Reduktion als Trend in der Gastronomie: Wenn aus weniger mehr wird

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Immer häufiger konzentrieren sich Köchinnen und Köche auf weniger Zutaten und Komponenten bei ihren Gerichten, vereinfachen Zubereitungsschritte oder optimieren Serviceabläufe. Dabei setzen sie kompromisslos auf Qualität und Geschmack. Beweggründe, Interpretation und Umsetzung von Reduktion diskutierten Anfang Oktober die Teilnehmer des 12. Genusslabor der Jeunes Restaurateurs Deutschland (JRE) in „Merkles Restaurant“ in Endingen am Kaiserstuhl.

Daniel Humm („Eleven Madison Park“, New York City) gestand kürzlich auf dem Kochsymposium Chef-Sache in Düsseldorf vor Berufskollegen*innen: „Ich habe mein Leben lang versucht, mit so wenigen Zutaten wie nur möglich zu kochen. Doch immer habe ich noch eine dekorative Garnitur oder eine Zutat hinzugefügt.“ Erst vor vier Jahren habe er mit in einer Schweinsblase geschmortem und von Trüffel aromatisiertem Knollensellerie und neuem Selbstbewusstsein sein Ziel erreicht, sagte der schweizerische Spitzenkoch, „vor 15 Jahren wäre es auch nicht möglich gewesen, ein Gericht aus nur zwei Zutaten zu servieren.“
 

Reduktion ist mehr als Küchensprache

Reduzierung ist nicht nur ein küchensprachlicher Begriff für das starke Einkochen von Flüssigkeiten wie Fonds, Saucen oder Sahne zur Geschmackskonzentration. Reduktion ist ein Stilmittel, auf das Köchinnen und Köche in ihren Restaurantküchen und Betrieben immer häufiger setzen.

„Wenn man beste Produkte einkauft, muss man auf dem Teller auch nicht mehr so viel Tamtam drum herum machen!“ lieferte von der Chef-Sache-Bühne Sternekoch Sascha Stemberg („Haus Stemberg“, Velbert) dem Auditorium ein Argument für Reduktion ohne Verzicht auf Geschmack und mit Topqualität. Mit der Wertschätzung von Produkt und Qualität liegt er genau auf der Wellenlänge des Manifests der kürzlich von den Jeunes Restaurateurs (JRE) angestoßenen „Chefsinitiative für die Zukunft der Gastronomie“. Denn aktuelle Fragestellungen wie Nachhaltigkeit und Personalprobleme verleihen Reduktion, die in vielen Länderküchen, man denke an den italienischen Klassiker Spaghetti aglio, olio e peperoncino, verankert ist, und durch die neue nordische und puristische japanische Küche sowie die Besinnung auf Regionalität maßgeblich beeinflusst wurde, neue Dynamik.

12. JRE-Genusslabor „Reduktion: Reduzierung auf das Wesentliche“

Um Beweggründe, Interpretation und Umsetzung von Reduktion drehte sich jüngst das 12. Genusslabor der Jeunes Restaurateur Deutschland unter dem Arbeitstitel „Reduktion: Reduzierung auf das Wesentliche“ in „Merkles Restaurant“ in Endingen am Kaiserstuhl. Das Genusslabor, so JRE-Genusslabor-Patron Tobias Bätz („Restaurant Alexander Herrmann“, Wirsberg), sei ein Diskussions-Stammtisch, ein Think Tank, eine Denkfabrik der Vereinigung junger Spitzengastronomen. Der jüngst mit dem zweiten Michelinstern ausgezeichnete Küchenchef aus Oberfranken hatte das JRE-Netzwerk um die Gäste Peter Hagen-Wiest („Ammolite“, Rust) und Nicolai Wiedmer („Eckert“, Grenzach-Wyhlen) als Diskussionspartner erweitert. Das konstruktive Arbeitstreffen, bei dem jedem der teilnehmenden Köche die Interpretation des Themas am Herd überlassen war, wurde von Vorträgen der JRE-Genussnetz-Partner Rainer Stadler („Quittenprojekt Bergstraße“) und Heinrich Beck („BäckerBeck“) eingerahmt.

