Abschied von der 50er-Inzidenz - was kommt danach?

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Es ist noch nicht lange her, da wurden Gebiete mit einer Corona-Inzidenz von mehr als 50 als «Hotspot» bezeichnet, Beschränkungen für Treffen von Menschen, Freizeit, Handel und Reiseregeln wurden an dieser Zahl ausgerichtet. Nun wird sie aus dem Infektionsschutzgesetz gestrichen. Die Zahl der Krankenhausaufnahmen soll die wichtigste Kennzahl werden. Wie das konkret aussehen soll, bleibt zunächst unklar.

Wo kommt die 50er-Inzidenz überhaupt her?

Es ist eine politisch festgelegte Zahl. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten der Länder hatten sie in einer ihrer vielen Schaltkonferenzen vereinbart. Es ging darum, bis zu welchem Punkt die Gesundheitsämter noch in der Lage sein könnten, Corona-Infektionen nachzuverfolgen (Infektionsketten). Merkel damals: «Wir glauben, dass man das bei bis zu 50 akut Infizierten pro Tag - wenn man das über sieben Tage mittelt - und 100 000 Einwohnern erreichen und leisten kann.» Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte später gesagt: «Da hätte man auch 45 oder 55 nehmen können, aber wir mussten eine Größenordnung nehmen, die realistisch einen Hinweis darauf gibt, ab wann ein Gesundheitsamt es einfach nicht mehr schafft, Kontakte nachzuverfolgen.»

Wie ist die derzeitige Gesetzeslage und was soll sich ändern?

In Paragraf 28a des Infektionsschutzgesetzes steht momentan noch: «Bei Überschreitung eines Schwellenwertes von über 50 Neuinfektionen je 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen sind umfassende Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die eine effektive Eindämmung des Infektionsgeschehens erwarten lassen.» Die 50 soll nun raus aus dem Gesetz. Künftig soll die Zahl der Hospitalisierungen, also der Krankenhauseinweisungen insgesamt, eine entscheidende Rolle spielen. Welche Kennzahlen es da geben soll, darüber wird laut Spahn noch beraten. Dafür wird seinen Angaben nach noch einmal ein genauer Blick auf die Belegung der Kliniken in den vergangenen beiden Corona-Wellen geworfen.

Was passiert, wenn die künftigen Grenzwerte überschritten werden? 

Dann wird es voraussichtlich nur weitere Einschränkungen für Ungeimpfte geben. Zugänge zu Veranstaltungen oder zum Friseur nur mit Test könnten gestrichen werden. Aus der jetzt geltenden sogenannten 3G-Regelung (geimpft, genesen, getestet) würde eine 2G-Regelung. Geimpfte und Genesene müssen nach Aussage der Bundesregierung keine gravierenden Einschränkungen mehr befürchten. Auf die Frage, ob es im Herbst einen Lockdown geben werde, antwortete Spahn am Montagabend in den ARD-«Tagesthemen»: «Für Geimpfte und Genesene sicher nicht.» Er sagte auch: «Die Schulen sollen gar nicht mehr schließen.»

Wo lassen sich Daten zur Krankenhausbelegung finden?

Deutschlandweite Zahlen zu Covid-Patienten, die ins Krankenhaus eingeliefert wurden, gibt es an Wochentagen im Lagebericht des Robert Koch-Instituts (RKI). Angegeben wird neben absoluten Meldezahlen unter anderem auch die sogenannte Hospitalisierungsinzidenz. Diese zeigt ähnlich wie die bisher bekannte Auswertung der Neuinfektionen die Covid-Krankenhaus-Fälle pro 100 000 Einwohner innerhalb von sieben Tagen. Am Dienstag lag dieser Wert bundesweit bei 1,38. Nach Angaben der Bundesregierung bewegte er sich im vergangenen Winter teilweise um 10 bis 12. Weitere Angaben etwa über Alter oder Impfstatus der Corona-Patienten in Kliniken veröffentlicht das RKI derzeit ein Mal pro Woche.

Gibt es auch Daten zu Krankenhausbelegungen nach Regionen?

Eine Aufbereitung der Hospitalisierungsinzidenz in den Bundesländern stellt das RKI auf seiner Website unter «Covid-19-Trends in Deutschland im Überblick» zur Verfügung. Darüber hinaus teilt das RKI mit, die Daten lägen auch den Gesundheitsämtern vor Ort vor und könnten daher etwa von den Landkreisen selbst regional veröffentlicht werden. Die Belegung der Intensivbetten ist schon heute nach Landkreisen aufgeschlüsselt: im Divi-Intensivregister der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi).

Woher kommen die Daten?

Die Krankenhäuser melden die Corona-Patienten an das zuständige Gesundheitsamt. Die Daten werden - wie auch bei den Neuinfektionen - beim RKI zusammengeführt. Im Divi-Intensivregister werden neben schwer erkrankten Covid-19-Patienten, die intensivmedizinisch versorgt werden müssen, auch die möglichen Behandlungs- und Bettenkapazitäten erfasst. Vor allem die Lage auf den Intensivstationen hat in vergangenen Pandemie-Wellen die Kliniken in einigen Gegenden Deutschlands an den Rand ihrer Möglichkeiten gebracht.

Ist die Inzidenz der Neuinfektionen nun nicht mehr wichtig?

Für das Inkrafttreten von Corona-Regeln im Alltag wird der Wert an Relevanz verlieren, doch er bleibt für Epidemiologen, Virologinnen und andere Mediziner auch in den kommenden Monaten ein wichtiger Gradmesser in der Pandemiebekämpfung. Denn es wird davon ausgegangen, dass sich ein Anstieg der Neuinfektionen in einem gewissen zeitlichen Abstand auch auf die Belegung in Krankenhäusern auswirkt. Die medizinisch-wissenschaftlichen Leiter des Divi-Intensivregisters, Christian Karagiannidis und Steffen Weber-Carstens, etwa sehen in Modellierungen, dass Inzidenz und Intensivbettenbelegung auch im kommenden Herbst und Winter eng und linear verlaufen werden. Und auch der Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie, Carsten Watzl, stellt fest, «dass steigende Inzidenz auch steigende Intensivbelegung zur Folge hat».

Welche Rolle spielt die Impfquote?

Diese ist von entscheidender Bedeutung, denn vor allem Geimpfte sind besser vor einer schweren Covid-Erkrankung geschützt. Der jüngste Wochenbericht des Robert Koch-Instituts vom vergangenen Donnerstag zeigt: Zwischen Mitte Juli und Mitte August waren knapp 92 Prozent der Corona-Patienten im Krankenhaus nicht vollständig geimpft. Bei den Menschen auf Intensivstationen lag die Quote sogar bei 94,5 Prozent. Zur Einordnung: Mitte August waren mehr als 57 Prozent der Bevölkerung voll geimpft. Eine Steigerung der Impfquote um wenige Prozentpunkte könnte die befürchtete Belegung der Intensivbetten deutlich verringern, heißt es von den Divi-Medizinern Karagiannidis und Weber-Carstens.


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