Führen „nebenbei“ geht nicht - Leadership als innere Haltung

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Ein Gastbeitrag von Albrecht von Bonin

Treten Chefs offensiv gegenüber ihren Mitarbeitern auf oder verhalten sie sich eher defensiv? Wie groß ist ihre Bereitschaft, neben Strategien und Techniken auch das eigene Verhalten im gesamten Führungsprozess auf den Prüfstand zu stellen – geschweige denn Denk- und Verhaltensveränderungen zuzulassen? Viele Führungskräfte wünschen sich dabei Unterstützung.

Führung ist eine verantwortungsvolle Aufgabe – eine, die mit Machtgedanken, Ängsten, Fantasien und Widerständen besetzt ist. Aus langjähriger Coaching Erfahrung weiß ich, dass nur sehr wenige Führungskräfte diesen Job wirklich gerne tun und sich voll damit identifizieren. Hinter vorgehaltener Hand gestehen sie, dass es sie viel Mühe und Überwindung kostet, spontan auf ihre Leute zuzugehen, ehrliche Anerkennung und Wertschätzung auszudrücken, sie auf Ziele einzuschwören und sie dafür zu begeistern. Viele sind Meister im bewussten und unbewussten Verschieben dieser als unangenehm empfundenen Situation. Sie bleiben passiv und hoffen entgegen allen Erfahrungen, dass der Mitarbeiter vielleicht doch von selbst seiner Aufgabe gerecht wird oder bei Problemen von selbst auf sie zu kommt. Im Gegenteil zeigt sich schlechte Führung durch fehlende Entscheidungsbereitschaft, Unvermögen in sinnvoller Delegation von Verantwortung oder gar cholerischen Ausrastern – oft ein Zeichen von persönlicher Überforderung und Mangel an Führungskompetenz. Nicht selten ist auch eine abwertende Haltung gegenüber den zu Führenden zu beobachten: „Bei mir zuhause stehen die Flaschen im Schrank. Hier laufen sie im Betrieb herum“, ist im Flurfunk auf mancher Top Etage zu hören.


Über den Autor Albrecht von Bonin

Albrecht von Bonin ist einer der profiliertesten Personalberater in der Hospitality Industry. Die Suche und Auswahl von Spitzenkräften, der Einsatz von Interim Managern sowie Management Coaching für Führungskräfte und Unternehmer – das sind die Kernkompetenzen, mit denen VON BONIN und die avb Management Consulting echte Mehrwerte bietet.

Mit seinem Fachbeiträgen bei Linkedin, die auf der Erfahrung von 40 Jahren Beratungspraxis fußen, erreicht von Bonin seit Jahren viele tausend Leser. Jetzt gibt es seine Beiträge auch bei Tageskarte.


 

Führen „nebenbei“ geht nicht

Dass Führung in vielen Unternehmen ein Stiefkind ist, hat bei näherer Betrachtung eine Reihe von Gründen. Häufig betreiben Chefs sie eher «nebenbei», betrachten sie als notwendiges Übel oder sind vorwiegend mit anderen Tätigkeiten beschäftigt. Oft erhalten sie – insbesondere beim Einstieg in erste Führungsverantwortung – innerhalb des Unternehmens zu wenig Unterstützung bei der Entwicklung ihrer Leadership Kompetenzen. Kein Wunder, dass sie froh sind, sich mit anderen Tätigkeiten ablenken zu können. So neigt der Führungsnachwuchs häufig dazu, durch Mehrarbeit und „Weitermachen wie bisher“ die Bedeutung der Führungsaufgabe falsch einzuschätzen. Die wenigsten erhalten eine spezielle Ausbildung und Begleitung, die auf die Anforderungen der Führung und die Führungskultur des Unternehmens gezielt eingehen. Dabei sind Unternehmen darauf angewiesen, dass ihre Führenden über die nötigen fachlichen, methodischen – vor allem aber soziale Kompetenzen verfügen. Die können diejenigen, die bereits an Bord sind, z. B. durch Coaching erwerben. Mehr noch: für die Rekrutierung auf dem externen Arbeitsmarkt gilt es mehr denn je, bereits im Auswahlprozess besonders das Leadership Potenzial in den Fokus zu stellen.