Braucht eine immer komplexere und schnellere Welt nachvollziehbares Essen?

„Was bedeutet Reduktion? Gehört neben einer Produktbeschränkung auch ein Hervorkommen aus der Komfortzone dazu?“, fragte Viktoria Fuchs („Spielweg“, Münstertal) eingangs konstruktiv. „Ich will Gästen keine 30 Komponenten zumuten, die ich selbst als Profi nicht mehr greifen und herausschmecken kann.“, verwies JRE-Genusslabor-Patron Tobias Bätz auf manchmal übertrieben viele Tupfer, Striche und Punkte auf Tellern.

„Was die vielen kleinen Portionen an Materialaufwand wie Teller und Besteck sowie Personalaufwand verursachen, Wahnsinn“, wunderte sich Jochen Helfesrieder („Storchen“, Bad Krozingen) über Fingerfood und Küchengrüße. Das Gegenteil ist seine kulinarische Einstimmung: Eine nach der sanften japanischen Ikejime-Methode getötete und eine Woche gereifte Forelle von „Pistole Hardcore-Food“ servierte er auf ihrer Karkasse aus Gräten. Das rohe, feste Fischfleisch hatte er nur behutsam mit einer Creme aus angeräucherten Forellen-Abschnitten, Roggenbrot-Crumble und Limonenzeste abgeschmeckt. Dieser reduzierte Produkt- und Präsentations-Purismus kam bei Tobias Bätz an: „Für Reduktion muss man neben qualitativ hervorragenden Produkten auch mal Selbstbewusstsein und Mut haben!“

Was ein Storytelling: Ein Hoch auf die Klassiker!

Daniel Fehrenbacher („Adler“, Lahr) griff auf einen handwerklich und kochtechnisch anspruchsvollem Klassiker aus dem Fundus seines seit 50 Jahren in der Küche tätigen Vaters zurück, eine Geflügelpastete aus einem komplett verarbeiteten Huhn. Wissen, das verlorenzugehen droht. Peter Hagen zeigte sich beeindruckt: „Thematische Punktlandung mit drei Komponenten: Brot, Füllung, Feigen-Chutney. Großes Tennis!“ Zudem benötigt Fehrenbachers zwar aufwändig, aber gut vorzubereitende Pastete beim Anrichten weniger personalintensive Handgriffe. Für solche Gerichte muss man Gäste manchmal begeistern, für Hausherr Thomas Merkle kein Problem: „Bei uns gehen die Köche raus, erklären am Tisch, Storytelling eben.“

Work in Progress: Das Verlassen der Komfortzone

Die 29-jährige Viktoria Fuchs bewies mit ihrer Vorspeise nicht nur Wagemut, sondern ließ ihre Kollegen an der Entstehung eines neuen Gerichtes teilhaben und sich von deren Input zur Weiterentwicklung inspirieren: „Ich wollte unbedingt etwas mit Molke machen, denn durch die Käserei meines Vaters haben wir beste Milch vor der Haustür.“ Sie hatte eine Kanne am Morgen frisch gemolkener Kuh-Rohmilch mit nach Endingen gebracht, gab zum Käseherstellen Kälbermagenlab in die Milch und pochierte in der entstandenen Molke für ihr work in progress die bayerische Zuchtgarnele von „Crusta Nova“. Serviert mit cremig-festem Käsebruch, von angerösteten Garnelenschalen aromatisiertem Molke-Schaum und Rote Bete-Püree und -Blättchen kitzelte sie auf drei Zutaten beschränkt Krustentier-Textur und -Geschmack heraus.

