Mitarbeitermangel - Geld und Geschenke als Zeichen der Ratlosigkeit

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Der Arbeitsmarkt scheint leergefegt. Die deutsche Wirtschaft schlägt Alarm. Dabei herrscht keineswegs Vollbeschäftigung wie zu Zeiten des Wirtschaftswunders. Doch die Klientel der Arbeitsagenturen, Personalvermittler, Executive-Headhunter und HR-Abteilungen ist offenbar wählerischer geworden. Unternehmen bekommen kaum noch gute Mitarbeiter und bieten deshalb immer ausgefallenere Incentives. Experten fordern gar weniger Arbeit. Ein Irrweg: Geld und Geschenke waren noch nie ein Zeichen von Einfallsreichtum, sondern eher von Ratlosigkeit. 

Lange und anstrengende Arbeitszeiten, nerviger Service für immer häufiger nörgelnde Kunden, die Corona bedingte Unsicherheit des Arbeitsplatzes, wenig planbares Stop-and-Go-Arbeiten, teils auch als schlecht empfundene Bezahlung in Zeiten hoher Inflation - das sind vordergründige Argumente, warum Mitarbeiter ihren Job kündigen oder bestimmte Stellenangebote erst gar nicht in Betracht ziehen.

Laut einer PWC Studie ist die Unzufriedenheit bei jenen Arbeitskräften am höchsten, die nicht über einen Schreibtischarbeitsplatz verfügen – also alle, die ihre Arbeit nicht aus dem Home-Office heraus erledigen können. Das sind aber genau diejenigen, nach denen momentan dringend gesucht wird – an der Kasse im Einzelhandel, auf der Etage oder im Restaurant des Hotels, in den Werkstätten des Handwerks, auf der Baustelle und, und, und…


Über den Autor Albrecht von Bonin

Albrecht von Bonin ist einer der profiliertesten Personalberater in der Hospitality Industry. Die Suche und Auswahl von Spitzenkräften, der Einsatz von Interim Managern sowie Management Coaching für Führungskräfte und Unternehmer – das sind die Kernkompetenzen, mit denen VON BONIN und die avb Management Consulting echte Mehrwerte bietet.

Mit seinem Fachbeiträgen bei Linkedin, die auf der Erfahrung von 40 Jahren Beratungspraxis fußen, erreicht von Bonin seit Jahren viele tausend Leser. Jetzt gibt es seine Beiträge auch bei Tageskarte.


 

Mit guter Führung mehr bewirken

Hört man den Menschen aber aufmerksam zu, stellt sich heraus, dass die Gründe für Unzufriedenheit und Abwanderung tiefer liegen: schlechte Führung, geringe Wertschätzung durch Vorgesetzte, Ignoranz von Verbesserungsvorschlägen, fehlende Transparenz in der Kommunikation, hohe Arbeitsbelastung (weil wegen Personalmangel die Aufgaben auf weniger Mitarbeiter verteilt werden). Nicht selten vermissen Mitarbeiter auch, den Sinn und Nutzen ihrer Arbeit am Gesamterfolg des Unternehmens vermittelt zu bekommen.

Zu selten machen sich die Personalverantwortlichen Gedanken darüber, wie man den Wert ihrer Leistung fördern und anerkennen kann. Es braucht keine Macht-Machos und Egomanen unter den Chefs, sondern Mutmacher und Menschenbegeisterer. Dabei muss gute Führung nicht mehr Geld kosten.

Welche Blüten der Personalmangel treiben kann, wird deutlich beim Blick auf Tinder, Facebook, Insta & Co. Hier haben Unternehmen mit kreativem Employer Branding den höchsten Score. Sie übertreffen sich gegenseitig mit leeren Heilsversprechen und Incentives. User-Umfragen zeigen: Sie gelten vor allem bei jungen Leuten als besonders anziehend. Aber bei kritischerer Betrachtung sind Homeoffice, 4-Tage-Woche, Remote Work, Büro-Masseur, Tisch-Kicker oder kostenloser Kaffee und der obligatorische Obstkorb auch keine Lösung. Am Ende hat all das die Klage über den Fachkräftemangel noch nicht reduziert.

Die zwei Seiten der Medaille

Neulich senkte ein Arbeitgeber die Arbeitszeit auf 35 Stunden und ermöglichte seinen Mitarbeitern, ihren Job auch in vier Tagen zu erledigen. Die Präsenzpflicht wurde dabei gleich mit beseitigt. Die Sache klingt verlockend, hat aber zwei Seiten: Einerseits gut, weil Ergebnisse höher bewertet werden als die Zahl der Stunden, die jemand im (Home-)Office verbringt. Andererseits auch schlecht, weil eine solche Maßnahme ein falsches Zeichen setzt.