Die Frage ist nur: Welche Kompetenzen sind wirklich wichtig für gute Führung? Und mit welchen Methoden findet man sie heraus? Top Management und HR-Abteilungen ist zu raten, diese Anforderungen so präzise wie möglich zu definieren. Entweder in Eigenregie oder mit Hilfe von Personalberatern werden diese Skills dann mit speziellen Bewertungsverfahren ermittelt.

Um gute Führung entstehen zu lassen, glauben viele Unternehmen, überwiegend mit Hilfe von Strategien und Techniken die Kommunikations- und Leadership Kompetenzen vermitteln zu können. Im Coaching machen wir jedoch oft die Erfahrung, dass viele Chefs diese erlernten Techniken zwar logisch und völlig richtig wiedergeben können – aber in der Praxis nicht umsetzen. Denn im Tagesgeschäft fallen sie gern in alte Verhaltensmuster zurück. Es fehlt ihnen an der inneren Einstellung zur Führungsverantwortung. Hinderliche Glaubenssätze bewirken, dass die erlernte Technik «blutleer» eingesetzt wird – ohne dass die Führungskraft wirklich dahintersteht. Das merkt der Gesprächspartner/Mitarbeiter natürlich. Der ganze Auftritt wirkt dann «erlernt» und wenig überzeugend. Das Ergebnis ist: Mitarbeiter denken: „Ah! Chef war wieder mal auf einem Seminar!“. Und die viel zitierte Klage vieler Chefs lautet: „Warum versteht mich hier bloß keiner?“

Wesentlich für erfolgreiche Führungskräfte: Persönlichkeit und Integrität

Mit welchen Kriterien kann man treffsicher einschätzen, ob jemand die positive innere Haltung zu einer Führungsaufgabe hat, ob das Potenzial zur Führungskraft vorhanden ist bzw. wo Entwicklungsbedarf besteht. Ein bekannter Mediziner hat dazu die vier M’ s als wichtigste Voraussetzung definiert: „Man muss Menschen mögen“. Anhand weniger Beobachtungen wird das deutlich:

Ist die Person mit sich im Reinen?

Ist der Wille zu führen überhaupt vorhanden? Ist dafür ein gewisser „Biss“ spürbar?

Hat sie eine grundsätzlich positive Einstellung zu Menschen?

Sind bei ihr eine optimistische Lebenseinstellung und Resilienz erkennbar?

Wirkt sie überzeugend, weil sie selbst überzeugt ist von dem, was sie sagt und tut?

Lebt sie das, was sie sagt, als Vorbild glaubwürdig vor? Wie steht’s um ihre Integrität?

Identifiziert sie sich mit ihrer Rolle als Leader? Spürt ihr Umfeld diese selbstbewusste (nicht arrogante!) und professionelle Haltung?

Ist sie aktiv und geht voller Selbstvertrauen von sich aus auf Menschen zu?

Gelingt es ihr, mit Empathie rasch eine gute Beziehung aufzubauen?

Hat sie auch bei Stress oder Konflikten Zugriff auf ihr ganzes Leadership Potenzial?

Ist sie offen für Veränderung, fördert sie die Neugier der Mitarbeiter auf Innovationen?

