Auf den ersten Blick könnte Detlef Scheele zufrieden sein: Der Chef der Nürnberger Bundesagentur für Arbeit blickt im März auf einen Arbeitsmarkt, auf dem die Zahl der Menschen ohne Job gegenüber dem Februar um 77 000 zurückgegangen ist. Trotz des immer wieder verlängerten Corona-Lockdowns ist der Rückgang sogar ein bisschen üppiger ausgefallen als um diese Jahreszeit ohnehin üblich. Stabilität also am Arbeitsmarkt trotz der Krise - wenn da nicht drei Sorgenkinder wären: Langzeitarbeitslose, der Ausbildungsjahrgang 2021 - und die Politik.
Die Halbherzigkeit bei der Umsetzung der Beschlüsse zu Anti-Coronamaßnahmen vor allem in einigen Bundesländern könnte nach Ansicht Scheeles dazu führen, dass letztlich auch die deutsche Industrie um Schließungen nicht herumkommt. Dann würde ausgerechnet das Zugpferd lahmen, das derzeit mit seinem Auftragsboom vor allem aus dem Ausland die gesamte Wirtschaft hochhält und an dem alle positiven Wachstumsprognosen hängen. Die derzeit geschlossenen Branchen wie Gastronomie, Touristik und stationärer Einzelhandel spielen nach Ansicht von Volkswirten für die Bruttowertschöpfung eine untergeordnete Rolle. Deshalb müsse alles getan werden, was möglich sei, um die Industrie am Laufen zu halten.
«Es wäre wahrscheinlich besser, kurz und hart einzugreifen», sagte Scheele und berief sich auf den Rat der Wirtschaftsforschungsinstitute. «Die Inzidenzzahlen, die die Virologen voraussagen, treten ja alle ein, das ist ja das Deprimierende. Das wusste man alles am 3. März.» Bislang habe der Arbeitsmarkt als Stabilitätsanker in der Krise gewirkt.
Bei den Langzeitarbeitslosen, deren Zahl bereits die Grenze von einer Million deutlich überschritten hat, befürchtet Scheele eine weitere Steigerung. Wenn die Menschen, die bereits seit Beginn der Pandemie arbeitslos sind, vom Arbeitslosengeld in die Grundsicherung rutschen, werden sie auch als Langzeitarbeitslose gezählt. «Es gelingt zu wenig, den Arbeitslosen wieder eine Beschäftigung zu finden», sagte Scheele. Die vor der Corona-Krise zu beobachtende Sonderkonjunktur für Helferjobs wenig Qualifizierter sei vorbei - und werde wohl auch nicht wieder kommen, sagte er. «Es ist zu befürchten, dass wir mit einem gewissen Sockel aus der Pandemie herausgehen», sagte Scheele. «Ganz optimistisch sind wir nicht.»
Auf dem Ausbildungsmarkt werde es zwar keine «Generation Corona» geben, nichtsdestotrotz sei der Ausbildungsjahrgang 2021 extrem schwierig. «Es kann sein, dass der Ausbildungsjahrgang sehr stark unter der Corona-Situation leidet», sagte er. «Wir wissen, dass 20 Prozent der Jugendlichen, die jetzt in den Abgangsklassen sind, keinen Kontakt zu den Arbeitsagenturen haben.»
Der Anreiz für die Unternehmen zur Ausbildung müsste trotz der Corona-Verunsicherung eigentlich auf der Hand liegen. «Nach der Krise wird der Fachkräftemangel genauso sein wie vorher», sagte Scheele. «Die hohen Prämien von bis zu 6000 Euro pro Ausbildungsplatz sollen Unternehmern helfen, sich einen Ruck zu geben und trotz Krise die Fachkräfte von morgen auszubilden», sagte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD).
Insgesamt sank die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland im März im Vergleich zum Februar um 77 000 auf 2,827 Millionen. Das sind 492 000 mehr als zur gleichen Zeit des Vorjahres, teilte die Bundesagentur für Arbeit am Mittwoch in Nürnberg mit. Der März 2020 war bezogen auf die Arbeitsmarktstatistik der letzte Vorkrisenmonat, da der Zeitraum für die Erhebung noch vor den ersten Eindämmungsmaßnahmen lag. Die Arbeitslosenquote lag im März 2021 bei 6,2 Prozent, 1,1 Punkte mehr als ein Jahr zuvor. Arbeitsminister Heil bezeichnete dies als «eine bedrückende Erkenntnis».
«Im März gab es am Arbeitsmarkt eine spürbare Frühjahrsbelebung», sagte Arbeitsagentur-Chef Scheele. «Und das obwohl die Infektionen steigen und die Einschränkungen für einige Wirtschaftsbereiche nach wie vor bestehen», fügte er hinzu. Allerdings greift die Erhebung der Daten der Bundesagentur nur bis zum 11. März.
Insgesamt zeige der Arbeitsmarkt dennoch deutliche Spuren der seit einem Jahr andauernden Corona-Krise, sagte Scheele. Unter anderem bleibt die Kurzarbeit hoch. In der Zeit vom 1. bis 25. März hätten Betriebe für 197 000 Menschen Kurzarbeit angezeigt. Ob diese dann tatsächlich realisiert wird, kann erst mit einigen Wochen Verzögerung ermittelt werden. Die letzten verlässlichen Daten reichen in den Januar zurück. Im ersten Monat des Jahres wurde demnach für 2,85 Millionen Menschen Kurzarbeitergeld gezahlt.
Der Höchststand bei der Kurzarbeit war im April 2020 mit knapp sechs Millionen Menschen erreicht worden, danach ging die Kurzarbeit bis November 2020 stetig zurück. Durch den im Herbst vergangenen Jahres verhängten Lockdown steigt die Kurzarbeit seit November wieder - vor allem in Branchen wie Gastronomie, Handel und Touristik. (dpa)