EU-Staaten für mehr Arbeitnehmerrechte bei Lieferdiensten

| Politik Politik

Millionen Lieferdienst- und Taxifahrer großer Online-Plattformen können auf bessere Arbeitsbedingungen hoffen. Die EU-Staaten sprachen sich für neue Vorgaben aus, um etwa Scheinselbstständigkeit besser zu verhindern, wie die belgische EU-Ratspräsidentschaft am Montag mitteilte. Das Europaparlament muss dem Vorhaben noch zustimmen. Eine Mehrheit ist wahrscheinlich.

Den Angaben der EU-Staaten zufolge arbeiten knapp 30 Millionen Menschen in der Union als sogenannte Plattformarbeiter. Wenn künftig Indizien etwa auf eine Kontrolle der Mitarbeiter vorliegen, wird den neuen Regeln zufolge angenommen, dass sie Beschäftigte und keine Selbstständigen sind. Die Beweispflicht liege bei den Plattformen - sie müssten beweisen, dass kein Beschäftigungsverhältnis bestehe. Beschäftigte können den Angaben zufolge auch besseren Zugang zu Bezahlung bei Krankheit, Leistungen bei Arbeitslosigkeit oder Einkommensunterstützung erhalten.

Zudem soll verboten werden, dass automatisierte Überwachungs- oder Entscheidungsfindungssysteme bestimmte Daten verwenden. Dazu zählen biometrische Daten oder der emotionale oder psychologische Zustand von Mitarbeitern.

Lieferando für neue Regeln

Zu höheren Preisen bei den Kundinnen und Kunden soll die neue Richtlinie zumindest bei Essenslieferant Lieferando nicht führen. Das Unternehmen stelle bereits alle Fahrer regulär an, «mit allen entsprechenden Bezügen und Rechten für die Beschäftigten», teilte Lieferando jüngst mit. «Dementsprechend halten wir die Richtlinie für kostenneutral umsetzbar, zugunsten besserer Branchenstandards.»

Der Fahrdienstleister Uber teilte mit, der Status der Mitarbeiter werde von Land zu Land und von Gericht zu Gericht entschieden. Man fordere die EU-Länder auf, nationale Gesetze zu schaffen, die Schutz böten und gleichzeitig die Unabhängigkeit der Fahrer wahren würden. Zudem hieß es: «In Deutschland arbeiten wir - unter Berücksichtigung der hiesigen Gesetzeslage – ausschließlich mit Liefer- und Flottenpartnern zusammen, bei denen die Kuriere und Fahrer angestellt sind.» Andere Plattformen wie freelancer.com reagierten zunächst nicht auf das Abstimmungsergebnis.

Eigentlich hatten sich Unterhändler der EU-Staaten und des Parlaments bereits zweimal auf einen Kompromiss geeinigt. Die Deals platzen aber wieder, und es brauchte weitere Gespräche. Dabei war es vor allem schwierig, innerhalb der EU-Staaten eine Mehrheit zu finden, was auch an der Bundesregierung scheiterte.

Uneinigkeit in Bundesregierung

Berlin enthielt sich bei der Entscheidung am Montag, weil es unterschiedliche Ansichten zu dem Vorhaben gibt. So hatten sich vor allem FDP-Vertreter gegen das Gesetz ausgesprochen. Der stellvertretende Bundesvorsitzende Johannes Vogel bezeichnete die vorgesehenen Plattformregeln jüngst als «einen Angriff auf alle Selbstständigen in Europa». Selbstständigkeit sei ein zentraler und notwendiger Teil einer modernen Arbeitswelt. Die Initiative der Kommission gehe daher nicht zu weit, sondern in die falsche Richtung. «Es kann nicht sein, dass Selbstständige gegen ihren Willen zu Beschäftigten gemacht werden sollen», sagte Vogel.

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sagte am Montag dem Portal Politico: «Wer nicht kompromissfähig ist, kann nicht mitgestalten. Ich bedauere das Abstimmungsverhalten persönlich sehr.» Es sei wichtig, dass Digitalisierung im Arbeitsleben nicht mit Ausbeutung verwechselt werde. Dass die neue Richtlinie dennoch eine Mehrheit fand, begrüßte Heil. «Scheinselbstständigkeit und prekäre Arbeitsbedingungen werden so zurückgedrängt.» Kritik am deutschen Abstimmungsverhalten kommt auch von den Grünen. «Dies ist ein Versagen von Bundeskanzler Scholz», sagte der Europaabgeordnete Rasmus Andresen. Die neuen Regeln seien ein riesiger Erfolg.  