In sogenannten „gemischten Betrieben“, also mit produzierenden Arbeitsplätzen und administrativen Bürojobs, entsteht eine Zweiklassengesellschaft. In der Küche der Koch, die Servicekraft im Restaurant, im Maschinenbau der Produktionsmitarbeiter, der Bauleiter auf der Baustelle fühlen sich von den Annehmlichkeiten ausgeschlossen. Unzufriedenheit und Neid entstehen. Und bald kommt auch von diesen Kollegen die Forderung, wenigstens 1 oder 2 Tage im Home-Office verbringen zu dürfen.

Fragen tauchen auf

Gewinnen künftig diejenigen Arbeitgeber den viel zitierten „War for Talents“, die die geringste Wochenarbeitszeit anbieten? Die sich möglichst kreative Incentives ausdenken? Ist weniger arbeiten wirklich DIE Lösung? Und - welchen Typ Mitarbeiter gewinnen wir mit diesen Geschenken? Die dringend erforderlichen High Performer, diejenigen, die intrinsisch motiviert sind? Diejenigen, die sich mit Neugier, realistischer Einschätzung ihrer Fähigkeiten für die gemeinsamen Ziele einsetzen? Vermutlich nicht.

Werden wir mit diesem neuen Typ Mitarbeiter die dramatischen Herausforderungen des Wirtschaftslebens meistern können? Ich bezweifle es. Es wäre unrealistisch zu denken, die dramatischen Transformationsprozesse in allen Branchen bewältigen zu können ohne die Bereitschaft aller Beteiligten, die „Extrameile zu gehen“ oder „noch eine Schippe draufzulegen“. Nach meiner Erfahrung gelingt Wohlstandserhalt nicht ohne Leistungsbereitschaft.

Natürlich: Es ist deutlich schwieriger geworden, gute Leute zu gewinnen. Der Job-Markt hat sich komplett gedreht, ist längst ein Nachfragemarkt geworden. Und dann auch noch die Unsicherheit durch Corona. Doch es gibt mir zu denken, wenn der öffentliche Dienst inzwischen als die attraktivste Branche für Studierende (EY Studie 2020) gilt – erst dahinter folgen mittelständische Unternehmen und Konzerne. Die wenigsten wollen noch etwas wagen, geschweige denn Verantwortung übernehmen. Jobsicherheit ist mit Abstand das wichtigste Kriterium bei der Auswahl des Arbeitgebers. Zudem wichtig: Gehalt und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

All das spricht nicht unbedingt für die Leistungsbereitschaft der gesuchten Mitarbeiter und erschwert die Suche nach den gewünschten High Performern auf einem weitgehend leergefegten Jobmarkt – insbesondere für Dienstleister wie Hotellerie, Touristik, Pflege, Kultur, Entertainment. Aber selbst Branchen wie Bauindustrie, Handwerk, Inneneinrichtung etc. haben mit diesen Bewerberansprüchen und deren Folgen zu kämpfen.

Storytelling reicht nicht

Sinnstiftung (Purpose) des Arbeitgebers, partnerschaftliche Führung, Anerkennung von Leistung werden parallel zum Sicherheitsdenken der jungen Menschen zu einem immer entscheidenderen Kriterium bei der Job-Wahl. Die Praxis zeigt: Beschäftigte, die ihre Arbeit als sinnstiftend erachten, sind loyaler, arbeiten länger und wären in Krisenzeiten sogar zu Lohnverzicht bereit. Arbeitgeber und ihre Führungskräfte, die diese Sinnstiftung nicht nur glaubhaft vermitteln können, sondern im Arbeitsalltag auch konsequent vorleben, werden in Zukunft erfolgreich sein in der Gewinnung von Talenten.

Und - weil Unternehmen grundsätzlich immer mehr danach beurteilt werden, welchen gesellschaftlichen Nutzen sie stiften, bleibt das nicht ohne Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Wer als Arbeitgeber mit moderner Führungskultur überzeugend einen solchen Mehrwert für die Gemeinschaft liefern kann, ist grundsätzlich in der Pole Position.

Für Personal- und Unternehmensberatungen entstehen hier neue Perspektiven. Sie sind vielleicht nicht Dirigent, könnten aber mindestens als Souffleure diesen immensen Transformationsprozess der Wirtschaft begleiten und orchestrieren. Gemeinsam mit HR-Abteilung und Unternehmensleitung sollte es ihre Aufgabe sein, Ideen zu finden, die die Arbeitswelt ein kleines bisschen besser machen – ohne dabei die Arbeitswelt als Wunschkonzert zu verbrämen. Dies aber nicht nur in sterilen Konzepten und trockenen Power Point Präsentationen (Storytelling), sondern ebenso aktiv unterstützend bei der Umsetzung in die Praxis. Ihre Auftraggeber müssten das nur zulassen.


Autor

Albrecht von Bonin
avb Management Consulting
www.avb-consulting.de
VON BONIN + PARTNER Personalberatung
www.von-bonin.de


 

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