Wir befragten kürzlich Geschäftsführer und Manager aus KMU’ s. Wir wollten wissen, warum aus ihrer Sicht aktive Führung so wenig (oder kaum) stattfindet, beziehungsweise oft erfolglos bleibt. Die Antworten decken sich mit unseren Wahrnehmungen im Coaching. Die so genannten «weichen» Faktoren sind ausschlaggebender für den Erfolg als Fachkompetenz! Führung scheitert häufig daran, dass die Leader mit ihren «emotionalen Viren» nicht umgehen können, von sich und ihrer Rolle nicht überzeugt sind und deshalb aktive Führung vernachlässigen. „Wer selbst das Feuer der Begeisterung nicht in sich trägt, kann es auch nicht auf andere übertragen“. Diese weichen Faktoren zu entwickeln und die Persönlichkeit der Führungskraft zu stärken, sind ausschlaggebend für den Erfolg, denn nur so hat sie auch Zugriff auf erlernte Methoden und Techniken und kann sie überzeugend anwenden.

Vorbild Spitzensport

Sie können diese Situation mit der sogenannter Trainingsweltmeister im Spitzensport vergleichen. Manche Athleten bringen im Training Topleistungen – doch wenn es drauf ankommt, sind sie nicht in der Lage, an ihre herausragenden Leistungen anzuknüpfen. Sie sind nervös, der Gegner jagt ihnen zu viel Respekt ein, die Erwartungshaltungen von außen legen sich als zentnerschwere Last auf ihre Schultern. Oder aber sie überschätzen sich, fühlen sich dem Gegner überlegen. Im inneren Dialog hadern sie während des Wettkampfs mit sich und sind nicht wirklich bei der Sache. Kein Wunder, dass sie nicht die gleichen Ergebnisse erzielen wie im Training, wo sie locker und konzentriert waren.

Die Mehrzahl der Befragten war sich darüber einig, dass neben der Unterstützung der Führungskräfte im täglichen Umgang mit Mitarbeitern vor allem zielorientiertes Coaching für dieses höchst sensible und mit vielen Ängsten besetzte Thema erforderlich ist. Das heißt, nicht nur die Vermittlung spezieller Führungs- und Kommunikationstechniken gewinnt an Bedeutung, sondern vor allem das Bewusstmachen, was Führungsverantwortung eigentlich bedeutet. Erst dann gelingt die Entwicklung des persönlichen Auftritts und des zur Persönlichkeit passenden individuellen Führungsstils.

Nicht beklagen, was zu ändern ist – sondern ändern, was zu beklagen ist

Machen wir uns bewusst: Die Megatrends Digitalisierung, Globalisierung, Klimawandel verändern die Welt um uns herum dramatisch. Über Jahrzehnte geltende Werte, Abläufe, Wissensschätze verlieren an Gültigkeit. Die Transformation der Industriegeschichte verändert die Spielregeln des Lebens grundlegend. Für die Arbeitswelt und das Führen von Menschen bedeutet das: Die so häufig geforderte „Extrameile“ von heute wird morgen Standard werden. Gerade in Krisenzeiten kann sich kaum jemand leisten, vorrangig über Work-Life-Balance zu sprechen. Wer glaubt, die Vergangenheit liefere weiterhin den Maßstab für die Zukunft, ist im Irrtum. Führen bedeutet künftig: Motor sein, Orientierung geben, Entscheiden trotz großer Unsicherheit. Mut zeigen, auch Fehler zu riskieren. Agil auf Veränderung reagieren. Souverän handeln, auch wenn Informationen unvollständig sind und das Umfeld sich dauernd verändert. Nicht-Wissen zugeben, Lösungen mutig gemeinsam entwickeln. Hochdynamisch, auf Zuruf jederzeit bereit, Projekte noch einmal zu überdenken, um neue Entwicklungen zu integrieren. Führen heißt auch, nicht zu beklagen, was geändert werden sollte, sondern zu ändern, was zu beklagen ist. Das Reiten auf dieser Riesenwelle erfordert von Führungskräften andere Voraussetzungen als das Paddeln im Badesee bei angenehmer Wassertemperatur.


Autor

Albrecht von Bonin
avb Management Consulting
www.avb-consulting.de
VON BONIN + PARTNER Personalberatung
www.von-bonin.de


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