Der letzte Bier-Sud in Frankfurt ist angesetzt. Noch ein paar Fässer aus dem Lager, dann wird das eigentlich eng mit der Main-Metropole verbundene Binding-Bier in Nürnberg bei Tucher gebraut, wie der Mutterkonzern Radeberger am Donnerstag in Frankfurt bestätigte. Die traditionsreiche Braustätte am Sachsenhäuser Berg wird geschlossen, rund 150 Mitarbeiter müssen trotz starken Widerstands gehen oder neue Jobs an anderen Standorten des zur Oetker-Gruppe gehörenden Konzerns antreten.
Dass ausgerechnet in dieser Situation Binding als Getränkesponsor und Nachfolger der Krombacher Brauerei beim örtlichen Fußballverein Eintracht einsteigt, stößt nicht nur Fans auf. «Hoffentlich nehmen sich Spieler wie Kevin Trapp an Binding kein Beispiel und verlassen Frankfurt nach Dortmund (BvB) oder Nürnberg (FCN)», sagt der Frankfurter DGB-Chef Harald Fiedler, der gemeinsam mit der Gewerkschaft NGG und anderen vergeblich für den Erhalt der Brauerei gekämpft hat.
Zum 1. August 1870 hatte Conrad Binding die Brauerei Ehrenfried Glock am Garküchenplatz in der Frankfurter Altstadt übernommen. Nur ganze elf Jahre blieb der aufstrebende Unternehmer in den engen Gassen rund um das Rathaus Römer, um dann auf der anderen Seite des Mains in Sachsenhausen eine moderne Bierfabrik mit ausgedehnten Kältekellern aufzubauen. Die Firmengeschichte war geprägt von zahlreichen Übernahmen kleinerer Brauhäuser, bis 1953 der Oetker-Konzern das Ruder übernahm und bis heute nicht mehr aus der Hand gab.
In der Apfelwein-Hochburg verblasste der Ruhm der Wirtschaftswunder-Marke Binding zusehends. Längst vorbei sind die Zeiten, als schwere Kaltblut-Pferde hölzerne Bierwagen voller «Römer-Pils» durch die Stadt zogen. Innovativ zeigte sich das Unternehmen aber beim Aufspüren neuer nationaler Biertrends wie alkoholfreiem Bier (Clausthaler) oder Weizen (Schöfferhofer). Der langfristige Niedergang war angesichts des dauerhaft sinkenden Absatzes aber nicht aufzuhalten.
Ende September 2022 verkündete die Radeberger-Gruppe das Aus für die letzte große Braustätte Frankfurts, in der längst auch die einstige Konkurrenzmarke Henninger hergestellt wurde. Der hohe Kostendruck in der Coronakrise bei gleichzeitig noch schwächeren bundesweiten Verkäufen habe letztlich den Abbau von Überkapazitäten im Konzern notwendig gemacht. Die übrigen 13 Bierstandorte sowie den Mineralbrunnen Löhnberg will Radeberger weiterhin aus der Hauptverwaltung in Frankfurt führen.
20 000 Unterschriften für «Binding bleibt» haben Fiedler und seine Mitstreiter noch abgegeben, die unternehmerische Entscheidung des Oetker-Konzerns konnten sie aber nicht ändern. «Das kümmert die nicht», sagt Fiedler. Immerhin habe man einen Sozialplan erreicht und verhindert, dass die Brauerei stillschweigend geschlossen wird. Für ihn ist klar: «Auf jeden Fall ist Bier, das in Nürnberg und Dortmund gebraut wird, kein Frankfurter Bier mehr und mit Tradition aus Frankfurt hat es schon gar nichts mehr zu tun.»
Mehr als die Hälfte der betroffenen Beschäftigten habe einen Ersatzarbeitsplatz oder eine andere sozial verträgliche Lösung wie den Vorruhestand angenommen, erklärte eine Sprecherin des Unternehmens am Donnerstag. So habe man die Zahl der notwendigen Kündigungen «ganz deutlich» reduzieren können.
Die Frage der regionalen Identität beurteilt das Unternehmen naturgemäß anders als die Kritiker: Eine Biermarke verliere ihre Geschichte und Herkunft nicht, wenn sie an einem anderen Standort gebraut oder abgefüllt werde. «Binding wird immer eng mit der Geschichte, Kultur und dem gesellschaftlichen Leben dieser Stadt verbunden bleiben.» Im Frankfurter Waldstadion jedenfalls wird für die kommenden vier Jahre ein Bier aus Nürnberg ausgeschenkt. Bisher kam es aus Krombach im Sauerland. (dpa)