„Für mich ist das eine Herausforderung, Reduktion ist so gar nicht mein Küchenstil“, gab Christian Binder („Steinheuers Restaurant Zur Alten Post“, Bad-Neuenahr-Heppingen) beim Vorstellen seines Fleischhauptgerichts zu. Für die stattliche, herrlich aromatische Scheibe – endlich mal kein Mini-Stückchen Fleisch! – rosa gegarter Nuss vom Poltinger Lamm mit einer von wenigen Tropfen heißem Lammfett aromatisierten Sauce und abwechslungsreicher, jahreszeitlicher Kürbisfüllung in einem filigranen Kartoffelzylinder erhielt er uneingeschränkt begeisterten Zuspruch zur Umsetzung im Restaurant von Victoria Fuchs  („Ist es nicht genau das, was der Gast will?“) und Markus Philipi („Casala“, Mersburg): „Weniger ist manchmal mehr: Tolle Produktqualität, eine Sauce mit Eigengeschmack. Das ist klar für den Gast und enthält nicht zu viele Geschmackskomponenten.“

Von strengem Munsterkäse und Wildschwein im Dessert

Hausherr Thomas Merkle fasste bei seinem Käsegang einen Munsterkäse aus dem nahen Elsass wunderbar naturbelassen mit Kartoffel und Holunder in Form von selbst eingelegten, unreifen Beeren als „Kapern“ und Essig von Ochsenschläger ein. Die herzhaft, süß, sauer und schlotzige Mischung gefiel auch Christian Binder: „Die Säure bricht wunderbar die Strenge des Weichkäses auf“

Perfekt brachte Valentin Rottner („Waidwerk“, Nürnberg) den konstruktiven Tag auf den Punkt: „Sehr interessant, wie das Thema Reduktion interpretiert wird. Der eine mit weniger Handgriffen, jemand anderes mit vielen Handgriffen und einem übersichtlichen Teller.“ Er selbst bereite ein Eis aus Wildschweinleber zu, richtete es auf eingelegten Quitten an, gab Original Beans-Schokoladenstücke dazu und rieb darüber gepökelte, geräucherte und getrocknete Wildschweinleber. „Mal was machen, was man sonst nicht macht“, kommentierte der Jäger sein Gericht, das er so wahrscheinlich nie im Restaurant servieren werde, aber hier zur Diskussion stellte.

Doch auch Diskussionen über die Gerichte und Reduktion bei den Zutaten, beim Aufwand der Zubereitung oder im Service hinaus wurden geführt. Dazu regten auch Markus Philippis süße Kleinigkeiten, seine Petits Fours an. Wo er im Restaurant häufig noch einmal groß, teils mit einem Pralinenwagen auffahre, beschränke er sich beim JRE Genusslabor: „Ich wollte nicht zu viel machen.“ Seine handwerklich anspruchsvoll gearbeiteten Kleinigkeiten um die Bodenseefrüchte Apfel und Pflaume waren ein ausreichender und perfekter Abschluss.

Sitzfleisch oder Fast Food: Was will der Gast, was der Gastronom?

Die stets respektvollen und offenen Gespräche drehten sich auch um Fragen des Menüumfangs. „18 Gänge in fünf Stunden finde ich anstrengend!“, gab Steffen Disch („Raben“, Horben) zu bedenken. Ob man sich auf ein Menü reduziere oder eine zusätzliche À la carte-Auswahl anböte, beschäftigt die jungen Gastronomen. „Manchmal ist irgendwo nur ein Menü wirtschaftlich tragfähig.“, konstatierte Jochen Helfesrieder. Peter Hagen sieht den Spitzenrestaurantbesuch auch als etwas Besonderes an und fragte überspitzt: „Muss ich in ein Gourmetrestaurant gehen, wenn ich nur einen Gang essen will?“ Steffen Disch („Raben“, Horb) plant ein zusätzliches Restaurant: „Bei meiner Neueröffnung wird es nur ein Menü geben. Und angepasst reduzierte Öffnungszeiten“ Personalmangel, gerade beim Service, macht vielen Gastronomen zu schaffen. Ein anderes, wichtiges Zukunftsthema.


 

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