Mehr als Verzicht: Das Kreuz mit der konsequenten Nachhaltigkeit

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«Man müsste eigentlich mal.» Das ist der Refrain all derer, die gerne nachhaltiger leben würden. Möglichkeiten gibt es ja viele: Weniger fliegen, weniger Fleisch essen, weniger Müll produzieren. Aber lässt sich die Welt so wirklich retten? Oder sind große politische Lösungen nicht viel wichtiger? Katharina Beyerl ist Umweltpsychologin am Potsdamer Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung. Sie sagt: Beides ist wichtig - und beides geht.

Frage: Frau Beyerl, wenn ich mir ein Flugticket nicht kaufe, fliegt das Flugzeug trotzdem – mein Verzicht im Sinne der Nachhaltigkeit hat also keinen messbaren Einfluss. Ist er trotzdem sinnvoll?

Katharina Beyerl: Der Einfluss ist schon messbar, aber eben nur auf individueller Ebene. Global gesehen hat der persönliche Verzicht auf eine Flugreise oder auf einen Einweg-Kaffeebecher einen geringen Effekt. Aber das Verhalten vieler Menschen macht einen großen Unterschied. Wenn alle denken, selber nichts tun zu können, dann ändert sich auch nichts. Ich glaube, dass man mit jeder Entscheidung, die man trifft, das Angebot an Waren und Dienstleistungen langfristig verändern kann.

Frage: Inwiefern spielt es dabei auch eine große Rolle, mit gutem Beispiel voranzugehen?

Beyerl: Das ist sehr wichtig! Um beim Beispiel des Kaffeebechers zu bleiben: Wenn Sie am Arbeitsplatz einen Kollegen haben, der einen Mehrweg-Becher nutzt, und der dann vielleicht noch mit anderen darüber redet, was das für Vorteile hat, dann kann das andere Kollegen überzeugen. Und diese Überzeugten nehmen dann wieder zwei oder drei Menschen mit – so verändert sich das, was Psychologen die soziale Norm nennen. Menschen handeln oft so, wie sie glauben, dass andere es erwarten. Wenn ich weiß, dass alle komisch gucken, wenn ich mit einem Einweg-Kaffeebecher anrücke, dann lasse ich das lieber.

Frage: Gilt das nur bei Kleinigkeiten wie dem Kaffeebecher oder auch bei anderen Dingen?

Beyerl: Nein, das lässt sich auch auf andere Dinge übertragen, beim Urlaub zum Beispiel: Wird im Freundeskreis eher der Zugfahrer bewundert oder der, der in den Urlaub an exotische Orte fliegt? Gerade beim Thema Reisen kippt das gerade – und das ist genau dieser Effekt der sozialen Norm. Man hat einerseits den Anspruch an sich selbst, sich umweltbewusst zu verhalten; und andererseits will man auch nicht vor anderen unangenehm auffallen.

Frage: Die berühmte Flugscham. Wobei sich da ja auch manche gegängelt fühlen.

Beyerl: Natürlich ist es unangenehm, derjenige zu sein, den der Groll trifft. Und so gibt es auch die, die sich dagegen auflehnen.

Frage: Die dann denken «Jetzt erst recht!»

Beyerl: Ja. Leider besteht die Gefahr der Polarisierung. In Frankreich zeigte sich das bereits mit der Bewegung der Gelbwesten. Da wurde mit der geplanten Erhöhung von Steuern auf Diesel ein Nachhaltigkeitsthema zur Bedrohung und führte zu Protesten. Die Gefahr ist, dass Nachhaltigkeit als elitäres Thema abgetan wird.

Frage: Als Hobby für reiche Leute, die sich teures Bio-Essen leisten können?

Beyerl: Ja, das ist dann das klischeehafte Bild: Mit dem SUV zum Bio-Supermarkt und dann zum Yoga-Urlaub nach Bali. Allerdings ist das alles andere als nachhaltig. Nachhaltigkeit trennt nicht zwangsläufig zwischen arm und reich. Einerseits konsumieren Menschen, die viel verdienen, auch mehr - und nicht unbedingt nachhaltig.

