Sharing Economy „überrollt“ Österreich

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Wien (pte015/30.04.2019/10:30) -Innerhalb von nur 15 Jahren hat sich die „Ökonomie des Teilens“ (Sharing Industry) zu einem Multimilliarden-Business entwickelt, mit hunderten Anbietern neben den ganz großen Airbnb, Uber und Co. Die Flut von E-Scootern, die derzeit Wien „überrollt“, sorgt für neue Diskussionen. Damit steigt der Regulierungsbedarf in allen Bereichen der Mobilität, Beherbergung und Infrastruktur, doch es gibt Unterschiede zwischen Stadt und Land, Privat und Business zu beachten, so das Resümé einer Podiumsdiskussion des Travel Industry Club Austria am Montagabend im Wiener Palais Hansen Kempinski.

Harald Hafner, Vorsitzender des ThinkTanks für die heimische Reiseindustrie, verwies auf die Tatsache, dass die Sharing Industry inzwischen fast jeden Bereich des täglichen Lebens betrifft und keine Modeerscheinung bleiben wird. Von 3,5 Mrd. Dollar im Jahr 2005 auf 325 Mrd. im Jahr 2020 - das sind Wachstumsraten, die Investoren gefallen. Airbnb sei in nur sechs Jahren größer geworden als die Hilton-Kette in 93 Jahren und es gehe mit 500 Prozent Wachstum munter weiter. Sechs Mrd. Mobiltelefone weltweit, Technologie, Demografie und Arbeitswelt seien die Treiber für die Entwicklung, Geschäfts- und Privatreisende suchten "authentische Erlebnisse".

Regeln für neue Geschäftsmodelle

Bis zum Jahr 2050 werden 84 Prozent der Europäer in Städten leben, zitierte Hafner aus Demografie-Studien. Die Folge: "Wir werden teilen müssen. Städte wurden ja nicht für Autos gebaut, sondern für Menschen. Daher müssen wir uns was einfallen lassen", forderte Hafner. "Denn wenn Autos 23 Stunden pro Tag herumstehen, ist das pure Verschwendung. Gleiches gilt für Wohnungen, die leer stehen. What a waste", so der Touristikexperte, der nach eigenen Angaben selbst seit zehn Jahren kein Auto mehr besitzt. Dabei sei klar, dass die Sharing Economy nicht nur Probleme löst, sondern auch Probleme schafft und damit einen neuen Ordnungsrahmen benötigt.

Die auf Immobilienrecht spezialisierte Rechtsanwältin Daniela Witt-Dörring  stellte dazu die These auf, dass der rechtliche Rahmen für die Sharing Economy eben dort nicht mehr ausreichend sei, wo sie zum eigenen Geschäftsmodell wird beziehungsweise wo die Idee des Teilens über eine Plattform durch findige Geschäftsleute ausgenutzt wird. "Dann stellt sich sofort die Frage, wie wir uns gegen Auswüchse schützen können." Es kann aber auch andere Ursachen geben. Im Falle der Wiener Situation äußerte Witt-Dörring die Vermutung, dass die Beschränkungen des Mietrechtsgesetzes und der Richtwertzins für bestimmte Gebäudetypen für viele Eigentümer Grund seien, ihre Wohnungen leer stehen zu lassen oder - zu weit besseren Konditionen - "kurzzeit" zu vermieten.

Marktteilnehmer wollen Rechtsicherheit

Witt-Dörring betonte, dass es allen Marktteilnehmern um Rechtssicherheit geht. Niemand wolle in einem Graubereich agieren. Gleichzeitig warnte sie insbesondere für den Beherbergungsbereich davor, alle Appartment-Vermieter über einen Kamm zu scheren. Sie meint: "Es wird nicht alles über ein Bundesgesetz gehen." Gerade weil die Bedingungen zwischen Stadt Wien etwa und in den touristischen Zonen auf dem Land so unterschiedlich sind, sollte man hier besser mit Landesgesetzen arbeiten.

Appartmentvermieter keine "wilde Horde"

Andreas Novotny, Präsident der Wiener Appartmentvermieter Vereinigung, will zusammen mit der Österreichischen Hoteliervereinigung (ÖHV) und der Wirtschaftskammer Österreich dazu beitragen, die gesetzlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, um die professionelle Kurzzeitvermietung aus ihrem Graubereich herauszuholen. Dazu gehörten Offenlegung und Registrierung, sagte Novotny, aber auch andere (für die Hotellerie geltende) Bestimmungen wie etwa Brandschutz. Derzeit hält man sich (noch) an die Gesetze der Privatzimmervermietung aus dem Jahre 1954, doch die seien längst überholt. Die Appartmentvermieter seien jedenfalls keine "wilde Horde", so der Verbandspräsident, "wir sind gerne dabei, wenn es um eine neue Regelung geht".

Komplexität groß - Privatzimmervermieter wollen Bettengrenze verschieben

Die ebenfalls anwesende Obfrau des Fachverbands Hotellerie in der Wirtschaftskammer Österreich, Susanne Kraus-Winkler, verwies auf die Komplexität der Rechtsmaterie und den harten Wettbewerb der Vermietungsplattformen, die einer einfachen Regelung der Kurzzeitvermietung im Wege stehen. Betroffen seien Gewerberecht, Meldegesetz, Grundverkehrsgesetz, Bauordnung, Tourismusgesetz und vieles mehr. Die klassische Privatzimmervermietung im häuslichen Nebenerwerb reicht bis zehn Betten, die gewerbliche Vermietung beginnt ab elf Betten, bis 30 Betten braucht es derzeit keine Betriebsanlagengenehmigung, wobei gewerbliche Hotelbetriebe in Österreich lediglich über durchschnittlich 36 Betten verfügen. Aufgrund dieser Dikrepanz wollen Privatzimmervermieter die Bettengrenze daher jetzt nach oben verschieben.

Mobilität in neuen Dimensionen

Sarah Lamboj, Geschäftsführerin der Berliner Taxivermittlungsplattform mytaxi , geht davon aus, dass sich die urbane Mobilität in den nächsten Jahren stark verändern wird - weg vom Besitzen hin zum Leihen, Mieten und Sharen. Ihr Unternehmen, in dem Mercedes und BMW kräftig investiert sind, habe sich zum Ziel gesetzt, diese Mobilität aktiv mitzugestalten - mit ganz unterschiedlichen Angeboten. Eines davon - neben Car2Go über DriveNow die neue E-Scooter-Sharing-Plattform Hive - wurde erst in den vergangenen Wochen gelauncht - als Beitrag zur "Multimodalität" und "letzten Meile".

"Let's do it first"

Hive-City-Manager Alexander Juranek will in Wien "ein paar Dinge anders machen" als andere E-Scooter-Firmen - dazu zählten mehr Nachhaltigkeit, Sicherheit, Verantwortung und Fairness - mit über 50 ordentlichen Arbeitsplätzen, seriöser Information und Aufklärung zum Start. Er gibt allerdings zu, dass die elektrisch betriebenen Zweiräder der Konkurrenz die Stadt Wien binnen kürzester Zeit "quasi überrollt" hätten - mit den bekannten Umwelt- und Sicherheitsproblemen. Es sei eben ein Wesenszug der Sharing Economy, nicht viel zu fragen, sondern einfach zu tun - und damit zu spekulieren, dass man als Erster im Markt am Ende gewinnt. Die Devise "Let's do it first, pay the fine (Strafe) later" erlangt so ihre logische Bestätigung.


 

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