«Keine roten Linien»: Lauterbach schließt Lockdown nicht aus

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Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat die Bund-Länder-Beschlüsse zur Eindämmung des Coronavirus verteidigt, zugleich aber härtere Schritte nicht ausgeschlossen. Die für die Zeit nach Weihnachten beschlossenen Einschränkungen des privaten und öffentlichen Lebens würden Wirkung erzielen, zeigte sich der SPD-Politiker am Dienstagabend in den ARD-«Tagesthemen» sicher. «Aber wir schließen nichts aus. Also wenn tatsächlich die Fallzahlen sich so entwickeln würden, dass auch ein harter Lockdown diskutiert werden muss, dann gibt es da keine roten Linien.»

Um die rasante Ausbreitung der Omikron-Variante zu bremsen, hatten Bund und Länder weitere Beschränkungen des privaten und öffentlichen Lebens beschlossen. Sie sollen aber erst nach Weihnachten gelten. Spätestens ab 28. Dezember soll generell eine Obergrenze von zehn Personen für Privattreffen gelten. Kanzler Olaf Scholz verständigte sich mit den Ministerpräsidenten der Länder zudem auf die Schließung von Clubs und Diskotheken und leere Ränge bei Fußballspielen und anderen Großveranstaltungen. Am 7. Januar will sich Scholz erneut mit den Länderchefs treffen, um über die Pandemiebekämpfung zu beraten.

RKI ärgert Lauterbach

Das Robert Koch-Institut (RKI) hatte kurz vor der Bund-Länder-Runde viel weitreichendere Maßnahmen gefordert, darunter sofortige maximale Kontaktbeschränkungen. Daran hatte sich bei den Beratungen Kritik entzündet. Lauterbach sagte in der Schalte, es gebe keine wissenschaftliche Zensur, die Veröffentlichung sei aber «nicht abgestimmt» gewesen, wie die Deutsche Presse-Agentur von Teilnehmern erfuhr. Das dürfe nicht passieren.

In der ARD äußerte sich Lauterbach am Abend zurückhaltender. «Ich lege viel Wert auf die wissenschaftliche Beratung auch durch das RKI, wir arbeiten Hand in Hand. Aber im Rahmen der wissenschaftlichen Arbeit des RKI kann es auch schon mal eine Forderung geben, die wir nicht sofort umsetzen», sagte er. Zusammen mit RKI-Präsident Lothar Wieler will Lauterbach an diesem Mittwoch in Berlin erneut über die Corona-Lage in Deutschland informieren.

Baden-Württemberg und Sachsen sind unzufrieden

Aber nicht nur das RKI bezweifelt, dass die Maßnahmen reichen. Das von dem Grünen-Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann regierte Baden-Württemberg und das von dem CDU-Regierungschef Michael Kretschmer regierte Sachsen machten in einer Protokollerklärung ihre Unzufriedenheit mit den Ergebnissen der Konferenz deutlich. «Sie gewährleisten keine ausreichende Handlungsfähigkeit, um schnell auf eine sich zuspitzende Lage, wie sie der wissenschaftliche Expertenrat in seiner Stellungnahme vom 19. Dezember 2021 prognostiziert, reagieren zu können», heißt es darin. Beide Länder forderten die Bundesregierung und den Bundestag auf, den Ländern wieder alle gesetzlichen Handlungsoptionen zu geben.

Kretschmer sprach von einer «verpassten Chance». Er geht davon aus, dass es schon vor der nächsten Bund-Länder-Runde am 7. Januar weiteren Handlungsbedarf geben wird. «Es ist aus meiner Sicht sehr zu erwarten, dass dieser 7. Januar zu spät ist. Die Dynamik, die wir derzeit erleben, ist sehr groß.» Er glaube, dass es schon vorher zu Abstimmungen und Gesprächen komme.

«Nicht mehr die Zeit für Partys»

Ziel der neuen Maßnahmen ist es, die zwischenmenschlichen Kontakte massiv zurückzufahren - vor allem mit Blick auf Silvester. «Es ist derzeit nicht mehr die Zeit für Partys und gesellige Abende in großer Runde», sagte Scholz.

Neben den neuen Beschränkungen soll die Impfkampagne weiter vorangetrieben werden - auch während der Weihnachtstage und zwischen den Feiertagen. «Corona macht keine Weihnachtspause», betonte Scholz. Bis Ende Januar strebt er 30 Millionen weitere Auffrischungsimpfungen an. Mindestens 32,6 Prozent der Gesamtbevölkerung haben bereits einen sogenannten Booster bekommen. Mindestens 70,4 Prozent sind bisher zweifach geimpft oder haben die Einmal-Impfung von Johnson & Johnson erhalten.

Scholz strebt als «Zwischenziel» eine Impfquote von 80 Prozent an. «Und wenn wir das erreicht haben, müssen wir das nächste Ziel in den Blick nehmen», sagte er. Er befürwortete auch erneut eine allgemeine Impfpflicht, über die im neuen Jahr der Bundestag abstimmen soll.

Expertenrat warnt vor «explosionsartigen Verbreitung» von Omikron

Grundlage für die Beratungen war ein Vorstoß des Expertenrats der Bundesregierung, der «gut geplante und gut kommunizierte Kontaktbeschränkungen» gefordert hatte. Nach seiner Einschätzung kann Omikron auch zweifach Geimpfte sowie Genesene leicht anstecken. «Dies kann zu einer explosionsartigen Verbreitung führen.»

Die Expertinnen und Experten warnten vor einer «neuen Dimension» der Pandemie. Kliniken stünden vor starker Überlastung. Ein Teil der Bevölkerung könnte wegen Krankheit oder Quarantäne auch als Beschäftigte ausfallen. Gefährdet sei das Funktionieren von Versorgungs- und Sicherheitssystemen.

Kliniken: «Möglicherweise nicht ausreichend»

Der Saarbrücker Modellierer Thorsten Lehr sagte dem Sender ntv, abhängig von den Maßnahmen könnten die Inzidenzen Anfang des Jahres um 1000 liegen. «Da sehen wir wirklich eine relativ starke Wand auf uns zukommen.» Vorerst sank die bundesweite Sieben-Tage-Inzidenz im Vergleich zum Vortag am Dienstag etwas - von 316,0 auf 306,4 Corona-Neuinfektionen pro 100 000 Einwohnern. Binnen eines Tages gab es offiziell 23 428 Neuinfektionen und 462 Todesfälle.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft nannte die beschlossenen Kontaktbeschränkungen «notwendig, möglicherweise aber nicht ausreichend». Deshalb sei es notwendig, dass die Lage weiterhin täglich beobachtet und analysiert werde, sagte der Vorstandsvorsitzende Gerald Gaß, den Zeitungen der Funke Mediengruppe. «Gegebenenfalls muss dann kurzfristig nachgesteuert werden.»

Scholz: «Wir sind alle mürbe»

Scholz appellierte an den Zusammenhalt der Bürger: «Diese Pandemie strengt uns alle an. Wir alle sind mürbe und der Pandemie müde. Das hilft aber nichts. Wir müssen abermals zusammenstehen und auch in vielen Fällen eben Distanz halten.» 


 

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