Diejenigen, die sich weniger leisten können, haben oft einen kleineren sozioökologischen Fußabdruck. Einfach deshalb, weil sie sich Flugreisen oder den SUV gar nicht leisten können. Jedoch sind sie andererseits auf preiswerte Produkte angewiesen, die nur selten ökologisch und fair produziert wurden. Daher ist es wichtig zu schauen, wie Nachhaltigkeit von allen umgesetzt werden kann und wie alle davon profitieren können. Dafür müssen sich politische Rahmenbedingungen ändern.

Frage: Wie wichtig ist in diesem Zusammenhang Konsequenz? Gilt bei Nachhaltigkeit das Prinzip «Ganz oder gar nicht»?

Beyerl: Einerseits ist es schon sinnvoll, sich zu überlegen, wie man auf vielen Ebenen nachhaltig agieren kann. Anderseits ist konsequent nachhaltiges Verhalten in unserer Gesellschaft wahnsinnig schwer. Eigentlich wollen wir ja nur ein sicheres, komfortables Leben für uns und unsere Lieben.

Und wir wollen dabei weder der Umwelt noch anderen Lebewesen schaden. Aber genau das tun wir, weil unsere Entscheidungen nicht nur für uns selbst Konsequenzen haben. Was wir essen oder anziehen, wo unser Strom herkommt, wie wir Geld investieren – alles hat Auswirkungen auf andere und auf unsere Umwelt. Man kann das gar nicht alles immer zur selben Zeit auf dem Schirm haben.

Frage: Was muss passieren, damit sich das ändert?

Beyerl: Nachhaltiges Verhalten muss einfacher werden. Ich denke da immer an das Beispiel einer Mutter, die mit drei Kindern durch den Supermarkt geht: Die kann gar nicht bei jedem Produkt überlegen, ob das nachhaltig ist. Wie wurde es hergestellt, wie ist es verpackt, welche sozialen und ökologischen Effekte hat es? Deshalb ist es wichtig, dass sich unsere Infrastruktur umstellt. Langfristig müssen die Waren und Dienstleistungen, die wir konsumieren, von vornherein nachhaltig sein. Dazu braucht es auch politische Regulierung.

Frage: Ist es dann nicht sinnvoller, bei diesen politischen Veränderungen anzusetzen – und nicht Energie für die Suche nach dem nachhaltigsten Kaffeebecher zu investieren?

Beyerl: Ich glaube, dass beides wichtig ist – dass man sich, soweit möglich, individuell nachhaltig verhalten sollte, und dass man gleichzeitig aber auch entsprechende Veränderungen der Rahmenbedingungen einfordern muss.

Frage: Aber was bringt das, wenn die wahren Verursacher des Klimawandels eigentlich in anderen Ländern sitzen? Oder in der Industrie?

Beyerl: Es gibt ja nicht die Industrie. Das sind alles Menschen, die Dinge entscheiden – der Manager ebenso wie der Käufer. Insofern hat auch da jeder Einzelne Einfluss. Aber natürlich braucht es politische Regulierung. Zum Beispiel weil Produktion und Transport weltweit noch zu sehr von fossilen Energieträgern abhängen.

Und weil es noch zu oft so ist, dass Profite Einzelnen zugute kommen, während die Allgemeinheit die Kosten tragen muss, in der Form von Umweltschäden zum Beispiel. Wenn diese Kosten jedoch beim Verkauf eingepreist wären, wären nachhaltige Produkte wahrscheinlich preiswerter als nicht nachhaltige. Und das wäre gerechter.

Frage: Und bis es soweit ist, müssen wir von uns aus verzichten? Oder draufzahlen?

Beyerl: Es geht weniger um Verzicht sondern um bewusstere Entscheidungen. Preiswert und nachhaltig schließt sich keineswegs aus, da man vieles selbst anbauen, herstellen oder wiederverwenden kann. Und grundsätzlich sind die größten Motivationsfaktoren bei Nachhaltigkeit das Erleben von Sinnhaftigkeit und die Gemeinschaft.

Da kenne ich Beispiele von Initiativen, die durch gemeinsame Aktionen ihre Gemeinden wiederbeleben. Sei es durch das Anlegen von Blühwiesen oder gemeinsamen Gemüsegärten. Also: Sich zusammenschließen, sehen, dass man tatsächlich was bewegen kann, politische Veränderungen einfordern – und nicht verzweifeln.

Von Tobias Hanraths, dpa


 

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