Die besten Serien schaffen es, den Blick auf die Welt zu verändern: Über den Beruf «Tatortreiniger» haben sich wohl nur wenige Zuschauer vor der NDR-Reihe Gedanken gemacht und «Weißensee» war nach zwei Jahrzehnten Wiedervereinigung eine dringend nötige fiktionale Ergänzung zum Alltagsleben in der einstigen DDR. Jetzt startet beim Streaminganbieter Disney+ «The Bear: King of the Kitchen».
Im Mittelpunkt steht der junge Koch Carmen «Carmy» Berzatto, der noch vor kurzem in New York in einem feinen Sterne-Restaurant gearbeitet hat, nun aber die Sandwich-Bude seines gestorbenen Bruders in Chicago übernimmt. Er muss ein streitlustiges Team hinter sich bringen und die Geldprobleme des Ladens in einer rauhen Gegend der Stadt lösen und ja auch irgendwie mit dem Tod seines Bruders klarkommen.
Das klingt bedrückend und fühlt sich dank schneller Kamera und perfekt eingelebten Charakteren oft wie eine Dokumentation an - aber es ist auch vom ersten Moment an sehenswert.
«The Bear» nutzt wenig Raum hervorragend - sowohl bildlich als auch im übertragenen Sinne gerät die Serie extrem dicht. Ständig kreist die Kamera durch die enge Küche, dauernd zischt und brutzelt es irgendwo, nie ist Raum zum Durchatmen.
Das Gleiche gilt für die Handlung: Immer wird geschrien, nie ist die nächste Hart-aber-herzlich-Beleidigung länger als ein paar Sekunden entfernt, selten wird einmal der Hintergrund einer Figur erklärt und zwischen den Folgen geschehen Dinge abseits der Kamera, die sich die Zuschauer zusammenreimen müssen - wie im realen Leben eben.
Dass dieser «Bear» so grandios brummt, liegt auch am Ensemble. Jeremy Allen White spielt den verwuschelt-trainierten Carmy mit Tattoos, müdem Blick und strähnigen Haaren so sehr als «Er scheint so verloren, ich kann ihn ändern»-Traumtypen, dass Twitter-Nutzerinnen schrieben: «Ich würde das gerne schauen, aber mein Therapeut hat mir befohlen, mich aktiv von solchen Kerlen fernzuhalten.»
Ihm zur Seite steht mit Ayo Edebiris Sydney eine junge schwarze Kochkollegin, die nicht bereit ist, das etablierte System Restaurantküche mit seinem Macho-Gehabe zu akzeptieren. Beide Schauspieler lernten mehrere Wochen die Arbeit in einer echten Küche kennen - manche Brandwunden an den Unterarmen dürften echt sein.
Wenn die beiden dann auch noch mit «Cousin» Richie (Ebon Moss-Bachrach) aneinandergeraten, bei dem nie ganz klar ist, ob er wirklich mit Carmy verwandt ist, oder ob das eben nur ein Spitzname ist, entsteht großes Fernsehen - mit Höhepunkten wie der intensiven vorletzten Folge, die nach einem kurzen Vorspann ohne einen einzigen Schnitt auskommt. Oder wie mit jenem siebenminütigen Monolog in der Abschlussepisode, für den sich White schon jetzt bei allen Fernsehpreisen der kommenden Saison anmelden kann. (dpa)