Berichten zufolge stimmte auch Frankreich nicht für das Vorhaben. «Ich bin froh, dass sich Estland und Griechenland nun doch für die Regulierung von Plattformarbeit aussprechen und Scholz und Macron mit ihrer Haltung abseits stellen», sagte der CDU-Europaabgeordnete Dennis Radtke. Wichtig sei, dass es die Beweislastumkehr für mehr als fünf Millionen Scheinselbstständige gebe. «Wer künftig weiter in Scheinselbstständigkeit gedrückt wird, kann sich endlich zur Wehr setzen.» Die FDP-Europaabgeordnete Svenja Hahn sieht die Beweislastumkehr hingegen sehr kritisch. Diese zwinge alle Menschen, die ihre Dienste über digitale Plattformen anbieten würden, in ein Angestelltenverhältnis. (dpa)


 

Zurück

Vielleicht auch interessant

Während der Fußball-EM dürfen Berliner Restaurants, Kneipen und Biergärten, die Spiele übertragen, ihre Außenbereiche bis zum Spielende öffnen. Eine entsprechende Verordnung erließ Umweltsenatorin Ute Bonde.

MV-Tourismusminister Meyer sorgt sich um die Auslandswerbung der Deutschen Zentrale für Tourismus. Die Bundesmittel sollen gekürzt werden, sagt er. Dagegen macht er jetzt mobil.

Der Zoll ist am Samstag in Hotels und Gaststätten bundesweit gegen Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung vorgegangen. Insgesamt seien rund 2400 Beschäftigte aller Hauptzollämter im Einsatz, teilte die Generalzolldirektion am Abend in Bonn mit.

Frust im Ampel-Bündnis aus SPD, Grünen und FDP: Bei der Europawahl hängt die Union die Konkurrenz ab, die AfD landet mit großem Plus auf Platz zwei. Im Osten liegt sie sogar vorn.

Angesichts der Herausforderungen zählen mehr denn je Vernetzung, das Bündeln der Kräfte und das Schaffen von Synergien. Vom 2. bis 4. Juni kamen dazu in Warnemünde die deutschsprachigen Verbände der Hotellerie und Gastronomie zu ihrem traditionellen Jahrestreffen zusammen.

Deutsche Bahn und S-Bahn München sprechen mit einer Recruiting-Kampagne gezielt Mitarbeiter aus der Gastronomie an. Nach Protesten des DEHOGA Bayern zieht die Bahn das Kampagnenmotiv jetzt zurück.

Auch Hoteliers und Gastronomen sind von dem Hochwasser in Bayern betroffen. Angesichts der schweren Schäden hat das bayerische Kabinett gestern ein Soforthilfe-Paket beschlossen. Dieses soll eine Summe von „100 Millionen plus x“ umfassen. Was es zu beachten gibt.

Der ehemalige Münchner Oberbürgermeister Christian Ude soll im Tarifstreit in der bayerischen Gastronomie vermitteln. Der Dehoga sieht aktuell aber keinen Bedarf für einen Schlichter. Vielmehr sei ein Angebot der Arbeitgeber an die NGG gegangen.

Die Denkfabrik Zukunft der Gastwelt plant eine Image-Kampagne. Die ermäßigte Mehrwertsteuer für die Hotellerie und die Steuerfreiheit von Sonn-, Feiertag- und Nachtzuschlägen soll gerettet werden. Beides sehen die Lobbyisten in Gefahr. Ich halte diese Kampagne für brandgefährlich. Ein Kommentar von Marc Schnerr.

Zur Europawahl hat die Branche ihre Positionen und Erwartungen für ein starkes Gastgewerbe in einer leistungsfähigen Europäischen Union an die Politik adressiert. Jetzt liegen die Antworten der Parteien auf den Fragenkatalog des DEHOGA und des Hotelverbandes vor.