kann ein befristetes Arbeitsverhältnis für Unsicherheit und Stress sorgen. Was ist erlaubt?

Schwimmbecken voller Wein, Exportschlager Liebfrauenmilch, Glykol-Skandal und Riesling-Boom: Das Deutsche Weininstitut blickt auf 75 bewegte Jahre - und sieht neue Herausforderungen.

Nicht selten passiert es, dass der Arbeitgeber kündigt und Beschäftigte dann freistellt. Aber was bedeutet das für den Urlaubsanspruch? Diesen Sonderfall bei Krankheit sollten Sie kennen.

Der Arbeitgeber hat eine Bonuszahlung zugesagt und will diese nun plötzlich kürzen oder gar streichen? Was bei vielen Arbeitnehmern Frust auslöst, ist oft gar nicht zulässig. Johannes Schipp, Fachanwalt für Arbeitsrecht, erläutert die Rechtslage.

Kneipen, Hotels und Campingplätze waren die großen Gewinner des Augusts. Der Ferienmonat ließ im bayerischen Gastgewerbe fast überall die Umsätze sowohl nominell als auch preisbereinigt gegenüber dem Vorjahreszeitraum steigen.

Freitags immer frei und trotzdem wie in einem Vollzeit-Job bezahlt werden: Das klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Verfechter von so einer Vier-Tage-Woche halten das aber für praxistauglich.